Tinte und Siegel (Chronik des Siegelmagiers 1) – Kevin Hearne

Skurrile Figuren, Witz und Ernsthaftigkeit bravourös vereint

Tinte und Siegel (Chronik des Siegelmagiers) - Kevin Hearne © Hobbit Presse
Tinte und Siegel © Hobbit Presse

Gordie ist bereits der siebte Lehrling, der bei Aloysius (kurz: Al) MacBharrais zum Siegelmagier ausgebildet wird und dies nicht überlebt. Seltsame Unfälle passieren Als Schutzbefohlenen. In diesem Fall ist es ein Rosinen-Scone, der zum Ersticken führte. Al findet in Gordies Wohnung einen im Käfig eingesperrten Hobgoblin, der sich selbst Buck Foy nennt. Dieser behauptet Gordie hätte mit Feenwesen gehandelt.

Segen und Fluch ereilten MacBharrais. Segen sind der spektakuläre Schnurbart, den Al sorgsam pflegt, und seine Kenntnisse um magische Siegel herzustellen. Von seinem Meister lernte er, wie man spezielle Tinten mischt und sie so zu Papier bringt, dass sie dem nun über 60-jährigen jugendliche Kräfte verleihen, oder seinen Mitmenschen sexuelle Energie oder Erinnerungslücken bescheren. Seine Aufgabe in den Diensten des Feenreichs Tír na nÓg ist es, den Zugang von Feenwesen in unsere Welt zu regulieren. Im irdischen Leben betreibt er eine Druckerei in Glasgow.

Ein Fluch sorgt dafür, dass jeder, der Als Stimme hört, ihn mit der Zeit zu hassen beginnt. Daher kommuniziert er meistens über eine Handy App mit britischem Akzent. Und allmählich kommt Al der Verdacht, dass dieser Fluch noch andere gefährliche Wirkungen entfaltet.

Den Hobgoblin adoptiert MacBharrais und macht sich mit seiner Managerin Nadia, die nicht nur Buchhaltung, sondern auch übernatürliche Kampftricks draufhat, daran Gordies dunkle Vergangenheit aufzudecken. Woher bekam er die Rezepturen für geheime Tinten, die noch nicht auf dem Lehrplan standen? Hacker Saxon Codpiece entdeckt Spuren, die zur CIA führen. Doch was sollte der US Auslandsgeheimdient mit Feen anfangen?

» [Dann hol ich mir doch ein Bier.]

Ich schlug einen Bogen hinter die Bar und angelte mir ein Pintglas von einem Trockengestell. Das Black Star Teleporter, so stellte ich fest, war ein süffiges Kokosnuss-Dunkelbier ohne zu viel Schaum. Die Quantität und Qualität von Schaum war wichtig, wenn man auf einen makellosen Schnurrbart achtete.« [S. 34]

Eine verheißungsvolle Urban-Fantasy Reihe nimmt Fahrt auf

„Tinte und Siegel“ ist der Auftaktband zu Kevin Hearnes neuer Reihe „Die Chronik des Siegelmagiers“. Sie spielt in der Welt in der seine erste, sehr erfolgreiche Reihe um den „Eisernen Druiden“ angesiedelt ist. Und der Druide Atticus erhält einen Cameo-Auftritt in diesem Roman. Sonst ist die Handlung eigenständig und enthält gelegentlich Querverweise zur Druiden-Saga. Die sind für das Verständnis der Geschichte nicht relevant, allerdings ein Goodie für Fans.

Wie es in Auftaktbänden üblich ist, baut der Autor den Storyhintergrund auf. Wir erfahren wie MacBharrais zum Siegelmagier wurde, was es mit dem Fluch auf sich hat, wie er seine Managerin Nadia kennenlernte und was ihn mit dem Feenreich Tír na nÓg verbindet. All diese interessanten Erläuterungen und Hintergründe bettet der Autor in ein Abenteuer ein, dass Themen wie Menschenhandel, Missachtung und Missbrauch behandelt. Dabei gelingt es Kevin Hearne, seine Geschichte mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und einem zotigen Humor zugleich zu erzählen. Und daraus eine kuriose und spannende Handlung zu entwickeln.

Liebevoll überzeichnete Figuren mit nervigen Macken, nützlichen Kompetenzen und individuellem Charme

Mit dem ersten Fall kommt ein kurioser Assistent und Mitbewohner zu Al, der Hobgoblin Buck Foy. Ein Hobgoblin kann nun einmal nicht ohne Schabernack, stellt jedoch auch äußerst nützliche Talente in den Dienst der Sache. Egal ob es um Schlägereien oder die nicht ganz legale Beschaffung von Hinweisen geht. Nadia sorgt dafür, dass die Druckerei läuft und die Steuerbehörde nichts von schwer erklärbaren Einnahmen und Ausgaben mitbekommt. Ihren Truck, den sie sich mit Freundin Dhanya teilt, ziert außen ein Selbstportrait mit Echse und im Innenraum ein Altar für Opfergaben an Lhurnog, den Unheiligen. Dazu gesellen sich weitere Siegelmagier mit Spezialgebieten, eine selbstbewusste Polizeiinspektorin und eine Feengöttin der Dichtkunst, die sich gern in Fußballkneipen prügelt.

» „Vielleicht liegt es an den zwei Drinks“ fuhr BRIGHID fort, „doch ich möchte nicht heimkehren, ohne jemanden zu vermöbeln.“ […]

So kam es, dass ich mit einer heidnischen Göttin ein Pub voller Fußballfans aufsuchte und ihr verriet, dass bereits ein bestimmter Song ausreichte, um eine Schlägerei anzuzetteln. [..]

„Äußerst belebend“, erklärte sie, als sie einige Minuten später strahlend herauskam. [S. 145/146]

Einer der erfreulichsten Aspekte in Hearnes Art, Romanfiguren zu zeichnen, ist der kompromisslose Respekt, den er ihnen entgegenbringt. Alle Figuren werden mit ihren Macken und Stärken akzeptiert. In der Fülle von Witzen und Sprüchen ist keiner dabei, der auf Kosten einer bestimmten Spezies, eines Geschlechts oder einer sexuellen Orientierung geht. Selbst die gegnerischen Feenwesen erfahren Mitleid, lediglich die Drahtzieher des Übels gelten als die Bösen.

Ein weites Feld an schrägen Abenteuern liegt vor uns

 „Tinte und Siegel“ erzählt ein spannendes und hintergründiges Abenteuer mit Bezügen zu Missständen in unserer Gesellschaft. Zugleich erhalten wir einen faszinierenden Einblick ins moderne Schottland und in die keltische Mythologie. Als Streifzüge durch Glasgow und die Craft-Bier, Gin- und Whisky-Szene machen Lust darauf, die Stadt zu besuchen. Meine Empfehlung an den Verlag: bitte die alkoholischen Spezialitäten mit Erwerbsquellen ins Glossar aufnehmen, ich würde sehr gern das eine oder andere probieren. Mindestens genau so faszinierend: die Begegnungen mit den Sagengestalten und Gottheiten aus Tír na nÓg. Diese Kombination verspricht eine Fülle von originellen und herrlich schrägen Abenteuern. Erzählt mit Kevin Hearnes bisweilen derben Humor, von flach (man vertausche die Anfangsbuchstaben vom Namen des Hobgoblins) über tiefschwarz bis hintergründig, eröffnet sich hier ein weites Feld an höchst vergnüglicher und zugleich gehaltvoller Urban-Fantasy Literatur. Ich würde die 90 Punkte Wertung vergeben, wenn ich nicht das Gefühl hätte, noch etwas Platz nach oben lassen zu müssen.

Eva Bergschneider

Triggerwarnung: Gewalt, Verstümmelung, Alkoholgenuss

Tinte und Siegel
Die Chronik des Siegelmagiers, Band 1
Kevin Hearne, Übersetzung: Friedrich Mader
Fantasy (Urban)
Hobbit Presse
Februar 2021
378
Sarah J. Coleman/Birgit Gitschier
88

Schreibe einen Kommentar