Lesevergnügen der absonderlichen Art
„Unterm Doppelmond“ ist Band 2 der „Chroniken der Anderwelten“ und führt die Protagonisten des ersten Bandes „Das blaue Portal“ nach Unterhessen. Das ist die kleine Bergwerksstadt, die erreichbar über das blaue Portal unter Hessen liegt. Auf die Reise machen sich die depressive – jetzt nicht mehr Teenagerin – Eva, ihr reicher Vater Graf Otto von Grauenfels, der seit dem Tod seiner Söhne nur noch seltsame Konstruktionen baut, die niemand verwendet und der versoffene Onkel Friedrich, hochstudierter völlig unfähiger Sprachwissenschaftler.
Dazu kommt Ander, Leutnant der Garde Unterhessens. Er lebte in den letzten vier Jahren in Hessen meist in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt. Wer darf schon ungestraft behaupten, dass tausende von Treppenstufen in eine andere Welt führen? Endlich auf Burg Grauenfels zurück, verliebten sich er und Eva ineinander. Ihr Ziel ist, die Welt hinter der Stadt zu erforschen. Doch alle Zugänge sind stark bewacht, weil vor der Stadt die Dämonen lauern, die Flugteufel, die nachts erwachen.
Diese anderen Welten sind sehr beliebt seit Geschichten wie „Alice im Wunderland“ oder „Narnia“. Kann ein Autor da noch etwas erfinden, was gänzlich anders ist? Lancester kann. Er erfindet eine Anderswelt für Erwachsene, die gespickt ist mit (pseudo)wissenschaftlichen Erklärungen, wieso, weshalb und warum. Band 1 war spektakulär, kann Band 2 mithalten mit dem Staunen über die Verrücktheiten von Band 1? Band 2 kann auch das. Einmal in der Anderwelt angekommen, müssen die Erzählungen des Leutnants Ander, der in Band 1 an die Oberfläche gekommen war, von den drei Hessen am eigenen Leibe erfahren werden. Hart wird es für sie in der Stadt. Ihr Gepäck und ihr Proviant wurden beschlagnahmt und nun müssen Eva und Vater Otto ohne Arbeit und Geld überleben, während Friedrich schwerkrank im Palast des Großadministrators wegen despektierlicher Bemerkungen eingesperrt ist. Ander ist verschwunden.
Unterhessen, gegründet vom Vorfahr der Familie Grauenfels, war vor Jahrhunderten die Zuflucht von Wissenschaftlern und klugen Köpfen: eine einmalige Chance, eine demokratische, gerechte Welt aufzubauen. Was haben sie daraus gemacht? Lancester steigt in die menschliche Natur ein und persifliert sie bis zum Totlachen oder bis zum Erbrechen. Wie in der realen Welt gibt es nicht nur schwarz und weiß, sondern jede Menge Zwischentöne. Jeder handelt von seinem Standpunkt aus recht. Vor allem die sprechenden versklavten Minipferde mit den Gemütern zu oft geschlagener Kinder.
Humor als Waffe gegen Grausamkeit
Obwohl die Chroniken tragische Geschichten erzählen, strotzen sie vor hintergründigem Humor. Ihre Figuren sind so einzigartig, dass der Leser oft nicht weiß, ob er sie ohrfeigen möchte, sie durchschütteln, dass sie endlich wach werden oder ob er sie einfach in den Arm nehmen soll, weil sie Liebe brauchen. Das gilt nicht nur für die Hauptcharaktere, sondern auch für überzeichnete Nebendarsteller. So liegen den ganzen Roman hindurch Lachen und Weinen nah beieinander. Lancesters Motto:
„Humor ist außerdem die einzige Waffe des Menschen gegen die Grausamkeit Gottes und seiner Schöpfung.“
Spannung? Aber ja, reichlich. Immer wieder fahren sich die Protagonisten so fest, dass Situationen ausweglos erscheinen. Schwierig und aufregend auch deshalb, weil sie sich ihnen völlig fremden Zwängen unterordnen müssen und sie deshalb einen viel geringeren Handlungsspielraum als gewohnt haben.
Lancester schafft es mit schrulligen Figuren, einer ungewöhnlichen Anderwelt und einer Handlung, bei der der Leser nicht schon im Vorhinein ahnen kann, wie es weiter geht, den Leser zu überraschen und zu begeistern. Auf weitere drei Bände darf er sich freuen und vor der Lektüre alle anderen Termine absagen.
Diese Rezension hat Redakteurin Amandara M. Schulzke geschrieben – Vielen Dank! ?
Chroniken der Anderwelten Band 2
Fantasy
Eldur-Verlag
Mai 2005
372
Funtastik-Faktor: 92%
Hallo Eva
Wie schön, dass du dich dieses älteren Titels angenommen hast. Ich habe die Bände schon Jahre im SUB und sollte sie unbedingt mal hervor holen. Hatte sie ganz vergessen, dank dir sind sie jetzt aber wieder in Erinnerung geraten. Das ist toll 🙂
Liebe Grüße,
Sandra
Das Lob gebührt der lieben Amandara, die diese schöne Rezension geschrieben hat. Ich war ihr sehr dankbar, dass sie so einen Schatz entdeckt hat. Mir waren Buch und Autor bis dahin völlig unbekannt, aber ich bin immer total froh über solche Insider-Tipps, die noch nicht jeder auf dem Schirm hat. 🙂 LG, Eva
Er schreibt gerade Band 5. Gespannt wie ein Flitzebogen!