Fantasy um Krieg und Macht abseits des „Game of Thrones“ Schemas
Die Rettung der Welt ging schief, kein Held hat das Böse in den Acht Reichen aufgehalten. Seither herrscht ein grausamer Krieg zwischen den Fyrtheneien, keiner weiß mehr, worum es geht. Bündnisse, die hier oder da einen temporären Frieden bringen, zerfallen schneller, als sie geschmiedet werden. Das Elend der einfachen Bevölkerung ist unermesslich, die Infrastruktur einst mächtiger Städte zerstört. Magie ist ein Mythos. Magische Wesen wie die Urgorrn sind Legende, genauso wie der Orden der Xyi und seine mörderischen Schemenjäger.
Eine Schemenjägerin der Xyi rettet die kleine Maleni. Soldaten überfielen ihren Hof, folterten und ermordeten Eltern und Geschwister. Schwester Niccela erkennt ihr Potential als Überlebenskünstlerin und bringt sie zu der unterirdischen Festung, in der das Mädchen zur Assassine ausgebildet wird. Dafür ist mehr nötig, als Kampftraining und gezielte Vergiftungen, die immun gegen Toxine machen. Am Ende steht das Ritual der Seelenspaltung und fortan wohnt Taryah mit Maleni im Körper der schönen und starken Frau.
Taryah tanzt und mordet. Am Tatort trifft sie auf Mädchen, die über Tage von Soldaten vergewaltigt werden. Bilder aus ihrer Kindheit kommen hoch und so sterben Opfer und Täter durch Malenis Hand. Dadurch verpasst sie die Karawane, die für den Rückzug vorgesehen war. Allein auf der Flucht hat sie trotz ihres Tötungsgeschicks gegen einen Trupp Soldaten keine Chance. Ohne den geheimnisvollen Fremden mit blauen Augen wäre sie der Übermacht ausgeliefert gewesen. Der Held verschwindet nach der Rettung. Stattdessen pflegen zwei reisende Schmiede Maleni gesund und begleiten sie fortan. Elgor und Umbert sind freundlich und kennen viele Geheimnisse – auch Malenis? Taryah drängt auf Tötung der Männer und in die Obhut der Xyi- Geschwister zurückgekehrt, erhält sie den unmissverständlichen Befehl. Eine Zeit der inneren und äußeren Kämpfe kommt auf die Schemenjägerin zu und eine geheimnisvolle Bedrohung aus der alten Zeit.
Roh und gewaltvoll
„Seelenspalter“ ist der Auftakt zu der Serie „Die Geheimnisse der Klingenwelt“ von der mindestens zwei Bände erscheinen. Der Nachfolgeband „Blutfelsen“ ist für März 2018 angekündigt. „Seelenspalter“ kommt als broschierte Ausgabe oberflächlich betrachtet harmlos daher, doch das Buch hat es in sich. Inklusive Glossar ist es 811 Seiten stark und die fühlen sich ähnlich an wie Bibelpapier. Ein echter Wälzer im schlanken Format. Was für die äußere Form gilt, gilt erst recht für den Inhalt. „Taryah tanzte.“ lautet der erste Satz und wir sehen ihr dabei bis Seite 14 bis zum tödlichen Ende zu. Die Seraph-Preisträgerin (Schwingen aus Stein) Ju Honisch schreibt einen szenischen Stil und daran muss man sich am Anfang gewöhnen. Das Geschehen wird oft mit Einwortsätzen wie „Bald.“, „Jetzt.“ und „Da.“ kommentiert, der Text erhält dadurch einen Hörbuch ähnlichen Charakter. Ich hatte am Anfang Ju Honischs Stimme im Kopf, da ich ihre Lesung im Rahmen der Fantasy-Woche noch im Ohr hatte. Die musste ich vertreiben und meinen eigenen Zugang zum Buch finden. Eine Erfahrung, die ich in der Art zum ersten Mal gemacht habe. Doch sobald ich diesen Zugang hatte, zog es mich unaufhaltsam in Malenis wenig beschauliche Welt hinein.
Ein ewiger Krieg, der an Beschreibungen über den 30jährigen Krieg erinnert, herrscht in jedem der acht Reiche. Die Menschen kennen kaum etwas anderes, als Gefahr um Leib und Leben. Insbesondere die Frauen haben darunter zu leiden. Es passiert, was auch die Kriege unserer Zeit prägt, Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Sex kommt in „Seelenspalter“ in zweierlei Form als Waffe zum Einsatz; Taryahs erotischer Tanz mit tödlichem Finale und Kriegsvergewaltigung. Der Roman ist definitiv nichts für Leser, die sich Beschreibungen von Grausamkeiten zu Herzen nehmen. Die Gewalt wird authentisch und detailliert beschrieben. Sie verkommt aber nie zum Selbstzweck, sondern dient der Authentizität der Geschichte.
Die Handlung besteht aus zwei Teilen, die abwechselnd erzählt werden. Das gegenwärtige Geschehen erzählt entweder Maleni aus ihrer Sicht oder eine andere Figur, die gerade im Mittelpunkt steht. Parallel erfahren wir in Rückblenden, wie Maleni zum Orden der Xyi kam und dort zur Schemenjägerin ausgebildet wurde. Oft enden diese Abschnitte mit einer Nachricht aus dem Kommunikationsnetzwerk der Xyi, die zur Kerngeschichte zurückführt. Zu den großen Stärken des Romans zählen die Charakterzeichnungen. Die widersprüchliche Persönlichkeit Malenis und Taryahs beschreibt die Autorin sehr anschaulich, ihre Handlungen sind dadurch immer plausibel und nachvollziehbar. Malen ist eine Getriebene, ein Produkt des Drills im Orden und zugleich eine tief verletzte Seele. Auch Nebenfiguren, wie Elgor und Umbert, oder Malenis Patin Niccela wirken glaubwürdig und vielschichtig. Sie tun, was sie aus ihrer Sicht tun müssen.
Keine Karte der Acht Reiche, aber tiefe Einblicke in eine zerrissene Seele
Ju Honisch hat darauf verzichtet, den Weltenbau eingehender vorzustellen, es gibt im Buch keine Karte von den acht Reichen. Über politische und strategische Entwicklungen erfahren wir nur das Nötigste, was angesichts der Länge des Buchs verwundert und den Leser zuweilen etwas ratlos zurücklässt. Im Nachhinein stellt man jedoch fest, dass für das Verständnis der Geschichte alle Informationen vorhanden sind. Vielleicht sollte eine Ähnlichkeit mit dem „Das Lied von Eis und Feuer“ Epos von George R.R. Martin vermieden werden. Das Geschehen konzentriert sich ganz auf Maleni, die beiden Männer Elgor und Umbert und ihre unmittelbare Umgebung. Der Focus auf Malenis inneren Konflikt hebt diesen Fantasy-Roman von anderen im Fahrwasser des „Game of Thrones“ Hypes ab. Kein Schlachtengetümmel, keine Intrigen im herkömmlichen Sinn, sondern Menschen mit Schwächen und besonderen Gaben, die einen schmerzhaften Weg gehen müssen, um die Welt zu retten. „Seelenspalter“ von Ju Honisch ist mehr als ein düsteres und spannendes Fantasy-Abenteuer. Es ist eine bewegende Geschichte um eine innerlich zerrissene Frau, die die auferlegten Zwänge abstreift und zu vertrauen, sogar zu lieben lernt. Und damit eine Chance auf Frieden erkämpft. Ich vergebe den selten genommenen Funtastik-Faktor 90, denn „Seelenspalter“ ist bisher mein schönstes Buch in 2017.
Eva Bergschneider
Die Geheimnisse der Klingenwelt - Band 1
Fantasy
Droemer Knaur
März 2017
816
Funtastik-Faktor: 90