Vagina Dentata – Luci van Org

Ein maskulinistisches Schelmenstück

Vagina Dentata © Edition Roter Drache

Götter und Göttinnen aller Religionen versammeln sich in Asgard. Ungeheuerlich! Ein 6000 Jahre lang währender Fluch hat sich in Luft aufgelöst. Die Göttinnen und ihre Menschenschwestern haben ihre rasiermesserscharfen Zähne in der Vagina wiederbekommen. Am liebsten würden die Götter den Fluch wieder in Kraft setzen, aber wie? Die Situation eskaliert, als Jehova die Norne Verdandi beleidigt und sie ihm zur Strafe seine Eichel abbeißt.

Auf der Generalversammlung erklärt sich Frigg, Odins allwissende Gattin, bereit, ihnen das Geheimnis des Fluchs zu verraten unter der Bedingung, dass die Männer dafür sorgen, dass die Ungerechtigkeit in Midgard abgeschafft wird. Wenn Menschenmänner und Menschenfrauen also wirklich gleichberechtigt dort leben können. Odin, Loki, Mars, der keltische Gott Cernunnos und der göttliche Dichter Bragi ziehen los, um die Menschenmänner in ihrem Maskulinismus zu unterstützen – sie beginnen ihre Tour am Potsdamer Platz in Berlin.

Mädels, Ihr wolltet schon immer lieber ein Junge sein? Nach der Lektüre von „Vagina Dentata“ gewiss nicht mehr. Dann müsst Ihr nämlich mit Puppen spielen und Autos sind Euch verwehrt. Ihr hättet den Hauptteil der Hausarbeit zu erledigen und müsstet Euch um die Kinder kümmern und Weihnachtskarten basteln. Während die Frauen das meiste Geld nach Hause bringen, von dem Ihr Euch dann Kittelschürzen kaufen dürft.  So ein Scheiß!

Wie lächerlich es war, bereits nach einem Tag an einer Situation zu verzweifeln, in der Frauen jahrtausendelang gelebt hatten, ohne sich jemals so anzustellen. [S. 9]

Luci van Org hat einmal unsere Genderwelt auf den Kopf gestellt und wieder zurück auf die Füße.

Dabei packt sie die Ungeheuerlichkeiten, die heutzutage gang und gäbe sind, mit Witz, Ironie und heftigem Sarkasmus an. Trotz aller feministischen und LGBT-Bewegungen sind sie so tief im gesellschaftlichen Bewusstsein und Verhalten verankert, dass es selbst den Benachteiligten nicht immer auffällt, dass sie geringer geschätzt werden als die männlichen, weißen Exemplare der Gattung Mensch. Gleichgültig, ob wir nun Zähne in unserer Mumu haben oder nicht: Viele Männer fürchten sich vor der emotionalen Stärke der Frauen.

Die südostasiatischen, griechischen und nordamerikanischen Mythen um die bezahnte Vagina oder mit anderen Waffen bestückte Scheide hatte Siegmund Freud ausgegraben und in seine Theorie um die Kastrationsangst eingebettet. Tatsächlich fanden Wissenschaftler Zähne in der weiblichen Vagina. Das kann geschehen, wenn im Mutterleib der schwächere Zwilling vom stärkeren assimiliert wird.

Alle Mythen sind nicht im Geringsten so witzig, humorvoll und innovativ wie diese Göttergeschichte von Luci van Org. Sie ist im tiefsten Neukölln groß geworden, einem Berliner Kiez, der für eine gewisse Urigkeit und Frechheit bekannt ist. Eine rotzfreche Sprache zieht sich durch den gesamten Roman und geht auch unter die Gürtellinie, ohne jemals die Grenzen des guten Geschmacks zu verlassen. Bewundernswert, wie die Autorin das auf-den-Kopf-Stellen von allem durchzieht. Sämtliche Institutionen, Behörden, Schulen, Haushalte sind den strengen Regeln des Matriarchats unterworfen. Natürlich hatten manche Frauen Mitleid mit den Männern und haben ihnen sogar das Wahlrecht zugestanden. Sogar ein Ministerium „Männer und Familie“ wurde gegründet.

Politische Phantastik mit gestrecktem Mittelfinger

Die Geschichte findet ihren Höhepunkt, als sich die Göttin Freya, Odins Dauergeliebte, auf den Weg macht, die Menschenfrauen zur Ordnung zu rufen. Sie landet bei Karla Schneider, der absoluten, total extremen mittelmäßigen Durchschnittsfrau und mischt sie auf. Wer bisher durchschnittlich gegrinst und sich im Stillen amüsiert hat, kreischt jetzt vor Vergnügen. Allein diese einzelne Szene im Hause Schneider ist einen Nobelpreis wert. Der Rücktitel passt als Zusammenfassung wie die Faust auf’s Auge: Luci van Org dreht in „Vagina Dentata“ den Spieß genussvoll um. Sie beweist, dass Feminismus zum Tränenlachen lustig geht, ohne männerfeindlich zu sein. Politische Phantastik mit gestrecktem Mittel-, statt erhobenem Zeigefinger.

Das kleinformatige Hardcover der Edition Roter Drache mit Lesebändchen ist jeden Cent wert. Das martialische Cover stammt aus der Feder von Ben Swerk und lässt den mittelalterlichen Krampus eine Frau sein. Hurra!

Amandara M. Schulzke

Vagina Dentata
Luci van Org
Phantastik Plus
Edition Roter Drache
Juni 2019
184

Funtastik-Faktor: 85

Schreibe einen Kommentar