Als Einstieg in die Urban Fantasy geeignet
Nora Jacobs hat wahrlich keine einfache Jugend hinter sich. Als Waisenmädchen wurde sie von Pflegefamilie zur nächsten Adoptionsfamilie weitergereicht, bis ihr jeweiliger Daddy zudringlich wurde. Sie hat gelernt, Abstand zu halten, für sich zu bleiben, nur ja niemanden an sich herankommen zu lassen. So hat sie keine Bekannten, keine Freunde, keinen Liebhaber. Sie ist schlicht allein.
Den Grund für ihr Schicksal hat sie schnell ausgemacht: zwei übernatürliche Gaben nennt sie ihr Eigen. Es sind Fähigkeiten, die ihr nicht unbedingt helfen, im sozialen Umfeld beliebter zu werden. Sie übt eine schier unwiderstehliche Anziehungskraft auf Männer aus – und dies, ohne es zu wollen. Und sie kann bei Berührungen von Lebewesen oder Dingen deren jeweilige Vergangenheit sehen.
Inzwischen lebt sie in Detroit, Michigan. Die ehemalige Auto-Metropole hat, nach dem Niedergang der US-Fahrzeugindustrie, harte Jahre hinter sich. Nirgendwo in den Vereinigten Staaten geschehen so viele Gewaltverbrechen wie in Detroit, nirgendwo kann sie so unauffällig in der Masse untertauchen, wie hier. Glaubt sie zumindest.
Bis die Unterweltler auf sie aufmerksam werden. Der Vampirmeister der Stadt zwingt sie unter seine Herrschaft, soll sie doch mittels ihrer Gaben eine verschwundene Vampir-Frau des Clans suchen und finden. Dazu gesellt sich ein Troll, der sie in seinen Clan aufnimmt, ins Bild. Außerdem Werwölfe und Schamanen und eine unterweltliche Polizeibehörde. Sie alle sind auf der Suche nach den Verbrechern, die munter immer weitere Übernatürliche aus der Gemeinschaft entführen.
Nora macht sich selbst zum Köder. Nicht ahnend, dass die Täter weit durchtriebener als vermutet sind. Schnell findet sie sich hinter Gittern und vor einem Opferaltar wieder.
Wenig Schauplatz, viel Protagonistin
Das Autorenehepaar Kelly und Josh Oram schreibt die Reihe um „Nora Jacobs“, deren Auftakt „Verflucht“ uns in Deutschland das Bastei Lübbe Imprint One anbietet, unter dem gemeinsamen Pseudonym Jackie May. Was sie uns hier vorlegen, hat durchaus Potential. Es geht um eine zunächst recht gängige Geschichte des Urban Fantasy Genres.
Junge, begabte und vom Schicksal arg gebeutelte Frau mit mystischen Gaben muss sich ihrer Haut erwehren und ihren Platz in der Welt des Übernatürlichen finden. So könnte man die dem Roman zugrundeliegende Situation zusammenfassen.
Die Romantik wird eher dezent am Rande eingesetzt, so dass reine Romantasy-Fans hier wohl falsch sind. Stattdessen richtet sich der Roman an Leserinnen und Leser, die noch nicht so viele Urban Fantasy Reihen gelesen haben. Die übernatürliche Welt, ihre Besonderheiten und Gefahren werden hier gut nachvollziehbar eingeführt und bieten zum Teil faszinierende Ausführungen. Insbesondere was die Beschreibung der Trolle anbelangt.
Die Bühne, auf der die Handlung abläuft, bleibt dabei rudimentär. Ein Bus, ein Club, ein Büro und ein Appartement, das war es schon. Hier wird nicht (zu) viel investiert oder verschenkt.
Den freiwerdenden Platz nutzen die beiden Verfasser, um uns ihre Hauptfigur nahe zu bringen. Die Zeichnung der tief traumatisierten jungen Frau rührt uns, nimmt uns für ihren Mut, weiterzumachen ein und macht sie als Handlungsträgerin sympathisch. So manches Mal macht sie Fehler, angesichts deren wir verleitet sind ihr zuzurufen, genau das nicht zu tun. Allerdings muss sie ihre eigenen Erfahrungen machen und an diesen reifen.
Das Tempo ist angenehm hoch, der Handlungsbogen gespannt. Stilistisch zeichnet den Roman ein eher einfacher, leicht zu lesender Stil aus. Ein guter Auftakt der „Underworld Chronicles“, der bestens geeignet ist, in das Sub-Genre Urban Fantasy hineinzuschnuppern. Der zwar nichts überwältigend Neues für den Rezipienten (m/w/d) bereithält, aber spannend unterhält und eine interessante Protagonistin einführt.
Carsten Kuhr
Underworld Chronicles, Band 1
Fantasy (Urban)
One
Mai 2021
302
Alexander Kopainski
75