Waldesruh – Anja Bagus

Die Ætherwelt im Schwarzwald – eine Welt voller faszinierender Schöpfungen

Waldesruh © Edition Roter Drache
Waldesruh © Edition Roter Drache

Wir schreiben das Jahr 1912 im Hochschwarzwald in der Ætherwelt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fing es an, der Æther strömte in Form eines grünen Gases aus der Erde und veränderte die Welt. Tier-Mensch-Hybride bevölkern nun die Welt und Figuren aus Mythen und Sagen erwachen zum Leben.  Das führt nicht nur zu Konflikten zwischen Menschen und ‚Verdorbenen‘, wie diejenigen die Veränderten nennen, die sich ihrer möglichst entledigen wollen. Es führt auch zu Veränderungen im politischen Machtgefüge. Zugleich entdecken Forscher den Æther als mächtige Energiequelle und machen ihn industriell nutzbar.

Freifrau Minerva von Rappenfeld-Zähringen  residiert mit ihrer Mutter Berta, einer ehemaligen Schauspielerin, im vornehmen Hotel Waldesruh in der Nähe des Glasbergs (vor dem Æther: Hoher Ochsenkopf). Mit Mitte zwanzig ist Minerva bereits Witwe. Sie begleitet in der Trauerphase ihre Mutter auf illustren Reisen, möchte aber möglichst bald ihr Leben wieder in die eigenen Hände nehmen.  Wie ihr verunglückter Ehemann ist Minerva eine Automobilnärrin. Sie hat Andreas auf Rennen begleitet und begeistert an den Motoren herumgeschraubt. Da kommt ihr die Gelegenheit zu einer Fahrt im Green Ghost, dem mit Æthereinspritzung betriebenen Rolls Royce, gerade recht. Dem Glashersteller Falk Bischoff gehört dieses imposante Gefährt und sein Chauffeur kann nicht damit umgehen. Und so fährt Minerva den Industriellen zu der Glashütte, die dieser erwerben möchte und in der gerade der Mord an dem Forscher Enno Schüler geschehen ist.  Dieser hat Experimente mit Æther durchgeführt, die ihm offensichtlich Todfeinde eingebracht haben. Falk Bischoff ist in erster Linie an den Forschungsergebnissen interessiert, doch des Glasmeisters Aufzeichnungen hat der Mörder mitgenommen. Und so nehmen sich  Minerva und Falk der Aufklärung des Falls an. In deren Verlauf offenbaren die hellseherischen Kräfte einer Hexe  eine unheilvolle Verschwörung. Bis schließlich der Erlkönig erscheint und das wahre Ausmaß der sich rapide verändernden Machtstrukturen offensichtlich wird.

Fantasy meets Steampunk – aber wie!

Anja Bagus Ætherwelt gehört zu einer der reizvollsten Verschmelzungen einer Fantasy- und Steampunkwelt, die mir seit langem untergekommen ist. Es ist faszinierend, wie originell die Autorin diese Welt gestaltet hat. Anja Bagus orientiert sich an den politischen Verhältnissen der Zeit unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg und passt diese dem wachsenden Einfluss magischer Elemente an. In der Ætherwelt  findet man kaum eines der genreüblichen Versatzstücke der Fantasy oder des Steampunk. Luftschiffe erscheinen lediglich als Randnotiz und nur wenige der gängigen Fantasy-Spezies treten auf. Stattdessen erfreut sie den Phantastik-Liebhaber zum Beispiel mit einer Glasharmonika, einer Art Klavier, das Glasschalen erklingen lässt. Oder mit Glasmännchen, die im Glasberg arbeiten und intelligenten Tier-Menschen.  Der Höhepunkt der Bagus‘ schen Steampunk-Technologie in „Waldesruf“ ist sicherlich der Green Ghost, dessen  Eigenarten die Autorin  beinahe so ausführlich beschreibet, wie die ihrer Charaktere.

Die Hauptfigur Minerva Freifrau von Rappenfeld Zähringen ist klar als Sympathieträgerin angelegt und wird ob ihrer Schlagfertigkeit und einer smarten Mischung aus Eigensinn und Feinfühligkeit schnell ins Leserherz geschlossen.  Zwei  Herren, der Industrielle Falk Bischoff und der Hauptmann der Preußischen Armee  Richard zu Kirchbronn, umgarnen die Freifrau. Die Hintergründe, die beide Männer in den Hochschwarzwald geführt haben, sind dabei weitaus interessanter, als die zeitweilige ‚Dreieckskiste‘ mit der Lady. Ich hätte gern mehr über das Zeitgeschehen in dieser Welt erfahren, die den Hauptmann und seine nachrückenden Kameraden an den Schauplatz bringen. Etwas mehr Hintergrund zu den Maschinenmenschen an der deutsch-französischen Grenze und etwas weniger Emotion, die der Dame des Öfteren in den Unterleib fährt, hätten die Story noch interessanter gemacht. Andererseits gibt es genügend komplexe Verwicklungen, die sich zu einem wahrhaftig mystischen Abenteuer entwickeln. Verhängnisvolle Prophezeiungen führen die Helden in ein dramatisches Finale, in dem sich religiöse Fanatiker und Veränderte nichts schenken.

Sprachlich sind leider deutliche Schwächen zu beklagen

Der Roman „Waldesruh“ unterhält den Leser mit einer Fülle von wunderbaren Ideen, sowie einer rasanten Handlung mit vielen außergewöhnlichen Figuren. Was leider nicht überzeugen kann, ist die sprachliche Qualität, die den Lesegenuss durch viele Fehler wie Wortauslassungen, doppelte Verben, Satzstellungsfehler und dergleichen schmälert. Dazu kommen einige unpassende Formulierungen, die nicht zum Gesamtbild passen oder unfreiwillig komisch wirken.

Es ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, in den Dialogen Umgangssprache zu verwenden, wenn es der Atmosphäre dienlich ist. Anja Bagus hat an vielen Stellen die Dialoge schwäbisch bzw. alemannisch eingefärbt, was perfekt zum Schauplatz und den dort heimischen Menschen passt. Jedoch darf man bei der Freifrau Minerva von Rappenfeld -Zähringen wohl eine gute Bildung voraussetzen.
„Das gibt Sinn“, sagte sie nachdenklich auf Seite 23, oder „Ist es wie Klavier? Ich kann ein wenig Klavier“ auf Seite 59, als sie mit Falk die Glasharmonika entdeckt. Hier kann man sich nur wundern, dass in ihren Dialogen der richtige Gebrauch eines Verbs nicht gelingt.
Zudem sind Redewendungen wie die von Minervas Mutter Berta:

„[..]der lächerliche Schwächling [..] war so schnell verschwunden, wie einst meine Jugend als ich schwanger mit Dir wurde.“ [S. 233]

zwar witzig, aber nicht wirklich geeignet und wären in der Sammlung „Achtung, verstörendes Kopfkino“ besser aufgehoben. In einigen Passagen treten so gehäuft Fehler auf, dass man sich fragt, ob sie dem Lektorat überhaupt vorlagen. Lesern, die ein wenig Anspruch an die sprachliche Qualität ihrer Lektüre stellen, werden hier Nachsicht üben müssen, um das Buch trotzdem genießen zu können.

Fazit:

Abgesehen von den sprachlichen Misslichkeiten ist  „Waldesruh“ ein fesselnder und äußerst origineller Roman, der den Auftakt zu der „Glasberg“-Trilogie bildet. Man darf gespannt sein, ob in den Folgebänden eine Ætherwelt-Version der gespannten politischen Lage dieser Zeit mehr im Vordergrund stehen wird. Der zweite Roman „Glasberg“ ist bereits erschienen und der letzte Teil „Rheingold“ ist für  November 2015  geplant.

Eva Bergschneider

Waldesruh
Ætherwelt – Minerva von Rappenfeld-Zähringen, Band 1
Anja Bagus
Steampunk
Edition Roter Drache
Oktober 2014
293

Funtastik-Faktor: 66

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