Der Schwarm trifft die kleine Meerjungfrau
Eine Polizistin ertrinkt in einer Telefonzelle, eine Unternehmerin in ihrem Haus. Etwas sogar noch merkwürdigeres widerfährt dem Berufstaucher Jens Ahrens.
Bei einer Bergungsmission in einem alten Schiffswrack explodiert eine Seemine. Wie durch ein Wunder überlebt Jens Ahrens das Unglück und kommt dreißig Seemeilen entfernt am Strand wieder zu Bewusstsein. Doch nicht für lange, denn statt eines Rettungsteams erscheint eine Unbekannte, die ihn mit einem Spaten erneut niederschlägt. Schließlich erwacht Jens in einem Bauernhaus, auf einer Bahre gefesselt. Mit Mühe kann er sich befreien und entdeckt, dass er nicht der einzige Gefangene ist. Zahlreiche erwachsene Männer wurden anscheinend entführt und unter Drogen gesetzt. Seine Flucht führt in den kleinen Ort Egirholm. Dort erzählt er seine Geschichte, die ihm jedoch niemand glaubt. Denn das Gehöft ist kurz nach seiner Flucht abgebrannt und alle Beweise für Jens Erlebnisse wurden vernichtet. Allein die Polizistin Meike Ehlers nimmt ihn ernst. Denn die hat bereits mit anderen mysteriösen Fällen in Nordfriesland zu tun, zum Beispiel dem Tod ihrer Vorgängerin.
Meike und Jens suchen gemeinsam nach seinen Mitgefangenen. Dabei stoßen sie auf das Verschwinden eines Heimatforschers, der den berühmten Rungholt-Mythos (auch das deutsche Atlantis genannt) erforscht. Weitere Spuren führen zu einem blutigen Massaker aus dem Jahr 1973, zu einer Hippie-Kommune, die das Wassermannzeitalter beschwor. Darüber hinaus scheinen einige alteingesessene Damen Egirholms ein Geheimnis zu hüten und seltsame Fischkreaturen das Dorf zu bedrohen.
Wie passen Meerjungfrauen in einen Thriller?
Viele Leser mögen in erster Linie an Walt Disneys „Arielle“ denken, wenn es um Nixen geht. Auch in Hans Christian Andersens Märchen kommt „Die kleine Meerjungfrau“ eher harmlos daher. Hingegen ist mit den Sirenen in der griechischen Mythologie ist nicht zu spaßen und auch die Nixe auf der Loreley sang der Sage nach die Seefahrer in ihr Verderben.
„Aquarius“ spielt in unserer Zeit und beginnt abenteuerlich. Der Prolog beschäftigt sich mit dem mysteriösen Tod der Polizistin in der Telefonzelle und die ersten Kapitel mit den beängstigenden Erlebnissen des Berufstauchers Jens Ahrens. Unter der Meeresoberfläche kennt sich der Erzähler gut aus. Die Beschreibungen des Tauchgangs und tragischen Unfalls wirken so realistisch, als sei man live dabei. Vom Prolog und Jens Erlebnissen abgesehen, wird die Handlung aus der Perspektive der Polizistin Meike erzählt, ebenso detailreich und über weite Strecken spannend.
Wissenswertes über Friesland
Nach dem aufregenden Auftakt lockert sich der Spannungslevel. Während Jens Ahrens und die Polizistin Meike Ehlers die Ermittlungen aufnehmen liest sich „Aquarius“ ein wenig wie ein friesischer Lokalkrimi. Denn nun geht es um Mythos und Historie des rauen Landstrichs an der Küste. Hier beweist Thomas Finn seine profunden Kenntnisse über die norddeutsche Region und versteht es, sie in den Dienst der Geschichte zu stellen, sodass sie nie belehrend wirken. Mit den gefundenen Hinweisen kommen die Ermittler Schritt für Schritt einem absonderlichen Geheimnis näher. Da der Autor den Leser akribisch in jedes Detail der Entwicklung einweiht, wirkt diese weitgehend plausibel. Manchmal geht die Verknüpfung von Aspekten der Geschichte mit wissenschaftlichen Erkenntnissen allerdings in die Hose. Zum Beispiel bei der Wasseraffentheorie, deren ‚wissenschaftliche‘ Herleitung zu abtrus wirkt. Ähnlich fragwürdig sind einige Ansätze und Aktionen in der Ermittlung. So ist zum Beispiel nur schwer vorstellbar, dass ein verwertbares Phantombild von jemandem entsteht, den der Zeuge kaum sehen konnte. Oder dass eine erfahrene Polizistin in ein Kanalisationssystem ballert, ohne Wissen, was und wen sie treffen könnte.
Abgesehen von diesem Ausrutscher kommt die Polizistin Meike Ehlers als kluge, entschlossene und sympathische Frau herüber. Man nimmt ihr ab, dass sie unvoreingenommen Fakten sammelt, daraus Schlussfolgerungen zieht und für abwegig erscheinende Ergebnisse offen ist. Ihrem neuen Partner gegenüber könnte sie ruhig mehr Selbstbewusstsein zeigen, anstatt hinzunehmen, dass der sich beliebig in ihren Job einmischt. Jens Ahrens ist ein selbstbewusster Typ, der selten an sich zweifelt. Eine leichte Tendenz zum Machogehabe passt natürlich zu seinen Heldentaten. Trotzdem ist es schade, dass sofort klar ist, worauf diese Teamarbeit hinauslaufen wird. Hier hat der Autor die Chance vertan, zwei starke Typen auch einmal aneinander rasseln zu lassen, ein wenig Zoff statt stetiger Harmonie hätte dieser Beziehung gut gestanden.
Das Finale: Action pur
Im Finale lässt es der Autor richtig krachen. Von einer dramatischen Jagd auf und unter dem Wasser, über wilde Schießereien, bis hin zu einem explosiven Showdown während einer skurrilen Zeremonie. Auch wenn die Aktionen des Helden manchmal übertrieben martialisch und übernatürlich erscheinen, so überwiegen Spannung und das gelungene Überraschungsmoment.
Thomas Finn hat mit „Aquarius“ durch die thematische Verknüpfung von Märchen und Mysterythriller einen ungewöhnlichen und originellen Roman erschaffen. Zwar bleiben einige Fragen offen und nicht immer funktioniert die Verbindung von Gegenwart und Mythos. Doch unterm Strich bietet „Aquarius“ solide spannende Unterhaltung und besticht durch eine wirklich innovative Idee.
Diese Rezension von mir (Eva) erschien im Februar 2015 bei Booknerds.de
Fantasy
Piper
Oktober 2014
416
Funtastik-Faktor: 63
Sehr actionreiches, cooles Buch. In der Rezension hört es sich wirklich spannend an, allerdings hoffe ich, dass es dem Leser nicht (wie bei dir schon angesprochen) übertrieben oder künstlich erscheint.
Liebe Grüße
Joel von Büchervergleich.org