Blutfelsen – Ju Honisch

Vergessenes Wissen – ein Verhängnis

Blutfelsen-Ju Honisch© Droemer-Knaur
Blutfelsen © Droemer-Knaur

Das Tal Reyalun ist ein riesiges Archiv und eine Enklave des Wissens, das nicht existiert. Zumindest weiß niemand in den acht Reichen der Klingenwelt, dass es diesen streng abgeschotteten Ort gibt. Wer ihn zufällig entdeckt, kann nicht darüber berichten, denn er wird getötet. Dieses Schicksal sollte auch den Kämpfer Deruonn ereilen, als er in den Höhlen vor Reyalun auftaucht. Doch es hatte andere Pläne. Die junge Shernay, eine besonders begabte Studentin und künftige Archivarin, verliebt sich in Deruonn und flieht mit ihm. Die Bewahrer und ihr versprochener Ehemann, der Barde Garru, jagen sie fortan, um beide für den Geheimnisverrat zu bestrafen und die Offenbarung des Orts zu verhindern. Auf ihrer Flucht entdecken Shernay und Deruonn die Leidenschaft für- und Geheimnisse aneinander. Was für beide Rettung und Verderben zugleich bedeutet.

Fyrsth Ryckden verheiratet Nimry, die Tochter eines hingerichteten Verwandten, zur Sicherung einer politischen Allianz mit dem Graaven von Flynnt. Sie wird seine fünfte Ehefrau. Ihre letzten Tage in Jorgvill verbringt Nimry in der Bibliothek auf der Suche nach einem Mittel gegen Gift. Denn sie glaubt, dass ihr Zukünftiger seine bisherigen Ehefrauen ermordet hat. Wenig später führt der Graav seine Braut heim, zusammen mit einem Treck, der das sogenannte Flugfeuer transportiert. Der Weiseste Orstyn hat diese Wunderwaffe aus alten Tagen wiederentdeckt und der Fyrsth von Kahsell lässt sie zur Grenzsicherung nach Flynnt bringen. Auch hier agieren Verräter, eine gefälschte Botschaft lockt den Graaven in eine Falle.

„Blutfelsen“ spielt vor dem Hintergrund eines grausamer Kriegs, der 100 Jahre später im Roman „Seelenspalter“ die acht Reiche weitestgehend zerstört hat. Es stellt sich die Frage, wer die Fäden im Hintergrund zieht. Ist es der geheime Assassinenorden der Xyi? Oder ein Abtrünniger aus Reyalun, der mit seinem einzigartigen Wissen die Macht an sich reißen will? Oder sind es magiebegabte Wesen, die Urgorrn, ein Mythos aus längst vergessenen Tagen?

Eine Hommage an Wissenschaft und Lehre

In „Blutfelsen“ sind phantastische Elemente zumindest am Anfang des Romans rar und die übernatürlichen Spezies haben nichts mit denen aus der Völkerfantasy gemein. Vielmehr begleiten wir Menschen, die zum Teil magische Fähigkeiten besitzen und Wesen, wie dem intelligenten Riesenbuzzard oder den Traumschlangen. Erzählt wird die Handlung aus der Sicht verschiedener Figuren in recht kurzen Kapiteln, die fast immer mit einem Cliffhänger enden. Zwischendurch lässt uns „Der Lauernde“ an seinen Gedanken teilhaben. Zuweilen bewegt sich die Ereigniskette etwas zäh und nicht jede Szene bringt die Geschichte weiter. Ein bisschen Straffung hätte dem Roman gut getan. Doch Geduld wird belohnt. Die Erzählstränge entwickeln sich zwar langsam, dringen jedoch nach und nach tief in den faszinierenden Hintergrund der Geschichte vor. Wissen ist ein wertvolles Gut, das allerdings niemandem nützt, wenn es nicht geteilt wird. Dieses Dilemma stellt den roten Faden der Geschichte dar.

Auf Roadtrips zu phantastischen Geheimnissen

Die Protagonisten reisen unabhängig voneinander durch das gefährliche Gebiet am Byarla-Gebirge im der Fyrsthenei Kahsell: Shernay und Deruonn, die Bewahrer und der Barde Garru aus Reyalun, die Graavessa Nimry und der Treck mit Flugfeuer, Graav von Flynnt sowie der Weiseste Orstyn. Immer wieder greifen Feinde und monströse Kreaturen an. Doch der gefährlichste Gegner lauert im Versteck und wartet auf seine Gelegenheit. Im letzten Viertel des 776 Seiten starken Romans treffen alle aufeinander.

Das Thema Mangel an faszinierenden Frauenfiguren erübrigt sich in Jo Honischs Romanen. Ich kenne wenige Autoren und Autorinnen, die so viele faszinierende Protagonistinnen erschaffen, glaubwürdig und selbstbewusst auch in einer patriarchischen Welt. Tanya Huff fällt mir spontan als weiteres Beispiel ein. Shernay und Nimry finden in einer mittelalterlich anmutenden Männergesellschaft ihren Weg in ein selbstbestimmtes Leben. Vor allem die Nichte des Fyrsthen, die im Schnellverfahren verheiratet wird, wandelt sich vom unerfahrenen Angsthasen zur mutigen Anführerin. Die Archivarin, eine kluge und gebildete Dame, deren Leben und Partner vorbestimmt sind, verliebt sich Hals über Kopf in einen exotischen Fremden. Ihre Leidenschaft wird zur tödlichen Gefahr, als beiden klar wird, wer und was der andere wirklich ist. Nicht nur Deruonn, sondern auch der Graav von Flynnt, sein Adjutant Griðyon oder der geheimnisvolle Orstyn durchlaufen interessante Persönlichkeitsentwicklungen.

Leidenschaftliche Schreibe

Jo Honisch schreibt mit einer Leidenschaft, die ich in der Form nur bei der in diesem Jahr entdeckten Amerikanerin Nnedi Okorafor vorgefunden habe. Ganz nah an den Gedanken und Gefühlen der Protagonisten erzählt die Autorin ihre Geschichte in kurzen Sätzen, Ellipsen, und eingängigen Metaphern. Manchem Satz liegt eine tiefe Weisheit inne, die nicht allein der Geschichte dient. Sondern gesellschaftliche Entwicklungen prägnant auf den Punkt bringt:

»„Manche Mythen beruhen auf Wahrheit“ gab Shernay zu bedenken. [..]
„Die meisten sind nichts als Politik“ wandte er abwertend ein. „Erfundene Gründe, warum etwas so oder anders ist. [..] Götter oder Ungeheuer – irgendwas passt immer.“
„Du bist zynisch, Deruonn.“ [..]
„Zynismus ist die Betrachtung der banalen Wahrheit aus dem Blickwinkel des Wissenden.“ gab er zurück. « [S. 60]

Zu kritisieren gibt es lediglich, dass Ju Honisch bezüglich der Länge des Romans des Guten ein wenig zu viel gewollt hat und dass der Buchtitel „Blutfelsen“ in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geschichte steht. Das Finale bietet allerdings atemberaubende Spannung pur und eine überraschende und zugleich runde Auflösung. Insgesamt ist „Blutfelsen“ ein innovativer und dramatischer Fantasy-Roman, wunderschön und gekonnt getextet. Liebhaber anspruchsvoller Fantasy werden an „Blutfelsen“ und „Seelenspalter“, dem Auftaktroman der Reihe, viel Freude haben. Ich hoffe, dass noch viele Klingenwelt-Romane folgen werden.

Eva Bergschneider

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Blutfelsen
Die Geheimnisse der Klingenwelt Band 2
Ju Honisch
Fantasy
Droemer-Knaur
Mai 2018
776

Funtastik-Faktor: 80

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