Gegenentwurf zur Tolkien’schen Völkerfantasy
Mögt ihr Elfen? Ihr wisst schon – den Tolkien Verfilmungen sei Lob und Dank – diese großgewachsenen, ein wenig magersüchtig ausschauenden Wesen, deren magische Kräfte dem ‚Guten‘ stets zum Sieg verhelfen?
Nun, wenn ihr wirklich diese Wesen verehrt und auf der Suche nach literarischem Nachschub seid, dann macht einen weiten Bogen um das hier besprochene Buch „Broken Sword“ von Poul Anderson.
Hier begegnen euch Elfen, die denen der nordischen Mythen entsprungen sind. Wilde Wesen, grausam, eigennützig und voller Intrigen sind sie. Sie verachten die Anhänger des weißen Christos. Sie sehen alle Menschen als schwach und ehrlos an, kämpfen gegen Trolle und lassen es sich im Feenreich gut ergehen.
Es ist die Zeit der Wikinger, der noch unbezwingbaren Herrscher der Meere. Orm, ein Freisasse aus Jütland befindet sich gerade auf Kaperfahrt, als der Elfengraf Imric seinen noch ungetauften Sohn Skafloc entführt und durch ein Wechselbalg, Valgard genannt und zur Hälfte Elf und Troll, ersetzt. Im Krieg der Elfen gegen die Trolle kann nur ein Mensch das mystische Schwert führen, das den Sieg beschert.
Die Wege der im Säuglingsalter Ausgetauschten Skafloc und Valgard kreuzen sich am Hof der Trolle, nachdem beide zu Männern herangewachsen sind. Valgard, bei den Menschen zum Mörder geworden, floh mit seinen Schwestern zum Volk seiner Mutter. Dem gefangenen Menschen aus dem Elfenvolk, Skafloc, gelingt es, von dort zu entkommen und die Schwestern Valgards zu befreien. Dafür hat er einen guten Grund, denn er verliebte sich in Freda. Dass die von ihm gefreite holde Maid in Wahrheit seine leibliche Schwester ist, wissen weder er noch sie.
Wenn die Getauschten das nächste Mal aufeinandertreffen, so die Prophezeiung, dann wird Blut fließen. Es werden die Schlösser der Elfen geschleift, Tyrfing, das verfluchte Schwert in Blut gebadet und Ragnarök bricht an.
Kein klassischer Held, kein generischer Bösewicht
Der vorliegende Roman erschien bereits zweimal auf Deutsch. Zunächst legte es der Bastei Lübbe Verlag unter dem Titel „Das geborstene Schwert“ auf, Später brachte Heyne in seiner Sammlung „Meisterwerke der Fantasy“ eine leicht überarbeitete Version des Klassikers heraus. Nun also versucht der umtriebige Mantikore Verlag eine weitere Lesergeneration an die Mischung aus historischer Wikinger-Saga und Fantasy um Asen, Elfen und Trolle heranzuführen.
Die Originalversion von Poul Andersons Saga erschien bereits 1954, zeitgleich mit „The Fellowship of the Ring“ von J.R.R. Tolkien. Der 1971 zuerst auf Deutsch veröffentlichte Text hat bis heute nichts von seiner Faszination verloren. Die Geschichte und vor allem die Charakterisierung der Völker stellen allerdings einen Gegenentwurf zu Tolkiens literarischer Welt dar. Vielmehr orientierte sich Anderson inhaltlich und stilistisch an den Sagas der Nordischen Mythologie. Daher eröffnet sich dem Leser ein ganz anderes Bild, als ihm in den meisten anderen Völkerfantasy-Romanen geboten wird. Hier gibt es weder den entwicklungsfähigen Helden, dem man in das Abenteuer folgt, noch den finsteren Antagonisten. Auch wenn es am Anfang den Anschein erweckt, als habe der Autor mit Valgard einen solchen Bösewicht eingeführt. Doch Anderson zeichnet den Wechselbalg differenziert und auf eine Art, in der der Leser dessen Motivation verstehen, wenn auch nicht billigen kann.
Es ist großes Kino, das den Rezipienten hier erwartet. An Dramatik ist „Broken Sword“ kaum zu übertreffen. Wie es in nordischen Epen üblich ist, gibt es keinen Triumphator. Dafür aber jede Menge Verwicklungen, Götter, Magie und Hexen, eine tragische Liebesgeschichte und natürlich packende Kämpfe satt. Atmosphärisch dicht, temporeich und inhaltlich mitreißend, verwöhnt der Text auch heutige Leser durch seine Andersartigkeit und überbordende Wucht.
Carsten Kuhr
Fantasy
Mantikore Verlag
September 2019
360
Funtastik-Faktor: 81