Magie, Musik und Spannung pur
April 1926: Vincent Lefèvre betreibt in Paris den Nachtclub „Nuits Folles“. Das die Gäste ausbleiben, liegt nicht an der Konkurrenz durch das Moulin Rouge, sondern an der geheimnisvollen Methusalem-Seuche, die immer mehr Opfer fordert. Die Pariser bleiben daheim, anstatt sich zu amüsieren. Ihren markanten Namen verdankt die tödliche Krankheit dem Erscheinungsbild ihrer Opfer. Sie altern von jetzt auf gleich und sterben als Greise, selbst wenn sie kaum das Erwachsenenalter erreicht haben.
Der schlechte Umsatz macht Vincent leichtsinnig. Er verzockt fünftausend Franc beim Pferderennen, die er sich von einer berüchtigten Gangster-Lady geliehen hatte. Schuldeneintreiber hinterlassen bei Vincent ihre Visitenkarte in Form einer gebrochenen Nase. Zum Glück weiß der Kioskbesitzer Bébère, wie man sie wieder richtet. Trotzdem will sich der Barbesitzer die zehntausend Franc verdienen, die die Polizei als Belohnung für den entscheidenden Hinweis zur Lösung der Methusalem Todesfälle ausgesetzt hat. Mit Partnerin Magali und Freund Gustave gerät Vincent an skrupellose Gegner mit ungewöhnlichen Talenten.
Andrej, ein verarmter Musiker aus Warschau, gibt seine stumme Tochter Anna schweren Herzens in die Obhut von Maestro Menotti, der ihre besondere Begabung entdeckte und fördern will. Der Dirigent schenkt ihr eine aus Blutahornholz gefertigte Klarinette, zu der Anna sofort eine Verbindung spürt, so wie elf weitere Musiker der „Philharmonie der zwei Welten“ zu ihren Instrumenten. Die Konzerte dieses Orchesters verzaubern Musikliebhaber in ganz Europa.
Rätselhafte Todesfälle und viele andere Geheimnisse
Schon in „Präludium“ hat die Autorin Miriam Pharo die Musik Chopins als Leitfaden für die Geschichte verwendet, in „Der Bund der Zwölf“ sind es magische Instrumente. Zufälligerweise ist diese nun die dritte Rezension in Folge, die ein Buch vorstellt, in dem die Musik ein zentrales Thema ist. In Christoph Hardebuschs „Feuerstimmen“ verzaubert der Gesang der Barden die Welt. Musik ist also ein dankbares Thema und ein ideales Element in der Phantastik.
Im Auftakt des Romans “Der Bund der Zwölf“ ergießt sich Beethovens „Pastorale“ wie ein Unwetter über Musiker und Publikum. Miriam Pharo erschafft durch die Beschreibung der Musik mit wenigen Worten eine magische Atmosphäre. Und die wird sich als roter Faden durch den ganzen Roman ziehen.
Überwiegend erzählen zwei Protagonisten die Geschichte aus ihrer Sicht; Vincent die Geschehnisse um mysteriöse Todesfälle in Paris 1926, Anna den tragischen Werdegang der „Philharmonie der zwei Welten“. Immer wieder springen Handlungsabschnitte an unbekannte Nebenschauplätze, oder in die Vergangenheit. Aus ungewöhnlicher Perspektive, zum Beispiel der einer Kanalratte oder eines anonymen Bösewichts, erfährt der Leser Hintergründe zum Plot. Diese Erzählweise wirkt ein wenig experimentell und nicht immer gelingt es der Autorin, diese Szenen passend in das Handlungsgerüst einzubauen. Mancher Schnitt ist zu hart gesetzt und unterbricht den Lesefluss. Doch andererseits ermöglichen diese Intermezzi einen interessanten Blick auf die Entwicklung der Ereignisse oder führen zu weiteren Rätseln und auf falsche Fährten. Miriam Pharos variantenreicher Schreibstil, von lakonisch knapp bis emotional und dramatisch, erzählt die Geschichte temporeich und dennoch mit vielen historischen und phantastischen Details.
Die Protagonisten setzt die Autorin gekonnt in Szene. Gerade weil die Figuren dem leicht surrealen Setting entsprechend überzeichnet sind, entziehen sie sich jeglichem Klischee, sind lebendig und einzigartig. Auch Nebenfiguren, wie der deutschen Kioskbesitzer Bébère oder der schwule Polizist und Orchideenliebhaber Emile wachsen dem Leser sofort ans Herz, eben weil sie, wie alle Akteure, ihre kleinen Geheimnisse haben. Die Autorin schont ihre Charaktere jedoch nicht, sondern konfrontiert sie mit Schrecken und Leid.
„Der Bund der Zwölf“ entführt den Leser in eine mystische Version des frühen 20. Jahrhunderts und zu einem gruseligen Verbrechen. Der Handlungsaufbau weist zwar einige Lücken auf. So erfährt man zum Beispiel nie, warum gleich zu Anfang die Methusalemseuche als Kriminalfall behandelt wird. Hier hätte etwas mehr Hintergrund die Geschichte runder gemacht. Die kleinen Mängel tun jedoch der atemberaubenden Spannung der Story keinen Abbruch. Das spektakuläre Finale in den Katakomben von Paris hält unangenehme Überraschungen bereit und verlangt Vincent und seinen Mitstreitern noch einmal alles ab. Am Ende ist nicht alles gut und auch nicht jedes Geheimnis gelüftet. Doch das hätte auch nicht zu so einer komplexen Story voller Mysterien gepasst. Was allerdings perfekt dazu passt, ist Miriam Pharos innovative Art zu schreiben, leidenschaftlich und mit einer Vorliebe für intensive Bilder. Dieser Schreibstil hebt den Selfpublishing-Roman aus der Masse der oft allzu maßgeschneiderten Verlagspublikationen hervor. Das Besondere an diesem Buch spiegelt sich auch im wunderschönen Buchcover mit dem sich auflösendem Cello wieder, ein Bild das die Atmosphäre der Geschichte einfängt und die Phantasie beflügelt.
„Der Bund der Zwölf“ war in diesem Jahr für den Phantastik-Literatur Preis SERAPH in der Kategorie „Beste Indie-Veröffentlichung“ nominiert, absolut zu Recht. Schön, dass es endlich eine solche Würdigung auch für Selfpublishing Bücher gibt.
Eva Bergschneider
Phantastik-Plus
TWENTYSIX
Februar 2016
380
Funtastik-Faktor: 78