Schöne neue Welt im hier und jetzt
Der Roman „Der Circle“ von Dave Eggers galt schon kurz nach seinem Erscheinen als moderner Dystopie-Klassiker à la George Orwell „1984“ oder Huxleys „Schöne neue Welt“. Im Gegensatz zu diesen Werken entwarf der Schriftsteller Dave Eggers, als er „The Circle“ schrieb, allerdings kein weit in der Zukunft liegendes Weltbild, sondern entwickelte das bereits 2013 existierende weiter. Eggers schaute in die Welt der Social Media Konzerne wie Facebook oder Google: global agierende, allgegenwärtige Unternehmen, die unsere Gesellschaft vernetzten und mit persönlichen Informationen Geschäfte machen. Die jedem Menschen auf der Erde digitale Interaktionsplattformen zur Verfügung stellen und so die Art und Weise unserer Kommunikation prägen – und gar lenken?
Die junge Mae Holland hofft auf eine steile Karriere bei dem Unternehmen Der Circle. Sie fängt in der Abteilung Customer Experience an, wo sie Standardantworten an Kunden individualisiert. Das wichtigste dabei ist, ein positives Feedback zu erhalten, Benchmark Minimum 98%. Das Ziel schafft sie leicht, auch noch als ihr kurze Zeit später ein großes Team unterstellt wird. Der Circle bietet seinen Mitarbeitern das Rundum-Sorglos Paket: Krankenvorsorge durch Online-Überwachung der Vitalfunktionen, unbegrenzte Freizeitangebote inklusive Wohnmöglichkeit. Die Firma verlangt dafür allerdings bedingungslose Hingabe. Kritisiert wird nicht Maes Arbeitsleistung, sondern die fehlende Teilnahme an Kulturevents und die mangelnde Kommunikation im internen Netz. Also setzt sich Mae über Nacht an den Rechner und klickt stundenlang „frownende“ und „smilende“ Emojis an. Dafür gibt es die Beförderung zum Video-Star. Die Kamera um Maes Hals vermittelt ihren Followern fast an 24/7 Stunden und Tagen Echtzeitbilder aus ihrem Leben. Die Kunden sollen zu schätzen lernen, dass um ihrer Sicherheit willen ihr Leben auf Schritt und Tritt überwacht wird. Denn sie haben ja nichts zu verbergen.
Plausibles Gesellschaftsbild mit leidlich spannender Handlung
Im Jahr 2017 stellt man fest, dass seit dem Erscheinungszeitraum des Romans noch mehr von dieser schönen neuen Welt Realität geworden ist. Jede Interaktion im Netz fordert heute ein Feedback, wenigstens einen Klick des Daumens, hoch oder herunter. Wer registriert diese Meinungsäußerung? Terroranschlägen folgt unweigerlich die Forderung nach mehr Überwachung, mehr Polizei, mehr Offenlegung privater Daten. Was haben zum Beispiel Großbritannien die CCTVs in jeder Stadt und die härtesten Überwachungsgesetze an Sicherheit gebracht?
Dave Eggerts Gesellschaftsentwurf spiegelt diese politischen Tendenzen, einerseits jegliche Kriminalität durch lückenlose Überwachung eliminieren zu wollen und andererseits die zunehmende Akzeptanz dessen durch die Gesellschaft, wider und überzeichnet sie. Das Ergebnis dieses Entwurfs einer nahen Zukunft ist erschreckend plausibel. Als dystopischer Thriller funktioniert „Der Circle“ dennoch nur bedingt. Die Charakterisierung der Protagonistin ist teilweise gut nachvollziehbar, teilweise aber zu stereotyp und oberflächlich gezeichnet, zum Beispiel in der Beziehung zu ihren Eltern. Hier bleiben die wesentlichen Fragen offen, die wichtigsten Dinge ungesagt. Zu oft verfängt sich die Handlung in Wiederholungen. Sie erscheint vorhersehbar und läuft schnurgerade auf ein Ende zu, das mit einer bedauerlich banalen Auflösung aufwartet.
Als Sprecher für das Hörbuch wurde Torben Kessler verpflichtet und der Schauspieler ist die perfekte Wahl. Kessler versteht es an den richtigen Stellen Unruhe oder Gefühlskälte in die Beschreibung oder in den Dialog einzubringen. Die Stimmfarben der Charaktere unterscheiden sich nicht so sehr durch verschiedene Tonlagen, sondern eher durch emotionale Nuancen. Die Art wie Kessler den CEO Eamon Bailey spricht, beschwört das Bild einer charismatischen Person herauf, die Menschenmassen in ihren Bann zieht.
Eva Bergschneider
Phantastik Plus
Hörbuch Hamburg
2014
10 Stunden, 2 Minuten
Funtastik-Faktor: 67