Zwischen Märchen, Geschichten und dem brutalen Leben
Aaron Tristen ist ein vom Erfolg verwöhnter Bestsellerautor. In die Herzen seiner Leser hat er sich geschrieben, indem er verschiedene Kreaturen gegeneinander antreten ließ wie z.B. „Engel gegen Zombies“. Er fühlt sich gehetzt und bevormundet von seinem Verleger und seiner Lektorin Willi, die stets und ständig versucht, ihm den Rücken frei zu halten. Das geht so lange gut, bis er nach einer Lesung betrunken und voller Kokain eine Horde Orks verprügelt. Er hatte sie belauscht, als sie seine Romane als unterirdischen Schund bezeichneten. Doch anstatt sich dem Mist zu stellen, den er verbockt hat, packt er seinen Rucksack voller Geld und eine Blechschatulle hinein und haut ab nach Leipzig. Scheinbar verhindern Zufälle, dass er reumütig in den Schoß des Verlages zurückkehrt.
Christian von Aster hat die Geschichte eines Anti-Helden zu Papier gebracht. Mit asterscher Sprachraffinesse und mit vielen coolen Ideen. Da er dies so gut kann, ist dem Leser dieser Typ spätestens mit Kapitel IV so unsympathisch, dass er das Buch in die Ecke pfeffern und lieber den liegen gebliebenen Hausputz erledigen möchte. Sein Protagonist beherrscht das Jammern auf hohem Niveau. Anstatt die Ärmel hochzukrempeln und dafür einzustehen, was ihm wichtig ist, sind alle anderen schuld. Der Leser fühlt sich, als hätte Tristen ihn persönlich im Stich gelassen und beleidigt. „Obergäriges Arschloch“ beschimpft ihn seine Lektorin mit Recht. Sie kündigt ihm die Freundschaft, der Verlag kündigt seinen Vertrag. Damit hat er das Ende der Fahnenstange lange nicht erreicht. Mit seinem unsympathischen Protagonisten prangert von Aster die Verlagsbranche an, die auf dem Weg zum Profit über Leichen geht und selbst ihren Bestseller-Autoren Bedingungen aufbürdet, die moralisch unter der Gürtellinie sind.
Welche vier Bücher nimmst Du mit auf die einsame Insel?
Von Aster erfindet tragikomische Situationen und gibt seinem Anti-Held skurrile Charaktere an die Seite, die ihn Stück für Stück wieder zu sich selbst finden lassen. Wer ihn kennt, weiß um seine Vorliebe für Kurzgeschichten. Von Aster streut fantastische in die Rahmenhandlung des „Orkfresser“. Sein Protagonist wird von unsichtbaren Wesen begleitet. Das gibt dem Ganzen immer wieder einen surrealen Touch.
„Weil das Schreiben ein Erlebnis ist, weil Rechtschreibung und Zeichensetzung nebensächlich sind und das ganze verschissene Alphabet deiner Gefühle darauf wartet, von dir entdeckt zu werden.“ [S. 188]
Der Roman feiert das Geschichten erzählen an sich, fern vom schnöden Mammon, Verkaufszahlen, der Meinung des Feuilletons. „Orkfresser“ gibt sich bösartig amüsant, sarkastisch, zynisch oder humorvoll. Bei allen unwahrscheinlichen Dingen, die im Roman passieren, waren einige dabei, die vorhersehbar waren und zu wenig Überraschung boten. Zum Beispiel, dass der Protagonist irgendwann ohne einen Cent da sitzt. Nicht jede Kurzgeschichte im Buch endete mit einer neuartigen Pointe. Als Leser einschlägiger Literatur gibt es an vielen Stellen Reminiszenzen an geliebte, teils vor zig Jahren gelesene Bücher der internationalen Phantastik-Szene. Von Aster setzt sie mit klassischer Literatur in Verbindung und schafft so Fantasie und Gehirne beflügelnde Assoziationen.
Aus dem türkisfarbenen Cover – warum nicht grün wie Orks? – guckt uns ein mutierter Gorilla von einem in eine altmodische Schreibmaschine eingespannten Blatt Papier entgegen. Über Geschmack kann man bekanntlich nicht streiten, doch im Vergleich mit Covern begnadeter Illustratoren, die von Asters Bücher schon illustriert haben wie Ben Swerk, Holger Much oder Sergej Schell fällt es qualitativ herunter.
Das Buch lässt den Leser zwiegespalten zurück. Zum einen die ausgefallene Sprache, das Lob der Literatur, die abgefahrene Story im heimlichen Leipzig. Zum anderen der Zweifel, ob Aaron Tristen sein Leben endlich lebt. Und der Zweifel daran, dass Verleger nach Lektüre des „Orkfressers“ autorenfreundlicher werden. Die meisten lesen es vermutlich nicht, womit von Aster Perlen vor die Säue geworfen hat und nur die erreicht, die sowieso seiner Meinung sind.
Amandara M. Schulzke
Fantasy
Klett-Cotta
März 2018
352
Funtastik-Faktor: 68