Einstieg in ein gewaltiges Epos
Der Sklave Kaladin, verurteilt als Deserteur, wurde als Brückenmann an Großprinz Sadeas verkauft. Dessen Armee kämpft auf der zerbrochenen Ebene gegen die Parschendi, ebenso sechs weitere Truppen Roschars . Die Brückenmänner tragen schutzlos große Holzbrücken über die Klüfte. Soldaten überqueren sie, um zu den Plateaus zu gelangen, auf denen die Kämpfe stattfinden. Am Tag des Friedensvertrages vor langer Zeit hatten die Parschendi den König gemeuchelt. Bis jetzt war nicht klar, aus welchem Grund.
Zeitgleich macht sich die junge Edelfrau Schallan Davar auf einen strapazenreichen Weg, um bei der größten Gelehrten des Reiches, Jasna Kholin vorstellig zu werden. Offiziell will sie ihr Mündel werden und später selbst Gelehrte. Ihr wahrer Plan lautet, Jasnas Seelengießer zu stehlen. Er scheint der letzte Ausweg zu sein, ihre Familie vor dem finanziellen Ruin zu bewahren.
Großprinz Dalinar Kholin, der Bruder des ermordeten Königs, ist Berater und engster Vertrauter seines Neffen und Königs. Während der Großstürme überfallen ihn Visionen von strahlenden Rittern und längst vergangenen Zeiten. „Vereinige sie!“, lautet die Aufgabe, die er in jeder Vision hört. Der König fürchtet berechtigterweise um sein Leben. Dalinar und dessen Sohn Adolin sollen ihn vor Attentätern beschützen.
„Es werden Zeiten kommen, in denen Du Entscheidungen treffen musst, die dir den Magen umdrehen werden.“ S.874
Der Zweifel über den rechten Weg
Sanderson nimmt sich Zeit und Raum, die Hauptcharaktere einzuführen. Der Autor zeigt uns die Vergangenheit Kaladins und Shallans. Einige Geheimnisse deutet er in diesem ersten von zehn geplanten deutschen Bänden an. Für ungeübte Leser mag der Einstieg verwirrend und langatmig sein. Wer Epen und Legenden vom Stil des „Der Herr der Ringe“ verehrt, wird dieses Buch lieben und verschlingen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich gewisse Dinge erst beim zweiten Mal lesen beziehungsweise hören verstanden, nachdem ich die anderen vier Hörbücher bereits kannte. (In deutscher Sprache ist im April 2019 der 6. Band/Hörbuch erschienen.) Bei mir gab es den „Aha“-Effekt, endlich Episoden, Figuren und Szenen in den Gesamtzusammenhang einordnen zu können.
Allen Hauptfiguren gemeinsam ist der Zweifel. Äußere Ereignisse und Situationen führen dazu, dass sie ihr Handeln und Fühlen überdenken. Sie wollen das Richtige tun, doch hadern ständig, ob sie auf dem rechten Weg sind. Der Autor schafft vielschichtige Haupt- und Nebencharaktere, deren Eigenheiten Sprecher Detlef Bierstedt auf gewohnte Weise ausgezeichnet darstellt. Der Hörer hat oftmals das Gefühl, dass verschiedene Menschen vor dem Mikrofon sitzen. Sanderson taucht tief in die Strukturen menschlicher Gemeinschaften ein. Sklave Kaladin versucht als Brückenführer, seine Leute vor dem sicheren Tod zu bewahren. Tiefes Misstrauen begegnet ihm von den Todgeweihten. Schallan spielt das naive Mädchen vom Lande. Sie will unbedingt ihr Ziel erreichen, in einem Königshof voller Intriganten überleben und geheim ihre eigene Intrige spinnen. Großprinz Dalinar soll das einzige aufrechte und ehrliche Hellauge – so nennen sich die Adligen – im Reich sein. Doch alle Bemühungen, die konkurrierenden Großprinzen zu vereinen, werden nur hämisch belächelt. Schließlich soll er verrückt geworden sein, tuscheln die Edelleute und Soldaten hinter seinem Rücken. Nur sein ihn verehrender Sohn Adolin hat den Mumm, ihm das ins Gesicht zu sagen. Der Autor schafft Gemeinschaften voller Verbündeter, scheinbar Verbündeter und ihre Gegenspieler und Feinde.
„Mit dem Frieden ist kein Gewinn zu machen.“ S. 576
Vom Sturmlicht, Edelsteinen und Kluftteufeln
Von allen Büchern, die ich in den letzten Jahren las, haben die „Sturmlichtchroniken“ den außergewöhnlichsten und beeindruckendsten Weltenbau. Sanderson ist der Meisterschüler Robert Jordans und seines „Rad der Zeit“, das er kongenial vollendete. Jordan starb vor der Fertigstellung. Die „Sturmlichtchroniken“ gehen mit ihrer phantastischen Welt noch darüber hinaus. In dem ersten Band erfährt der Leser vom Sturmlicht und von den Edelsteinen, die durch dieses Licht aufladen. Von den grausamen, starken Kluftteufeln, die Parschendi und Menschen gnadenlos wegen ihrer Edelsteinherzen jagen. Sanderson erklärt den Rachepakt. Die Sage geht, dass die Strahlenden ihre Splitterklingen und -rüstungen vor Jahrtausenden hinterlassen haben. Die große Frage bleibt, warum und wohin sie verschwanden. Was hat es mit der Wüstwerdung auf sich? Haben sie die Menschen verraten?
Drei Meister – Autor, Übersetzer und Sprecher – im Hörbuch vereint
Detlef Bierstedt liest diese Ereignisse unaufgeregt. Gerade dadurch, dass die ungeheuerlichsten Begebenheiten in dem Bierstedt-typischen Jargon vorgetragen werden, erhalten sie Bedeutsamkeit und Erhöhung. Übersetzer Michael Siefener gelingt das Kunststück, unbekannten magischen Begriffen und der gesamten Welt eine deutsche Entsprechung zu geben. Das beste fremdsprachige Schriftstück ist bei uns nur so viel wert wie der Übersetzer, dessen Arbeit zu oft zu wenig gewürdigt wird. Im Falle des „Der Weg der Könige“ ist der Übersetzer ein Künstler. Das macht es überflüssig, auf die Qualität des Stils einzugehen.
Bei aller Phantastik taugt ein Roman nur, wenn er die philosophischen und politischen Grundfragen unserer Zeit aufgreift. Das macht Brandon Sanderson manchmal nur in einem Nebensatz eines Dialogs, streckenweise mit inneren Monologen. Bereits in diesem allerersten Band steckt ein zukunftsweisender Appell an die Menschheit, den ich nicht spoilern werde, weil dessen Ignoranz die Ereignisse in den Folgebänden eskalieren lässt.
Das Hörbuch saugte mich in die Welt Roschars, ich gab dem Drang nach und kaufte die gebundene Ausgabe. Welch Prachtstück! Die Innenillustrationen und Grafiken zu den Kapiteln rufen ein plastischeres und vollständigeres Bild der phantastischen Welt und einzelner Orte und Begebenheiten hervor. Mit dem Buch hält der Leser ein wahres Epos in den Händen.
Amandara M. Schulzke
Die Sturmlicht-Chroniken
Fantasy
Heyne, randomhouse, audible
Januar 2011
896 Seiten, 28 Stunden
Funtastik-Faktor: 96