Ein Autor stellt sich einer Herausforderung
Über Jim Butchers »Harry Dresden«-Reihe wurde hier auf phantastisch-lesen ja schon einiges geschrieben. Doch der Autor verfasst eben nicht nur Geschichten mit seinem berühmten Magier, sondern auch andere Romane, die in ihrer eigenen Welt spielen. Wie zum Beispiel die sechsteilige »Codex Alera«-Reihe, deren erster Teil »Die Elementare von Calderon« hier nun besprochen wird.
Was den Autor dazu brachte, diese Geschichten zu schreiben, war eine Herausforderung, die ihm ein Freund stellte. Es sollte eine Erzählung werden, die auf zwei Themen basierte, die in der Literatur schon öfter verarbeitet wurden. Das erste Thema: die Geschichte sollte in einem Reich ähnlich dem des römischen Imperiums spielen, das vor langer Zeit unterging. Das zweite Thema: Pokémon -artige Figuren sollten dabei sein, also vielfältige Kreaturen, die anhand ihrer jeweiligen elementaren Natur unterscheidbar waren.
Rom meets Pokémon
Jim Butcher nahm sich dieser Herausforderung an. Seine »Codex Alera« -Saga spielt im Imperium von Alera. Die Ursprünge dieses über 1000 Jahre alten Reiches sind im Laufe der Zeit verloren gegangen. Doch der Hintergrund der Geschichte deutet an, dass eine römische Legion auf unbekannte Weise in diese neue Welt gelangte. Dabei entdeckten sie, dass es hier sogenannte Elementare gibt, jeder für sich einzigartig. Das Besondere ist, dass mittlerweile jeder Aleraner mindestens ein solches Wesen als Partner gewonnen hat und diese Partnerschaft ein Leben lang hält.
»Die Elementare von Calderon« spielt im Calderon-Tal. Der Protagonist ist ein besonderer Junge mit dem Namen Tavi. Denn anders als seine Altersgenossen besitzt er keinen Elementar, beziehungsweise er kann keinen an sich binden und dessen Kräfte nutzen. Tavi lebt mit seiner Mutter Isana und seinem Onkel Bernard auf einem Gutshof und hütet Tiere. Eines Tages bemerkt er zufällig die Invasion der Marat, einer menschenähnlichen Rasse, die sich mit Reittieren verbindet. Tavi versucht das Unmögliche und setzt alles daran, die ahnungslosen Bewohner des Tals zu retten.
Kein Harry Potter
Jim Butcher sagte einmal über die Figur Tavi, dass er ihn bewusst als eine Art Anti-Harry Potter konzipierte. Dieser Hirtenjunge steht nicht aufgrund seiner Begabung und seines Ursprungs im Mittelpunkt des Interesses. Bei Tavi verhält es sich komplett anders. In einer Welt, wo die Partnerschaft mit Elementaren selbstverständlich ist, sticht er eben durch seine nicht vorhandenen Fähigkeiten hervor. Er ist von Anfang im Nachteil und hat, anders als der bekannte Zauberlehrling, keine Freunde, die ihn bei seinem Abenteuer unterstützen. Stattdessen muss er sich auf sich selbst verlassen.
Und hier kommt seine wichtigste Eigenschaft: Tavi ist keineswegs hilflos und beklagt auch nicht sein Schicksal. Im Gegenteil: Er lernt, wie er aus seiner Schwäche einen Vorteil gewinnen kann. Tavi ist intelligent und gewieft und wächst dadurch dem Leser schon von der ersten Seite an ans Herz.
Glaubwürdige Gegenspieler
Auch die Antagonisten charakterisiert der Autor großartig. Er stellt die Marat einerseits als »Wilde« dar. Jedoch auch differenziert. Es wird klar, dass ihre Art zu leben keineswegs unzivilisierter ist, als der geordnete Lebensstil der Aleraner. Dabei vermeidet Jim Butcher jegliches Klischee eines edlen Ureinwohners.
Eine Dritte Fraktion in diesem Roman sorgt dafür, dass die Dinge eskalieren. Auch hier gilt es für den Rezensenten erneut zu betonen, wie gut Jim Butcher die Charakterisierung gelungen ist. Denn obwohl sie als vermeintliche Bad Guys durch ihr Intrigenspiel das Leben Unschuldiger gefährden, sind ihre Motive und Gründe nachvollziehbar.
»Die Elementare von Calderon« ist ein spannend geschriebener Roman, der zeigt, dass Jim Butcher aus aberwitzigen Vorgaben das Beste herausholt. Anstatt Klischees findet der Leser hier eine vielschichtige Erzählung, die von der ersten bis zur letzten Seite fasziniert. Ein grandioser Auftakt zu einer hoffentlich insgesamt gelungenen Reihe.
Götz Piesbergen
Codex Alera-Band 1
Fantasy
Blanvalet Verlag
September 2013
608
Funtastik-Faktor: 100