Fallstudien – Jim Butcher

Neunmal neue Perspektiven aus dem Dresdenverse

Fallstudien - Jim Butcher © Feder & Schwert
Fallstudien © Feder & Schwert

Es ist noch nicht lange her, dass der Feder und Schwert Verlag die Anthologie »Im Auftrag des Yeti« herausbrachte. Sie versprach den Fans ein heiß ersehntes Wiedersehen mit der »Die Dunklen Fälle des Harry Dresden«-Reihe. Allerdings sorgte das Erscheinen des Buches für ziemliche Kontroversen, da die enthaltenen Kurzgeschichten einfach so aus dem zu der Zeit hierzulande noch nicht erschienen »Brief Cases«-Erzählband entnommen worden waren. Unter anderem war dies ein Grund dafür, wieso die Sammlung in meiner Kritik am Ende nur eine mittelmäßige Bewertung erhielt.

Jetzt liegt endlich die deutschsprachige Ausgabe der »Brief Cases« Anthologie mit dem Titel »Fallstudien« vor. Der Verlag entschied klugerweise, die für »Im Auftrag des Yeti« entnommenen Kurzgeschichten nicht noch einmal darin zu veröffentlichen. Es wird also nicht doppelt abkassiert, was beruhigend ist. Bei einem Umfang von 390 Seiten fehlen sie auch nicht.

Harry Dresden ist zurück

»Fallstudien« enthält insgesamt neun Erzählungen. Chronologisch sortiert erzählen sie Ereignisse, die zeitlich gesehen über die bislang bekannte Zeitlinie des Dresdenverse hinausgehen. Die erste Geschichte spielt in einer Zeit deutlich vor dem ersten Band »Sturmnacht«, die finale Erzählung hingegen eindeutig nach dem aktuell letzten Roman »Blendwerk«. Dabei schwankt die Qualität der Geschichten stark, was für Jim Butcher eher untypisch ist. Überwiegend gibt es keinen Grund zur Beschwerde, aber es sind eben leider auch zwei signifikante Ausreißer nach unten dabei.

Schön an dieser Sammlung ist, dass die jeweiligen Erzählungen nicht nur Harry Dresden als Hauptfigur in den Mittelpunkt stellen. Vielmehr bedient sich Jim Butcher aus dem reichen Fundus an Figuren, die er in all den Jahren in das Dresdenverse einführte. Molly Carpenter kennt der geneigte Leser bereits recht gut. Doch hier lernen wir auch das Seelenleben von Figuren kennen, die wir bisher eher oberflächlich betrachtet haben.

Spannung?

Der erste Ausreißer nach unten ist »Mit ruhiger Hand«. Die Geschichte erzählt wie Justine, die Geliebte von Harrys Halbbruder Thomas, Zuflucht bei John Marcone sucht. Denn sie wird von einem Formorer, dem momentan mächtigsten Gegenspieler Harry Dresdens, verfolgt.

John Marcone ist eine faszinierende Gestalt: Ein menschlicher Gangsterboss, der er schaffte, einen Platz in einem Pakt der übernatürlichen Mächte zu ergattern. Er ist kein Sympathieträger, auch wenn Jim Butcher dem Charakter einige positive Seiten zuschreibt. Dass er jetzt seine eigene Kurzgeschichte erhält, ist bemerkenswert. Dennoch langweilt die Erzählung trotz aller Action. Man hat nie das Gefühl, dass die Gefahr für Johnny Marcone wirklich lebensbedrohlich ist. Eben weil man ihn als Überlebenskünstler kennt, der immer auf den Füßen landet. Was hier einen Teil der Spannung nimmt.

Düster

Auch »Ein ungeklärter Fall« kann nicht überzeugen. Es ist die zweite Molly Carpenter-Story in dem Band und die Erste, in der sie in ihrer Rolle als neue Winterkönigin agiert. Diesen Titel erhielt sie nach den Ereignissen im Roman »Eiskalt«. Und in »Blendwerk« konnte man schon einen kurzen Einblick darauf erhaschen, wie sie an der Aufgabe gewachsen ist. In der vorliegenden Geschichte muss sie sich um einen weiteren liegengebliebenen Fall ihrer Vorgängerin kümmern. Jemand hat es auf das Feenvolk des Polarkreises abgesehen und sie muss den Jäger finden. Unterstützt wird sie von Ramirez, einem Freund und Kollegen Harry Dresdens.

Die Geschichte ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Sie ist sogar für »Harry Dresden«-Verhältnisse erstaunlich düster und Molly Carpenter wird als jemand dargestellt, der nicht in der Lage ist, sich und seine Aktionen zu kontrollieren. Vor allem der letzte Aspekt stört, wenn man ihren Auftritt am Ende von »Blendwerk« im Hinterkopf hat. Dort wirkte sie vollkommen kontrolliert. Sie hatte keine Probleme ihre neuen Fähigkeiten anzuwenden, ohne dass es sich auf ihre Persönlichkeit auswirkte. Ganz anders verhält es sich in »Ein ungeklärter Fall«. Es fehlt allerdings jeglicher Hinweis darauf, dass hier eine Entwicklung beginnt, die letzten Endes zu dem erwähnten Verhalten führt.

Einfach nur gut!

Frei nach dem Prinzip  „Das Beste kommt zum Schluss“ ist »Ein Tag im Zoo«, die finale Geschichte von »Fallstudien«, die gelungenste aller Erzählungen. Platziert nach den Ereignissen von »Blendwerk« erlebt man mit, wie Harry mit seiner Tochter Maggie und seinem Hund Mouse eine unbeschwerte Zeit verbringen möchte. Doch die Pflicht erlaubt leider keine Auszeiten. Das Besondere an dieser Story ist, dass sie nicht nur Harry Dresden in den Mittelpunkt stellt. Auch seine Tochter und sein Hund tragen Teile der Handlung. Alle drei müssen sich im Laufe der Geschichte einer besonderen übernatürlichen Bedrohung stellen, die sie jeweils an die Grenzen ihrer Leistungskraft bringen. Zum ersten Mal liest man, wie Maggie und Mouse denken und agieren. Was Jim Butcher übrigens sehr gekonnt in Szene setzt, indem er mit jedem Erzähler die Erzählweise ändert.

Als Fan von »Harry Dresden« macht man mit der Lektüre von »Fallstudien« nichts falsch, obwohl der Erzählband kein Überflieger ist. Doch schon alleine »Ein Tag im Zoo« rechtfertigt den Kauf dieses Buches, trotz der zwei eher schwachen Kurzgeschichten.

Götz Piesbergen

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Fallstudien -
Anthologie aus der Harry Dresden Reihe
Jim Butcher
Fantasy
Feder & Schwert
Oktober 2018
390

Funtastik-Faktor: 70

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