Die Fließende Karte (Silbermeer-Saga Bd. 2) – Katharina Hartwell

Der Weg zur eigenen Identität

Die Fließende Karte (Silbermeer Saga Band 2) - Katharina Hartwell © Loewe
Die Fließende Karte © Loewe

Zum Einstieg in den zweiten Band der „Silbermeer“-Saga, „Die Fließenden Karte“ erzählt Teofin von seinem Weg nach Akoban, zu Edda. Zunächst landet er als Schiffbrüchiger auf einer Insel und trifft auf die Schwestern Agatha und Lor. Genau die, die in seinem Heimatdorf Colm als Göttinnen verehrt werden. Von ihnen erfährt er, dass er eine besondere Begabung hat und einen anderen Weg als den geplanten, einschlagen sollte. Doch es zieht Teofin zu Edda.

Mit einem ergaunerten Schiff segeln Edda, Goldzahn und Teofin nach Bela Haven, um dort die Fließende Karte zu ergaunern. Doch zu ihrer Überraschung erwarten sie die Irsu bereits. Eine Prophezeiung besagt, dass Edda das Volk vor den Wassermännern retten wird. Ein Zufall bewirkt, dass sie tatsächlich helfen kann und in dem designierten Nachfolger des Herrschers, Pantemin, einen neuen Freund gewinnt.  

Die Dürre (Hexe) schickt Edda zurück zu den mittleren Inseln, ins Reich der Kartenspieler Vin Lu. Der Herrscher der Insel, der Kartenmacher, erschuf ausgerechnet kurz vor Eddas Eintreffen eine neue Karte für das Fächerspiel – das Mädchen. Eine Freundin Eddas aus den Tagen als Dachfreie in Akoban hat als rechte Hand des Kartenmachers und Kartenlegerin Karriere gemacht. Dem freudigen Wiedersehen folgt ein schlimmer Verlust. Und eine entsetzliche Vorhersage.

Alte und neue Freunde

»Sie meinte sich in dem tiefen Schwarz von Hervenas Augen zu spiegeln: ein Mädchen mit Flecken auf dem Hemd, Rissen in der Hose, Ratlosigkeit im Blick. So sah keine Hochgeborene aus, keine, die gekommen war, ein Volk zu retten.

[…] Stille senkte sich über den Raum, jedes Flüstern, Wispern, Lachen, Kichern, Murmeln, Rascheln erstarb, als hätte man es wie ein Licht einfach gelöscht.« [S. 91]

Mit Pantemin hat Katharina Hartwell eine neue, überaus faszinierende Figur der Protagonistin Edda zur Seite gestellt. Die Kultur seines Volks, der Irsu, ähnelt der japanischen, das Aussehen seiner Heimat entspricht in etwa den Inseln Südostasiens. An Pantemins Seite wächst Edda zur Heldin und erfährt, um wen es sich bei dem König der Krähen wirklich handelt.

Infried rettete Edda das Leben, als sie in Akoban als Dachfreie überleben musste. Auf Vin Lu gelingt ihr der Aufstieg von der grauen Maus zur mysteriösen Dame. Sie ist vielleicht die faszinierendste Nebenfigur dieser Geschichte; auf Akoban Eddas Mentorin, nun eine Freundin auf Augenhöhe. Und zugleich eine Kassandra ähnlich wie in der griechischen Mythologie.

Teofin begleitet Edda weiterhin auf ihren Weg in den Norden. Ihre Freundschaft steht jedoch auf der Kippe und seine Eifersucht auf Eddas Beziehung zu Pantemin erzeugt eine eisige Stille. Über viele Kapitel hinweg fragt man sich, welche Aufgabe die Autorin Teofin zugedacht hat. Erst ganz am Schluss gewinnt er wieder an Bedeutung für die Queste.

Mutige Wendungen, aber etwas fehlt

„Die Fließende Karte“ erzählt überwiegend von Eddas Queste, der Suche nach ihrem Bruder Tobin. Nachdem der erste Buchteil (Prolog und Kapitel 1 und 2) einen Teil von Teofins Geschichte erzählt, wirkt die anschließende Fokussierung auf Edda und ihre Sicht der Dinge zuweilen etwas fade.  Gelegentlich übernimmt Pantemin als Erzähler, verbleibt aber überwiegend in einer Beobachterperspektive und setzt nur wenige eigene Akzente. Immerhin lernen wir Infrieds Werdegang auf Vin Lu aus ihrer Sicht kennen. Eine schöne Abwechslung, die aber erneut zeigt, dass zusätzliche Handlungsebenen der Geschichte gutgetan hätten.

Ähnliches gilt für die Interaktionen zwischen den Figuren. Nachdem im Auftakt und den ersten Kapiteln dieses Bands die Queste und Charakterentwicklungen durch Zusammenspiel und Konflikte vorangetrieben wurden, fehlt dies in der zweiten Hälfte. Auch Eddas Beziehung zu Pantemin kühlt ab, nachdem er so originell in die Handlung eingeführt wurde. Was wirklich schade ist. Stattdessen agiert sie im Alleingang.

Andererseits beweist Katharina Hartwell sehr viel Mut zu krassen, ungewöhnlichen und äußerst überraschenden Wendungen. Um nicht zu spoilern, verrate ich nicht mehr darüber. Nur, dass sie den im Mittelteil durchhängenden Spannungslevel wieder anheben und viel Lust auf den finalen dritten Band machen.

Fazit

»“Diese hinterhältige, fischstinkende Schlammschabe!“ Edda presste die Worte auf flachem Atem hervor. Pantemin zuckte unwillkürlich und Teofin konnte nicht widerstehen. „Diese mövenverschissenen Flunkerzunge“, fiel er rasch ein. « [S.567]

Obwohl „Die Fließende Karte“ nicht an den Spannungslevel und die Dynamik des Auftaktbands „Der König der Krähen“ herankommt, ist der Roman absolut lesenswert und unterhaltsam. Die Sprache der Autorin ist einmalig kreativ und perfekt auf die Protagonisten und Schauplätze abgestimmt. Allein dieser Schreibstil beschert Lesevergnügen pur. Dazu gesellen sich ein außergewöhnlicher Weltenbau, überzeugende Figuren und ein Abenteuer, dass an unerwarteten Überraschungen, gar Schockmomenten, nichts zu wünschen übriglässt.

Eva Bergschneider

Die Fließende Karte
Die Silbermeer-Saga Band 2
Katharina Hartwell
Fantasy
Loewe Verlag
März 2021
640
Elke Kohlmann/Melanie Korte
77

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