Die Hexenholzkrone 1 – Tad Williams

Wie gute Freunde treffen, die man lange nicht gesehen hat

Die Hexenholzkrone 1 - Tad Williams © Klett-Cotta
Die Hexenholzkrone 1 © Klett-Cotta

Die „Das Geheimnis der großen Schwerter“- Saga von Tad Williams gilt seit den 90ern als ein richtungsweisendes Werk der Fantasy. Und als ein vollendetes. Nachdem der vierte Roman „Der Engelsturm“ von der Fan-Community ausgelesen war, verlangte sie eine Weile vehement nach einer Fortsetzung. Jetzt, nachdem ich mich nach Jahren erneut mit dem Finale beschäftigt habe, fällt mir auch wieder ein warum. Denn das Buch vollendete zwar Simons Geschichte und den Krieg gegen den wahnsinnigen Hochkönig Elias und den Sturmkönig Ineluki. Andere Handlungsfäden blieben hingegen offen. Was wurde aus Prinz Josua, seiner Ehefrau Vara und den Zwillingen Deornoth und Derra, über die Sithi-Prinzessin Aditu folgende Prophezeiung aussprach?

»Sie werden einander so eng verbunden sein, wie Bruder und Schwester nur sein können, [..] obwohl sie viele Jahre getrennt leben werden. Sie wird Länder bereisen, die nie zuvor der Fuß einer sterblichen Frau betreten hat, wird verlieren, was sie am meisten liebt und mit dem, was sie einst verachtet hat, ihr Glück finden. Er wird einen neuen Namen bekommen. Niemals wird ihm ein Thron gehören, aber seine Hand wird Königreiche erheben und stürzen“ «. [aus „Der Engelsturm“, S. 452]

Das Herz der verlorenen Dinge“, die Verbindung zwischen „Das Geheimnis der großen Schwerter“ und der neuen Serie, die den Titel „Der letzte König von Osten Ard“ trägt, setzte die ebenfalls nicht abgeschlossene Geschichte über die Nornen fort. Das Volk der Hikeda’ya zog sich zurück, um die personellen Ressourcen für ihr Überleben und einen erneuten Krieg gegen die Menschen zu erschaffen. Auf welcher Seite werden ihre verfeindeten Brüder, die Sithi stehen?

Die Sithi betreten als erstes die Bühne im ersten Teil von „Die Hexenholzkrone“. (Der erste Originalband „The Witchwood Crown“ wurde als deutsche Ausgabe geteilt in „Die Hexenholzkrone“ Band 1 und 2.)
Die Botin Tanahaya reitet zum Hochhorst, kommt dort jedoch nicht an, weil ein vergifteter Pfeil sie schwer verletzt. Trotz intensiver Pflege erholt sie sich nicht. Jemand wird sie zu ihrem Volk zurückbringen müssen, von dem das Königshaus seit etlichen Jahren nichts gehört hat.

Das Königspaar selbst befindet sich auf Reisen. Ihr Freund und Kämpfer an vorderster Front (unter anderem in „Das Herz der verlorenen Dinge“), Herzog Isgrimnur liegt im Sterben. Mit ihrem Enkel, Prinz Morgan, dem Sohn des verstorbenen Sohns Josua, geleiten Simon, Miriamel und ihr treuester Freund, der Troll Binabik den Rimmersgardener zur letzten Ruhe. Auf dem Rückweg zum Hochhorst werden sie von Nornen, einer Klaue der Königin mit einem dressierten Riesen, angegriffen. Die Gerüchte scheinen zu stimmen: Utuk’ku, die Königin der Hikeda‘ya ist wieder erwacht und sinnt auf Rache.

Währenddessen erhält im Hochhorst der Mönch Etan von der Witwe Josuas ein verbotenes Buch aus dem Bestand des Prinzen, eine Abhandlung über ätherische Flüsterstimmen. Hatte der verstorbene Thronfolger mit dunkler Magie zu tun?

Viyeki, der Meister des Ordens der Bauleute, (den wir auch schon aus „Das Herz der verlorenen Dinge“ kennen) hat mit einer Sterblichen eine Tochter gezeugt. Nezeru gehört zu den Opfermutigen und der Klaue der Königin. Für Viyeki hat Utuk’ku eine bizarre Aufgabe.

Tad Williams rollt gleich mehrere Geschichten aus

Das sind längst nicht alle Handlungsfäden, die Tad Williams zu Beginn seines zweiten „Osten Ard“ Epos wieder aufnimmt oder neu spinnt. Die Saga soll drei Bände (in Deutsch mindestens vier) umfassen: „Die Hexenholzkrone“, „Das Graslandimperium“ und „Die Kinder des Seefahrers“. Dazu ist ein weiterer Spin-Off geplant, neben „Das Herz der verlorenen Dinge“ ein Band, der derzeit den Arbeitstitel „Der Schatten der kommenden Dinge“ trägt. Schon am Anfang zeichnet sich ab, dass Tad Williams dafür locker genügend Handlungsstoff zur Verfügung hat. Man darf also wirklich gespannt sein, wohin der Autor seine Figuren führen und wie er die Geschichte weiter entwickeln wird.

Alte und neue faszinierende Charaktere

Die Überschrift dieses Artikels ist nicht zufällig gewählt. Die ersten Kapitel von „Die Hexenholzkrone“ lesen sich wie ein Klassentreffen dreißig Jahre nach dem Schulabschluss. Simon und Miriamel sind älter geworden, sogar ein wenig behäbig. Simon erzählt gern die alten Geschichten, was für Neueinsteiger sehr praktisch ist. Diejenigen Leser, die ihn schon kennen, schmunzeln, genau wie die alten Weggefährten und seine Ehefrau Königin Miriamel. Tad Williams ist es gelungen, seine Figuren reifen zu lassen und ihnen zugleich die wichtigsten Charakterzüge zu erhalten, an denen langjährige Fans sie wiedererkennen. Alles richtig gemacht für ein Wiedersehen mit alten Freunden.

»Eolair blickte in die Runde. Da saßen sie alle, der König und die Königin, die Trolle aus dem fernen Yiqanus, Tiamak, der im sumpfigen Wran geboren war und der junge Morgan, verwirrt und frustriert von all den Dingen, die er nicht verstand. „Und jetzt sind wir diejenigen, die das Reich schützen müssen“ dachte er. „Wir müssen jetzt diejenigen sein, von denen irgendwann andere sprechen, von denen sie sagen werden: Gottseidank waren sie da.“ « [S. 348]

Das gilt auch für die neuen Charaktere. Die Halb- Hikeda’ya Nezeru ist eine äußerst interessante Frau, die zwischen den Kulturen zweier Rassen steht, einen unbändigen Ehrgeiz, aber auch ein Gewissen hat. Wird sie eine der großen, tragischen Heldinnen der Geschichte werden? Auch ihrem Vater Viyeki wird eine interessante Schlüsselrolle zuteil.
Als Gegenstück zu Nezeru, der verwöhnte Prinz Morgan. Der Thronfolger wider Willen, der sich für Trinken und Spielen weitaus mehr interessiert, als für die Amtsgeschäfte eines künftigen Hochkönigs. Morgan ist ein leichtsinniger, überheblicher Kerl, eine Schande für seine Großeltern, die ihm nichts zutrauen. Als Freunde stehen ihm zwei Trolle zur Seite, Klein Snenneq und Sina, Binabiks Tochter. Der künftige Singende Mann der Quanuc setzt wichtige Akzente in Morgans Geschichte. Im zweiten Teil des Auftaktbands erhält der Prinz die Chance, sich zu beweisen und diese Quest dürfte äußerst interessant werden.

Langsamer und gründlicher Storyaufbau

Seine monumentalen Phantastik-Epen hat Tad Williams stets sehr gründlich Schritt für Schritt aufgebaut und so hält es der Autor in „Der letzte König von Osten Ard“. Tad Williams grenzt die ädonitische Religion ein wenig mehr vom Christentum ab und führt weitere Götter und Mythologien ein. Die Protagonisten erzählen abwechselnd aus ihrer Sicht an den verschiedenen Schauplätzen. So kommt der Leser den fatalen Entwicklungen, die sich rund um Erkynland und im Hochhorst selbst herausbilden, immer näher. Diese Erzählweise baut ohne viel Action eine hintergründige Spannung als Grundlage für eine faszinierende Geschichte auf.

Welche Leser sollten sich nun auf dieses monumentale neue „Osten Ard“-Werk einlassen?

Natürlich alle Fans des Autors, die sich einst in Osten Ard heimisch gefühlt und über die Jahre ein Stück Sehnsucht im Herzen behalten haben. Auch für Neueinsteiger ist „Die Hexenholzkrone“ gut lesbar. Allerdings ist das Verständnis ein tieferes, wenn Grundzüge und ein paar Details aus der ersten Saga bekannt sind. Dafür bietet das Internet reichlich Recherchematerial an, wie zum Beispiel die Seite ostenard.com.

„Der letzte König von Osten Ard“ hat gegenüber „Das Geheimnis der großen Schwerter“ vielleicht den Charme des Küchenjungen-Helden verloren, wird aber eine genauso reiche Geschichte erzählen, vielleicht noch komplexer und schöner. Fantasy-Fans dürfen sich auf eine aufregende Reise in bekannte und unbekannte Gefilde Osten Ards freuen.
Lieber Tad, es war eine sehr gute Entscheidung nach Osten Ard zurückzukehren, Danke dafür, dass Du uns Leser wieder dorthin mitnimmst. (Wie es zu der Entscheidung kam, hat Tad Williams auf seiner Lesereise in Berlin erzählt.)

Eva Bergschneider

Die Hexenholzkrone 1
Der letzte König von Osten Ard Band 1
Tad Williams
Fantasy
Klett-Cotta
Dezember 2017
775

Funtastik-Faktor: 84

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