Im Schatten des Kronturms (Die Riyria Chroniken 1) – Michael J. Sullivan

Im Schatten des Kronturms © Hobbit Presse

In kleinen Schritten zur großen Legende 

Nach Jahren des Kämpfens in verschiedenen Armeen weit entfernt von der Heimat kehrt Hadrain dem Soldatenleben den Rücken. Auf dem Weg Richtung Norden landet sein Schiff in Vernes an, wo ihm das Gepäck gestohlen wird, kaum dass er einen Fuß an Land gesetzt hat. Der Dieb entpuppt sich als Straßenjunge Pickles und bietet sich als Führer und Beschützer an. Obwohl Hadrian drei Schwerter mit sich führt und sich seiner Haut erwehren kann, nimmt er dessen Angebot an und willigt ein, den Jungen mit in den Norden zu nehmen. Pickles wird aufgehalten und verspricht nachzukommen.

Hadrians Ziel ist die Sheridan Universität, wo Professor Arcadius ihm den Nachlass seines verstorbenen Vaters übergeben möchte. Auf den letzten Drücker erreicht er ein Flussschiff auf den Weg nach Colnora. Ihn begleiten drei Juweliere, eine Dame und ein undurchsichtiger Kapuzenmann. Als das Schiff am Zielort anlandet, ist Hadrian allein auf weiter Flur. Der Schiffsführer, die Juweliere und die Frau ermordet, der Kapuzenmann verschwunden. Anscheinend schreckt er vor Mord nicht zurück und ausgerechnet an der Universität sieht Hadrian ihn wieder. Und der Freund seines Vaters bittet ihn, mit diesem gefährlichen Verbrecher ein Buch aus dem höchsten Turm des Landes zu stehlen.

In Medford arbeitet Gwen in der Schenke „Zum Fratzenkopf“ als Prostituierte. Sie kam mit ihrer Mutter in die Stadt und nahm ihr auf dem Sterbebett das Versprechen ab, auf einen bestimmten Mann zu warten. Ein geheimnisvoller Fremder kam. Jedoch nicht der Angekündigte, sondern ein Gönner, der ihr sechs Goldstücke gab. „Verwende sie, wenn es nicht anders geht“ riet er ihr. Und dieser Zeitpunkt ist gekommen, als ein Freier eine Kollegin tötet und den anderen Mädchen androht, dasselbe anzutun. Gwen erwirbt die Konzession für ein Bordell und ist fest entschlossen, aus der Ruine gegenüber der Schenke das edelste Haus der Gegend zu machen.

„Wie alles begann“ ist möglicherweise nicht der beste Einstieg

Der Auftakt zu den „Riyria-Chroniken“, „Im Schatten des Kronturms“, spielt zwölf Jahre vor der „Riyria“ Serie, die Michael J. Sullivan als Fantasy-Autor bekannt machte. Vorausschicken möchte ich, dass ich die sechsbändige Reihe nicht gelesen habe, allerdings viele wohlwollende Kritiken. Als dieses Prequel angekündigt wurde, sah ich die Chance gekommen, mich in dieses Epos einzulesen. Im Vorwort schreibt der Autor, dass man die Serien sowohl in der Reihenfolge ihres Erscheinens oder eben in der zeitlichen Reihenfolge der Handlung lesen kann. Im Nachhinein bin ich mir nicht mehr sicher, dass das „Riyria“ Leseerlebnis in beiden Reihenfolgen gleich gut funktioniert.

„Im Schatten des Kronturms“ erzählt zwei Handlungsstränge aus der Perspektive von Hadrian, Royce und Gwen. Im Mittelpunkt stehen die Protagonisten, jeweils an Wendepunkten ihres Lebens. Während Gwen sich mit naivem Mut ihre Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben erkämpft, wandert Hadrain zunächst ziellos durch die Welt. Die aufgezwungene Gemeinschaft mit Royce verläuft alles andere als harmonisch. Eine der großen Stärken dieses Romans ist, dass der Autor die Entwicklung der Beziehung zwischen den sich gegenseitig verabscheuenden Männern absolut glaubhaft zeichnet. Zunächst kann man sich kaum vorstellen, dass beide jemals Freunde werden, und trotzdem finden sie zueinander.

Gwens Geschichte bietet dagegen wenige Überraschungen Sie liest sich jedoch aufgrund der Unerschrockenheit der Protagonistin und ihrem geheimnisvollen Hintergrund trotzdem interessant.

Die Abenteuer in dem Roman sind vergleichsweise unspektakulär. Es gilt mitnichten die Welt zu retten, sondern lediglich ein Buch zu stehlen. Die Herausforderung besteht darin, dass beide Männer zusammenarbeiten müssen und sich in ihrer Abneigung zueinander nichts schenken. Ganz am Ende steht ein erbitterter Kampf um das Überleben an, der durchaus überraschende Momente bereithält. Obwohl man natürlich weiß, dass beide davonkommen werden.

Viele offene Enden

Michael J. Sullivan nimmt einen langen Anlauf für seine „Riyria-Chroniken“. Vielleicht ein wenig zu lang für Leser*innen ohne Vorwissen aus der „Riyria“ Serie. Die Geschichte um den Diebstahl des geheimnisvollen Buchs aus dem Turm schließt der Autor zwar ab, lässt jedoch zahlreiche andere Enden offen.

Trotzdem dass einige Längen in der Handlung zu beklagen sind, sorgen die zu überwindenden Schwierigkeiten und Gefahren für mitreißende Spannung. Dazu begeistern die Interaktionen und Entwicklungen der Figuren. Über Fantasy-Völker oder Magie erfährt man allerdings so gut wie nichts und Gwens Geschichte endet in einem unbefriedigenden Cliffhänger. So wird der Neueinsteigerin leider kaum Spekulationsmaterial an die Hand gegeben, um Neugier auf das große Ganze zu erwecken. Lediglich das Vorhandensein eines großen Plans mit weitreichenden Mysterien vage angedeutet.

Möglicherweise verfolge ich die „Riyria-Chroniken“ trotz des etwas zwiespältigen Fazits weiter. Einfach um zu erfahren, wie es Hadrian und Royce ergeht.


Eva Bergschneider

Im Schatten des Kronturms
Die Riyria Chroniken, Band 1
Michael J. Sullivan, Übersetzung: Wolfram Ströle
Fantasy
Hobbit Presse
Februar 2020
461
Birgit Gitschier
72

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