Eine Katastrophe wirbelt mehr als den Lebensplan einer Frau durcheinander
Für die junge Forscherin Kira Navarez läuft es im Leben gerade gut. Sie ist verliebt und ihr Geliebter will sie heiraten. Sie planen, ihre aktuellen Jobs aufzugeben und sich auf einer anderen Welt niederzulassen. Doch zuvor ist noch eine ärgerliche Pflicht zu erfüllen.
Auf dem Planeten, den Kira und ihre Kollegen gerade erforschen, wird eine Anomalie entdeckt. Als sie diese näher untersuchen, ereignet sich ein Unfall und sie stößt auf ein Alienartefakt mit großer Macht. Eines das ihre Persönlichkeit nach und nach übernimmt und sie schon bald in einen Konflikt hineinzieht, der die gesamte Galaxis bedroht.
Episch in jederlei Hinsicht
Größer könnte der Kontrast nicht sein. Christopher Paolini, der für seine Fantasy-Reihe „Eragon“ bekannt wurde, schreibt mit „Infinitum: Die Ewigkeit der Sterne“ seinen ersten SciFi-Roman. Und zwar nicht irgendeinen, sondern einen wahrhaft epischen, mit einem unglaublichen Umfang: 959 Seiten umfasst das Buch. Für manchen Leser mag diese Länge abschreckend sein. Daher möchte ich an dieser Stelle vorab betonen, dass man sich auf diesen ‚Ziegelstein‘ ruhig einlassen sollte. Es lohnt sich.
Gelungene Charaktere und Sympathie für die Protagonistin
Christopher Paolini nutzt diese Menge an Seiten einerseits dafür, Kämpfe von wahrhaft epischer Länge zu inszenieren. Aber auch, um seine Figuren ausführlich zu charakterisieren. Im Laufe des Romans wird man niemals das Gefühl haben, dass ein zentraler Charakter fremd bleibt.
Das trifft natürlich vor allem auf seine Hauptfigur Kira Navarez zu. Zu Beginn lernt man eine junge, schon fast naive Forscherin kennen, die gegen ihren Willen auf etwas stößt, was ihr komplettes Leben verändert. Es ist einerseits eine Waffe, aber nicht im typischen Sinn. Sondern vielmehr ein Artefakt, mit eigenem Bewusstsein, das sie ‚Soft Blade‘ nennt. Dieses Objekt schmiegt sich wie ein Symbiont an ihre Haut, ersetzt kaputte Körperteile und dringt immer tiefer ein. Zu lesen wie Kira mit Verlusten und massiven Veränderungen fertig werden muss, macht sie so sympathisch. Man erlebt eine Protagonistin, die menschlich ist, die Trauer und Wut empfindet. Die gefoltert wird und verzweifelt versucht, mehr über das Artefakt herauszufinden. Die mit Einsamkeit fertig werden muss und neue Freundschaften schließt.
Sie wird Teil einer ungewöhnlichen Crew: eine Mischung aus verschiedensten Charakteren auf einem außergewöhnlichen Schiff. Die Maschinenmeisterin Hwa-Jung beispielsweise kümmert sich hingebungsvoll um den Maschinenraum und stammt von einer Welt mit hoher Schwerkraft. Sie lebt in einer Beziehung mit der ehemaligen Soldatin Sparrow, die wiederum ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit mit sich herumträgt.
Christopher Paolin bemüht sich, allen seinen Figuren in „Infinitum: Die Ewigkeit der Sterne“ gerecht zu werden. Gleichzeitig bemerkt man gewisse Abstufungen. Zwei sogenannte Entropisten, die sich Kiras Mission anschließen, werden nicht so eingehend beschrieben, wie andere Besatzungsmitglieder.
Kennt man das nicht irgendwo her?
Zudem führt der Autor eine große Gefahr ein, die allerdings im Verlauf der weiteren Handlung keine große Rolle mehr spielt. Ein wenig Selbstkritik des Autors lesen wir dazu im Nachwort. Vielleicht lässt er hier etwas für eine etwaige Fortsetzung offen.
Der Elefant im Raum ist, dass viele Elemente der Geschichte bekannt vorkommen. Das Soft Blade erinnert teilweise an den Symbionten Venom aus den Marvel Comics. Auch die Idee mit einem Schiffsgehirn wirkt wie von Anne McCaffreys „Gehirnschiff“-Reihe inspiriert. Aber andererseits versteht sich Christopher Paolini darauf, dass er aus diesen Ansätzen etwas Eigenes erschafft. Eine Story die diesen Roman, trotzt der deutlichen Inspirationen aus anderen Werken, sehr lesenswert macht.
„Infinitum“ ist ein wahrer Pageturner. Diese Mischung aus vielen persönlichen Momenten, einer interessanten Handlung in einer wohl überlegten Welt, sowie spannenden Schlachten sorgt dafür, dass man diesen Roman so schnell nicht aus der Hand legen wird. Kaum angefangen lässt einen die Geschichte trotz ihrer Länge so schnell nicht los. Genau das, was man von einem guten Unterhaltungsroman erwartet und was meiner Meinung nach sehr für dieses Buch spricht.
Götz Piesbergen
Science Fiction
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