J.K. Rowling, Jack Thorne, John Tiffany – Harry Potter and the Cursed Child

Wer ist das verwunschene Kind?

Harry Potter and the Cursed Child © Little, Brown
Harry Potter and the Cursed Child © Little, Brown

Das Stück beginnt mit dem Epilog aus “Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“, den alle Fans kennen. Die Szene, in der die drei Ehepaare Harry und Ginny Potter, Ron und Hermine Weasly und Draco und Astoria Malfoy am Bahnhof Kings Cross, Gleis 9 ¾, ihre Kinder zum Hogwards Express bringen. Die Szene, die neunzehn Jahre nach den Ereignissen um Voldemorts Vernichtung spielt.

Zunächst geht es in “Harry Potter and the Cursed Child” um einen handfesten Vater-Sohn Konflikt. Denn der jüngste Potter, Albus Servus, ist aus der Art geschlagen. Das Leben in Hogwards ist für ihn ein Spießroutenlauf, denn er wurde vom Sprechenden Hut in das Haus Slytherin geschickt. Seine Mitschüler wissen genau, dass sein Vater, der berühmte Magier ist, der Voldemort tötete und stets ein Feind der Schüler in Slytherin war. Albus hat nur einen einzigen Freund in Hogwards und das ist ausgerechnet Scorpius. Der Sohn Draco Malfoys, des einstigen Erzfeinds Harry Potters.

Neben dem schlechten Verhältnis zu seinem jüngsten Sohn plagen Harry Potter weitere Sorgen. In seiner Funktion als Auror hat er einen Zeitumkehrer konfisziert. Cedric Diggories Vater Amus hat davon Wind bekommen und fordert ihn nun auf, in die Vergangenheit zu reisen. Er soll verhindern, dass Voldemort seinen Sohn Cedric beim Trimagischen Turnier ermordet. Harry ahnt nicht, welche Wellen dieser Wunsch schlägt und wie er sich auf Freunde und Familie, auf seine Welt und seine Zeit auswirken wird.

Vater – Sohn Konflikt

Das Theaterstück erzählt zugleich die achte Episode der Harry Potter Reihe, also eine neue Geschichte mit alten und neuen Protagonisten. Im Mittelpunkt steht die nächste Zauberergeneration, die Söhne von Harry Potter und Draco Malfoy, Albus und Scorpius. Die Handlung enthält neben bekannten Motiven zwei neue Elemente: den klassischen Vater-Sohn Konflikt und das Zeitparadoxon.

Das Verhältnis von Harry und Albus spiegelt vieles wider, was zwischen Vater und Sohn schief laufen kann: eine unerfüllbare Erwartungshaltung, Unverständnis und emotionale Kälte, ein Rollenvorbild, das keine Schwächen zulässt. Albus, entwickelt im Schatten eines Heldenvaters kein Selbstbewusstsein. Er mag Hogwards nicht, erweist sich als schlechter Zauberer und ahnt nichts davon, dass auch Harry Ängste plagen. Um sein mangelndes Selbstwertgefühl zu überdecken, tritt er arrogant und schroff auf, was ihn erst recht ins Abseits drängt. Allein Scorpius, selbst ein Außenseiter, um den sich perfide Gerüchte ranken, nimmt Albus so, wie er ist. Scorpius ist die Stimme der Vernunft und skeptisch, als Albus ihn seinen Vorhaben erklärt, mit dem er sich beweisen will. Sein Freund hält zu ihm – und muss die Konsequenzen tragen. Rowling, Thorne und Tiffany haben mit Albus und Scorpius überzeugende und glaubwürdige Protagonisten erschaffen, gerade weil sie anfangs wie Verlierer wirken und eine gravierende Entwicklung durchlaufen.

Die Manipulation der Zeit ist nicht ganz neu in der Harry Potter Handlung, wir kennen sie bereits aus „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“. Dort ermöglichte der Zeitumkehrer Hermine an parallel stattfindenden Kursen teilzunehmen. Und die Befreiung des Hippogreif Seidenschnabel und Harrys Paten Sirius Black. Ein Paradoxon blieb aus, die Zeitlinie überstand die erwirkten Änderungen ohne Schäden. In „Harry Potter and the Cursed Child” ist es ein spannendes, gefährliches Spiel mit der Zeit, denn es entsteht eine alternative Realität.

Ein wunderbares Geschenk an Harry Potter Fans

Dieses Theaterstück ist für die Harry Potter Fans gedacht und für Leser, die die Reihe nicht kennen, ungeeignet. Die Bezüge zu den sieben Harry Potter Romanen sind allgegenwärtig, denn die Handlung kehrt mehrfach in den vierten Band „Harry Potter und der Feuerkelch“ zurück. Weitere Rückblicke erinnern an Harrys Zeit bei den Dursleys oder den Friedhofsbesuch in Godrics Hollow. Klar, in den alten Harry Potter Büchern fühlt sich der Fan heimisch. Vielleicht wurde diese Nostalgie an einigen Stellen übertrieben, überwiegend ergänzen sich alte und neue Handlung jedoch gut. Etwas blass wirken die etablierten Charaktere. Ron verkommt wieder zum Spaßvogel, den keiner so richtig ernst nimmt, Hermine wirkt unnahbar. Allein Ginny setzt sich mit Harry konstruktiv auseinander. Harry selbst erleben wir selbstzweifelnd, aber auch mutig und entschlossen. So, wie wir ihn aus dem letzten Bänden kennen.

Auf nach London ins Palace-Theater

In den Theaterkritiken wird sehr die Umsetzung des Stück gelobt. Es wäre sicherlich spannend, einmal mitzuerleben, wie das Ensemble einen Verwandlungszauber umsetzt und magische Kämpfe austrägt – ganz ohne CGI, die für die Filme zu Verfügung stand. Die Kritik an einer farbigen Darstellerin der Hermine hat J.K. Rowling gar nicht erst zugelassen und entsprechende Kommentare als rassistisch gebrandmarkt und löschen lassen. Ihre Meinung zu der Besetzung tat sie auf Twitter kund:

„Canon: brown eyes, frizzy hair and very clever. White skin was never specified. Rowling loves black Hermione.“

Ich habe das Stück auf Englisch gelesen und kann dies durchaus empfehlen. Gesprochener Text ist nicht so anspruchsvoll zu lesen und der Zusammenhang erschließt sich, wenn einmal eine Vokabel unbekannt ist. Überhaupt war ich überrascht, wie schnell man sich an die puren Dialoge mit Regieanweisungen gewöhnt und wie vollständig das Handlungsbild auch ohne beschreibenden Kontext ist. Ich hatte lange kein Theaterstück mehr gelesen, trotzdem waren die Eingewöhnungsschwierigkeiten nach wenigen Szenen ausgestanden. Jetzt muss ich nur noch der Stadt London wieder einmal einen Besuch abstatten und “Harry Potter and the Cursed Child“ live auf der Bühne des Palace Theaters ansehen.
Ursprünglich sollte die Spielzeit bis Ende 2017 gehen, sie wurde jedoch verlängert.

Eva Bergschneider

Harry Potter and the Cursed Child

Harry Potter and the Cursed Child
Harry Potter Reihe, Teil 8 als Theaterstück
J.K. Rowling, Jack Thorne, John Tiffany
Fantasy
Little, Brown
2016
340

Funtastik-Faktor: 78

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