Kriegerehre (Avatar Bd.5) und Andromeda oder Tod (Avatar Bd.6) – Ivan Ertlov

Ein überzeugendes Zick-Zack-Finale im Doppelpack

Kriegerehre - Der letzte Flug der Avatar © Ivan Ertlov
Kriegerehre – Der letzte Flug der Avatar © Ivan Ertlov

Als Ivan Ertlov mit „Kriegerehre – Der letzte Flug der Avatar“ den fünften und letzten Teil der Abenteuer von Alice Winston, John Harris und Fredderick von Schwein ankündigte, hielt sich die Begeisterung der Leser in Grenzen. Die im April 2019 gestartete Serie räumte mit dem ungewöhnlichen Science-Fiction-Comedy-Thriller „Mutation“ nicht nur den Rollenspiel- und Buchpreis „Der Goldene Stephan“ ab, sondern versammelte eine große Fangemeinde hinter sich. Die wollte noch mehr Bücher aus der Reihe und keinesfalls bereits jetzt ein Finale lesen.
Dies mag einer der Gründe gewesen sein, warum es nun zwei Abschlussbände gibt, die gleichzeitig erschienen sind. Auf „Kriegerehre“ folgt mit „Andromeda oder Tod – Echo der Avatar“ der wirklich letzte Band. Und obwohl dieser einen Zeitsprung von 600 Jahren macht, ist er so mit Band fünf verwoben, das man beide lesen sollte. Es sei denn, man ist mit dem Finale von Band fünf restlos zufrieden.

Der Anfang des Endes

Dieser ist relativ geradlinig aufgebaut und beginnt ebenfalls mit einem Zeitsprung: Rund 30 Jahre sind seit „Showdown Beijing“ vergangen. Der große Krieg gegen die Gouch kam nicht und die UNO verlor wieder an Macht. Nationalstaaten und kleinliche Interessen gewannen die Oberhand. Sehr menschlich, sehr nachvollziehbar. Und als dann die seit „Ganymed, Gone“ am Horizont lauernde Kriegerrasse doch noch über die Menschheit hereinbricht, wird diese beinahe mit heruntergelassener Hose erwischt. Beinahe, da es eine junge Offizierin der Trappist Kolonie, dem ersten Angriffsziel der Gouch, schafft, die Erde zu warnen. Sie opfert sich heldenhaft, um eine Sprungboje zur Erde zu schicken. Sofort nach deren Eintreffen läuft die Kriegsmaschinerie an. Die Avatar, Alice Winston und John Harris sind kein Teil davon. Einerseits sind sie schon beinahe im Rentenalter und längst ihre eigenen Wege gegangen. Andererseits haben sie ein ganz anderes Ziel: Sie wollen eine Rettungsaktion starten, die Trappist Kolonie auf eigene Faust stürmen und eventuelle Überlebende retten. Vor allem EINE Überlebende.

Schnitzeljagd im Kleinformat

Ihr Plan stößt auf Widerstand in höchsten Ebenen. Aber Alice und John geben nicht auf, und noch können sie auf viele Freunde und Verbündete aus alten Abenteuern zählen. In einer abgekürzten Schnitzeljagd, die leider weder Umfang noch Detailreichtum des direkten Vorgängers erreicht, machen sie sich daran, einen illegalen Rettungstrupp aufzustellen. Gut gelungen ist hier die Einbindung von Charakteren aus den Vorgängern. Sogar ein gewisser in „Mutation“ genannter Sergeant bekommt seinen Gastauftritt.

Nach dem ersten Kampf gegen die neuen Gegner, begleitet von philosophischen Betrachtungen zum Thema Krieg und mit einer fulminanten Actionszene umgesetzt, kommt das große Staunen. Der Feind, getrieben von einem mythologisch-religiös verbrämten Ehrgefühl, ist anders als erwartet. Hier gefällt mir, wie unsere Helden ihre egoistischen (wenn auch sehr nachvollziehbaren) Kriegsziele über das Allgemeinwohl und über jene der Menschheit stellen. Zumindest so lange, bis das, was sie ursprünglich erreichen wollten, gesichert ist. Mit allen Mitteln.

Ein ehrenvoller Abschied

Andromeda oder Tod - Echo der Avatar © Ivan Ertlov
Andromeda oder Tod – Echo der Avatar © Ivan Ertlov

Im gesamten letzten Drittel des Buches spielt der Autor geschickt mit unseren Emotionen. Er lässt uns fiebern, verzweifeln, erschüttert den Kopf schütteln und triumphierend die Faust ballen, ehe wir aus der Erzählung entlassen werden. Die ein durchaus würdiges Ende findet.
Und genau das ist sowohl der ungewöhnliche Schachzug, als auch der springende Punkt hier: Man kann sich nach Band fünf zurücklehnen und ihn als Ende der „Avatar“ Reihe akzeptieren. Es ist ein gutes, ein befriedigendes Finale. Aber es ist eben nicht die volle Geschichte. Diese entfaltet sich erst mit dem 600 Jahre weiter in der Zukunft angesiedelten „Andromeda oder Tod“. Denn das ist das eigentliche Finale.

Das Ende der Welten

600 Jahre später ist die Menschheit beinahe ausgestorben, aber ebenso die Gouch, Rosh, und Aldebaraner. Streng genommen alles Leben in unserem Spiralarm der Milchstraße. Oder fast alles Leben. Es gibt noch die Hulks, gigantische, aus alten Schiffen und Stationen zusammengebaute Raumstationen im interstellaren Raum. Hier harren die letzten Überlebenden aus. In ihrem Aussterben vereint sind die ehemaligen Feinde Kreaturen aus einem Lovecraft-Albtraum zum Opfer gefallen – alle Kriege und Heldentaten der Vergangenheit negiert und bedeutungslos. Nur ein letzter Nachfahre Freddericks namens Borst von Schwein arbeitet an einem verzweifelten Fluchtplan, der die 800.000 Überlebenden aller Rassen in die relative Sicherheit der Andromeda Galaxie bringen soll. Wir befinden uns nicht in einer Postapokalypse, sondern am Ende eines galaxieweiten Extinction-Events.

Das ist ein Schlag, der schwer zu verdauen ist – doch die Gelegenheit dazu bekommen wir erst gar nicht. Bereits am Ende des ersten Kapitels, in einem raffinierten Twist, startet Ertlov eine packende, rasante Hetzjagd durch ein sterbendes Universum. Ein Abenteuer, in dem sich Ereignisse überschlagen, und nichts so ist wie es scheint. Nur um dann in einem Finale zu münden, dass keine Wünsche offen lässt. Wirklich keine.

Verschmerzbare Wermutstropfen

Natürlich gibt es immer noch lustige Szenen, witzige Anspielungen, kernige Dialoge und interessante neue Charaktere. Jack und Jill, die Kinder Freddericks, treten würdig in die Fußstapfen ihres Vaters. Heutige Politiker und trashige Musik bekommen ebenso ihr Fett ab wie gewisse menschliche Eigenschaften. Aber all das wird in den Hintergrund gedrängt von einer Handlung, die über beide Romane hinweg peitschend vorangetrieben wird. Hier wurde etwas zu viel geopfert, ebenso wie meiner Meinung nach manche Kraftausdrücke unnötig sind. Man wünscht sich manchmal weniger davon. Dafür mehr Details in der Zeichnung neuer Charaktere, mehr philosophische Betrachtungen, mehr ausschweifende Landschafts- oder Schauplatzbeschreibungen. Aber dafür ist das Tempo schlicht zu hoch. Keine Verschnaufpause, keine Gnade für die Leserin.

Das Beste kommt zum Schluss

Was Ertlov jedoch trotzdem schafft, ist die Verknüpfung der Metaebene aller Vorgänger zu einem großen Ganzen. Aus den einzelnen Abenteuern wird hier ein Gesamtwerk. Die Visionen von John, Andeutungen von Alice, Randbemerkungen in einem Nebensatz drei Bücher zuvor ergeben auf einmal einen tieferen Sinn. Ebenso wie die zwischen den Kapiteln eingestreuten Zitate, die diesmal viel enger mit der Geschichte verbunden sind.

„Kriegerehre“ und „Andromeda oder Tod“ sind aber vor allem kompromisslos spannende Abenteuer, und emotional wie noch kein anderes Ertlov Werk zuvor. Das letzte Mal, dass mir ein Science-Fiction Roman derart Tränen in die Augen treiben konnte, war vor fast zwanzig Jahren „Endymion“ von Dan Simmons. Und die Gänsehaut in den Finalabschnitten beider Bücher ist mit jener vergleichbar, die ich als Jugendliche beim ersten Lesen von „Herr der Ringe“ hatte.

Fazit

Ich mache kein Hehl daraus, dass ich begeisterte Leserin der „Avatar“ Bücher und Fan von Alice Winston, John Harris & Co bin. Witz und Spannung, faszinierende Welten und knallharte Action wurden selten so gut kombiniert. Und mit diesem Finale überholt die inzwischen altehrwürdige Avatar majestätisch schwebend die „Expanse“ Reihe, ohne ins Schnaufen zu kommen. Lässt den „Krieg der Klone“ hinter sich und schiebt sogar das „Hyperion“ Cantos von Dan Simmons sanft zur Seite, um daneben gleichberechtigt den SF Thron einzunehmen. 100% Kauf- und Lese-Empfehlung.

Tamara Yùshān

Kriegerehre-Der letzte Flug der Avatar und Andromeda oder Tod-Echo der Avatar
Avatar-Reihe: Band 5 und Band 6
Ivan Ertlov
Science Fiction
amazon media
Juni 2020
288 (Band 5) und 264 (Band 6)
Ivan Ertlov

Funtastik-Faktor: 95

3 Gedanken zu „Kriegerehre (Avatar Bd.5) und Andromeda oder Tod (Avatar Bd.6) – Ivan Ertlov

  1. Das Fazit kann man 100% unterschreiben, eine großartige Geschichte ist hier zu Ende gegangen. Sorgen bereitet mir nur, dass sich Ertlov doch noch eine klitzekleine Hintertüt für eine Fortsetzung offen lässt. Ein zweites „Elysium“ hat die Avatar Reihe nicht verdient.

    1. Keine Sorge.
      „Elysium“ entstand auf Druck der Leser – ich hatte keine Idee, keinen Plan für eine Fortsetzung des Onur Zyklus und musste mir eine Story aus den Fingern saugen. Es ist mir durchaus bewusst, dass man dies merkt, und erst der Abschluss „Götterdämmerung“ war wieder eine „eingegebene“ Geschichte.
      Ich verspreche aber hoch und heilig, die Avatar Reihe ruhen zu lassen – zumindest solange, bis mir eine Story dermaßen unter den Fingerkuppen brennt, dass ich sie einfach tippen MUSS. Aktuell ist da keine am Horizont.

      1. Ich fand „Elysium“ gar nicht schlecht, aber es war halt im Vergleich zum Rest eher ein Durchhänger. Mehr Avatar? Nur, wenn es wirklich würdig fortgesetzt werden kann. Der Abschluss passt schon so.

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