Wenn es nicht gut ist, kann es nicht das Ende sein
Die postapokalyptische Utopie „Wasteland“ wird mit „Laylayland“ fortgesetzt. Zum Glück. „Wasteland“ mochte ich sehr, dennoch erschien mir die Geschichte unvollständig und eher wie ein Auftakt zu etwas Umfangreicherem. Eine viel zu lang andauernde Pandemie und einen Kriegsbeginn in Europa erschütterten uns, bevor „Laylayland“ erschien. Eine Zeit, in der es Judith und Christian vielleicht nicht immer leichtgefallen ist, selbst guter Hoffnung zu bleiben und über „Hoper“ zu schreiben. Doch davon bemerkt man im Buch wenig. Vielmehr herrscht eine „Jetzt erst recht“ Stimmung vor, selbst wenn zwischendurch alles hoffnungslos erscheint. Wer „Wasteland“ noch lesen möchte, sollte beim Lesen dieser Rezension berücksichtigen, dass „Laylayland“ inhaltlich an den Vorgängerband anknüpft und daher Spoiler zu „Wasteland“ in inhaltsbezogenen Passagen unvermeidlich sind.
Von einer Suche, geheimen Verbündeten, Familienfehden und Explosionen
„Toxxers kannst Du nicht mit Toxxerdenke beikommen, Laylay, sie werden darin immer besser sein als Du. Gleichzeitig ist alles andere eh zum Scheitern verdammt. In einer Welt, die bis ins Mark vergiftet ist, kann es kein magisches Heilmittel geben und wir können ganz sicher nicht mit friedvollen Absichten von Zusammenarbeit, hoffnungsvollen Gedanken von Gemeinschaft oder einem radikalen Mindset von Freundlichkeit von einem Kurs abdrehen, der schon seit Jahrhunderten auf Abgrund steht.
S. 132
Laylay und Zeeto sind mit Baby Mtoto auf dem Weg nach Polen, oder vielmehr in das Gebiet, das einmal so hieß. Dort gibt es eine ähnliche Biotechnologie-Anlage wie die, in der sie Mtoto gefunden haben. Laylays Mutter Clara führt dort das Kommando, eine Feralis oder Werwölfin, die Laylay nicht nur die Immunität gegen die Seuche mitgegeben hat. Sondern auch Verwandlungsfähigkeiten. Ihr Ziel ist es, hier ein Heilmittel zu finden, das zuerst dem schwerkranken Zeeto und schließlich dem Rest der Menschheit das Überleben trotz auftretender Mutationen sichern soll. Doch Clara schert sich nicht darum, Menschen zu retten und möchte vielmehr Laylay für ihre Zuchtpläne nutzen (Octavia Butlers „Wilde Saat“ lässt grüßen).
Der Cyborg Root 2.0, Pronomen ser, war mal der Toxxer Root. Nun ist er der ultimative Hoper. Mithilfe von Drohnen begleitet ser die Drei, haut sie aus mancher brenzligen Situation heraus und veranstaltet ein explosives Spektakel. Ist ihm wirklich zu trauen? Der Weg führt zu einer KI, die einen Funken Hoffnung an einen beinahe Hoffnungslosen weitergibt.
Feinde und Familie sucht man sich nicht aus, Gefährt:innen und Freund:innen schon.
Wie bereits in „Wasteland“ erzählen Zeeto und Laylay abwechselnd ihre Geschichten in „Ich“-Form. Prinzipiell ist „Laylayland“ ohne Vorwissen aus „Wasteland“ lesbar, ich würde dennoch dringend empfehlen, den Vorgänger zu lesen. Obwohl es Rückblenden zur Geschichte in „Wasteland“ gibt, ist Zeetos Handeln besser verständlich, wenn man weiß, wie sehr ihn seine bipolare Eigenschaft prägt und warum ich hier den Begriff „Störung“ vermeide. Die Vorgeschichten zu ihrer Beziehung zueinander und zu Baby Mtoto sind ebenfalls wesentliche Aspekte der „Wasteland“ Handlung, die den Einstieg in „Laylayland“ erleichtern.
Zeetos im besten Sinne anarchistische Gesinnung, in Kombination mit manischen und depressiven Phasen, treiben einen Teil der Handlung voran, was widersprüchlich klingen mag. Er nennt sich gern einen „Möchtegernrevoluzzer“ und ist derjenige, der die Revolution ins Rollen bringt. Von Laylay getrennt verliebt er sich in trans-Mann Miron, was nicht nur seiner polyamoren Lebensweise entspricht, sondern für ihn überlebenswichtig ist. Sehr schön wird beschrieben, wie Laylay zunächst eifersüchtig reagiert, beide jedoch einen Weg finden, diese Partnerschaft zu leben und einander Raum zu geben.
[..] ich hatte aufgegeben, weil ich Clara nicht aufgeben durfte. Weil ich vielleicht nur mit ihr meiner verdammten Verantwortung nachkommen konnte. [..] Vielleicht war es ein Instinkt, der nicht zuließ, dass ich meine Mutter aufgab. Ich musste sie dazu holen. Ich musste ihr klarmachen, dass es nicht meine individuelle Verantwortung war, sondern eine kollektive, und dass sie Teil davon war.«
S. 149
Laylays Beziehung zu ihrer Mutter gestaltet sich gewalt- und konfliktreich. Clara möchte mithilfe ihrer Tochter die Werwölfe zur herrschenden Spezies machen. Die Tochter hingegen nutzt zwar ihre übermenschliche Kraft, sieht sich aber als Teil einer Multispezies-Gemeinschaft, die für eine gerechte Zukunft einsteht. Laylay entwickelt sich in „Laylayland“ zu einer mutigen und zugleich empathischen Persönlichkeit, gerade wegen ihrer speziellen Kräfte.
Bits and Bites and Nerds and Hope
In „Laylayland“ werden zwei weitere Figuren eingeführt, Root 2.0 und der Supercomputer REMUS. Um nicht zu viel zu spoilern, soll hier auf eine eingehende Charakterisierung verzichtet werden. Bemerkenswert ist allerdings, wie passend und originell Cyborg und KI in Szene gesetzt werden. In dem sprachlich ohnehin schon vielgestaltigen und progressiven Roman erhalten Mensch-Maschine und Künstliche Intelligenz jeweils ihre eigenen Sprachen, mit eigener Wortwahl und Syntax. In „Wasteland“ verblüffte die Future II Sprache der Toxxer, hier erleben wir ein ganzes Potpourri an nerdigem Sprachwitz.
Irgendwo in den sozialen Medien kommentierte Christian, dass er für „Laylayland“ unbedingt eine vergleichbar geniale Szene, wie die mit dem Kampf auf G-MAX, dem Schaufelradbagger in „Wasteland“, inszenieren wollte. Und dass er eine entsprechende Idee gefunden habe. Das Spektakel, das Root 2.0 inszeniert, mag diese Idee sein, so actionreich und witzig beschrieben, wie sie ist. Überhaupt erinnern innere Monologe und Dialoge von Root 2.0 und REMUS an die Novelle „Mutter-Entität“. Für sie kreierte Christian Vogt ein spinnenartiges und wunderbar menschliches Maschinenwesen namens Nummer 17. Wer immer die Passagen um Root 2.0 und REMUS ersonnen hat, hat ein Händchen dafür, Maschinen mit Intelligenz und Charakter zu erfüllen. Die Szenen mit dem Cyborg und der KI zu lesen, ist wirklich ein großer Spaß.
Inspiration und Handwerk
Apropos gute Ideen: zu den besten Ideen des Romans gehört die Gewinnung von Treibstoff durch Umwandlung aus Plastikmüll. Die Versorgung der Wyld Thing Gang mit reichlich fossilen Brennstoffen ist durch dieses Verfahren glaubwürdig beschrieben. Dazu fließt Kritik an den prekären Arbeitsverhältnissen von zum Teil sogar minderjährigen Zwangsarbeitenden mit ein. Ein Missstand, den wir nicht nur aus apokalyptischen Erzählungen kennen.
Nicht plausibel erklärt wird hingegen die Stromversorgung von komplexen biotechnologischen Anlagen und des Supercomputers, sowie einer Cloud Infrastruktur. Hier hätte ich mir eine ähnlich inspirierende Idee gewünscht.
In „Wasteland“ vermisste ich den Spannungsbogen, „Laylayland“ folgt einem Spannungsbogen wie aus dem Lehrbuch, was dem Roman sichtlich guttut. Die Plotführung mit Wendungen an den richtigen Stellen wirkt strukturierter und runder als in „Wasteland“. Auch das Finale in „Laylayland“ ist abgeschlossen, lässt jedoch ein Hintertürchen in eine mögliche Fortsetzung offen. Wer weiß, was Judith und Christian noch an spektakulären Wasteland-Events einfällt. Am Ende ist vielleicht nicht alles gut, aber zumindest besser. Das Prinzip Hoffnung, Menschlichkeit, Gemeinsinn und kompromisslose Toleranz überleben und weisen den Weg in die Zukunft.
Sprache mit „Wow“ Effekt
Judith und Christian hatten bereits in „Wasteland“ in Bezug auf den Sprachstil vielerlei Besonderheiten umgesetzt, wie eine genderneutrale Sprache und Formulierungen in Futur II. In „Laylayland“ setzen sie noch einen drauf. Und so finden sich zwischen nerdigen und rotzigen Formulierungen einige Sätze, denen so viel Schönheit und eine philosophische Tiefe innewohnt, dass man sie manchmal genüsslich ein zweites und drittes Mal liest und genießt. Chapeau – es war mir ein Vergnügen „Laylayland“ zu lesen und könnte mir eine Rückkehr ins Wasteland gut vorstellen.
Nachgereicht noch ein Tipp: Habt ihr Lust, Euch das „Laylayland“ auf Bildern anzusehen? Dann besucht diese Webseite und staunt, wie eindrucksvoll Ralf Schneider das Setting in Bildern einzufangen vermochte.
Triggerwarnung: Gewalt, Krankheit, Depression, Zwangsarbeit, Kämpfe
Wasteland Dilogie, Band 2
Science Fiction
Plan9 Verlag
Oktober 2022
Buch
332
Mi Ha, Guter Punkt
84