Ein phantastischer Krimi mit gesellschaftskritischen Zügen
Lemmy Lokowitsch ist Enthüllungsreporter beim Hornstädter Boten, allerdings kein besonders erfolgreicher. Seine Chefredakteurin will ihn feuern, wenn er nicht innerhalb von zwei Wochen eine gute Story abliefert. Zu Lemmys Glück meinte es das Schicksal gut mit ihm und offeriert gleich zwei Chancen auf einen skandalträchtigen Artikel. Beide drehen sich um das Syrikon-Projekt.
Schwägerin Sid arbeitet als Ärztin für das Militär im Krisengebiet Kari und fragt sich, warum die Rebellengruppe Iashem auf einmal über Waffen verfügt, die sie vorher nicht hatte. Macht der Waffenhersteller Thertes krumme Geschäfte?
Clayda ist die Schwester von Lemmys Ex-Freundin und arbeitet für eine Hilfsorganisation im kolonialisierten Land Senabri‘ il. Die indigene Bevölkerung – auch Elfen genannt – wird massiv unterdrückt. Sie arbeiten in schlecht bezahlten Jobs für die Kolonialherren und leben in heruntergekommenen Reservaten. Das fruchtbare Land wurde ihnen genommen und dient nun der Rohstoffgewinnung. Und nun verschwinden auch noch indigene Personen jeden Alters spurlos. Clayda bittet Lemmy bei der Suche nach ihnen zu helfen.
Zunächst weist er Clayda ab, da ihm Sids Rätsel den einträglicheren Skandal verspricht. Ein Einbruch in die Waffenfabrik offenbart einen ziemlich profanen Grund dafür, warum die Rebellen über Waffen verfügen. Dagegen erbeutet Lemmy Hinweise darauf, dass Thertes geheimnisvolle Verbindungen zu Claydas Arbeitgeber unterhält. Was hat ein Waffenhersteller mit einer Hilfsorganisation zu schaffen? Um das herauszufinden, überredet Lemmy Clayda schließlich, ihn mitzunehmen nach Senabri‘ il. Wo die beiden ein mehr als haarsträubendes Abenteuer und ein grausames Geheimnis erwartet, für das mächtige Männer über Leichen gehen.
Der schnoddrige Sympathieträger und die Geheimnisvolle
Den Protagonisten und Ich-Erzähler Lemmy Lokowitsch erschuf Laura Dümpelfeld aus gängigen Klischees des Noir-Krimis: den an chronischen Geldmangel und stetigem Durst auf Whisky leidenden Investigativ-Journalisten auf erfolgloser Suche nach der Story, die ihn reich und berühmt macht. Manchmal funktionieren Klischees, vor allem dann, wenn sie wie in „Das Syrikon-Projekt“ mit Leben und Persönlichkeit gefüllt werden. Lemmy Lokowitsch hat seine Ecken und Kanten und jede Ohrfeige, die er von Frauen bekommt, verdient. Er trickst, schwindelt und tut, was er glaubt für seine Story tun zu müssen. Vor allem zu Beginn agiert er couragiert und bringt die Handlung voran, ein Aktivismus, der im zweiten Teil der Geschichte leider etwas verloren geht. Trotz bisweilen zweifelhafter Motivation kriegt er immer die Kurve und entscheidet sich gerade rechtzeitig dafür, liebenswert zu sein.
Seine Schwägerin Sid begleitet ihn zu den ersten Erkundungstouren. Den Platz als Partnerin nimmt jedoch Clayda ein. Ein wenig wirkt diese wie die typische Tochter aus gutem Haus, die sich unbedingt beweisen möchte. Auffällig gekleidet und mit teurem Untersatz setzt sie sich für benachteiligte Indigene ein. Nach und nach lernen wir sie kennen und mehr schätzen, doch sie bleibt insgesamt eher geheimnisvoll.
Ein Plot mit vielen Wendungen, bisweilen arg zufallsgesteuert
Langeweile kommt in „Lemmy Lokowitsch-Das Syrikon Projekt“ nicht auf. Nachdem Lemmy einmal angefangen hat zu recherchieren, geht es zügig voran. Zunächst der Einbruch mit Sid, dann die Überfahrt nach Senabri‘ il. Wo Lemmy und Clayda von bitterster Armut über Gräueltaten bis hin zu Betrug, Mord und Kampf mit schweren Waffen alles erwartet, was Action und Spektakel verspricht. Gewürzt mit einer guten Prise rotzigen Humors.
Leider lässt die Storyentwicklung gegen Ende zu wünschen übrig, da die Ereignisse zufallsgesteuert wirken. Die Kavallerie rettet die Beiden in letzter Sekunde, oder aus dem Nichts ist der passende magische Trick zur Hand. Die schwächelnde Ausarbeitung des Plots trübt das Lesevergnügen allerdings erstaunlich wenig. Denn umso interessanter und echter gestaltete die Autorin die Interaktionen zwischen Lemmy und Clayda, sowie Historie und Geographie der Schauplätze.
Ein Erzähltalent am Werk
Das Erzähltalent von Laura Dümpelfeld gleicht die inhaltlichen Schwachstellen des Romans mehr als aus. Die Autorin beschreibt Schauplätze und Szenerie so anschaulich und plakativ, das Lesende stets ein Bild vor Augen haben. Bilder aus einer europäischen Stadt Anfang des 20. Jahrhunderts, Bilder einer südamerikanischen Landschaft mit Urwald und Landstrichen, geprägt vom postkolonialen Raubbau. Dazu die geheimnisvolle Energieform Syranid, die ein wenig an Ǽther erinnert. Kämen noch Dampfmaschinen zum Einsatz, wäre es ein Steamfantasy-Roman. Immer wieder deutet sich im Hintergrund eine weitreichende Historie an, wie die Syranid-Revolution, ein Krieg zwischen Kaiserlichen Truppen und Rebellen und die Kolonialisierung Senabri‘ ils. Darauf hätte die Autorin ruhig ein wenig ausführlicher eingehen dürfen.
Zu den Highlights zählen die Dialoge, sowohl zwischen Lemmy und Sid, als auch zwischen Lemmy und Clayda und im späteren Verlauf dem durchgeknallten Panzer-Porter. Schlagfertig und streitlustig, clever, witzig und versöhnlich. Und immer in die genau passende Atmosphäre eingebettet.
» Wir schwiegen wieder. Und hier, in diesem unwirklichen Moment irgendwo in der bleichen Stunde zwischen Nacht und Tag wussten wir beide, dass unser Waffenstillstand einem Frieden gewichen war.«
[S. 153]
Wird aus Lemmy ein Serienheld?
Der Storyrahmen um Lemmy Lokowitsch hat auf jeden Fall Serienpotenzial. Die Geschichte um „Das Syrikon-Projekt“ wird zwar abgeschlossen, das Leid der Elfen geht allerdings weiter. Von einer Zwergen-Mafia war die Rede und in Gamarien wird es noch eine Reihe von korrupten Schurken geben, deren zwielichtige Taten darauf warten, von Lemmy enthüllt zu werden. Laura Dümpelfeld und der Verlag Edition Roter Drache dürfen gerne mehr solcher schrägen und nervenaufreibenden Fantasy-Krimis mit deutlicher Kritik am Kolonialismus, an Ausbeutung und Diskriminierung schreiben und veröffentlichen.
Eva Bergschneider
Lemmy Lokowitsch, Band 1
Fantasy (ein wenig wie Steamfantasy)
Edition Roter Drache
September 2021
Buch
280
Anke Koopmann
79