Pantopia – Theresa Hannig

Wahrheit ist schön!

Pantopia - Theresa Hannig © Fischer Tor, schwarzer Hintergrund, Kreis in Grüntönen mit verschobenen Fragmenten, Schrift weiss.
Pantopia © Fischer Tor

Die Studienfreunde Patricia und Henry haben es geschafft. Sie werden eines der Entwicklerteams in der Forschungsabteilung von DIGIT. Schon während des Studiums hatten sie erste Ansätze einer komplexen KI programmiert, die sogar sozialen Kontext und einfache menschliche Verhaltensweisen interpretieren kann. Bei DIGIT haben sie die Aufgabe, die Software KINVI zu entwickeln, die an der Börse eigenmächtig Wertpapiere handeln kann – einen sogenannten Trading Bot.

Ausgerechnet an ihrem ersten Tag kommen sie zu spät, doch der Abteilungsleiter Mikkel Seemann hat viel Verständnis. Möglicherweise mehr als guttut, denn es ist äußerst unpraktisch, sich in den verheirateten Chef zu verlieben. Mit dem Programmieren geht es gut voran. Bis zu dem Punkt, an dem nur Sabotage dafür verantwortlich sein kann, dass das Programm macht, was es will. Daraufhin verwandeln Pat und Henry ihr Büro in ein Campinglager, um Schuldige zu entdecken. Einbug, die erste starke künstliche Intelligenz, gibt sich ihnen zu erkennen

Die Menschen sehnen sich nach Gemeinschaft und Wahrheit.“

S. 240

Theresa Hannig hat Preise mit ihrem Debüt „Die Optimierer“ gewonnen und stand mit „Pantopia“ auf der Shortlist des Wetzlarer Phantastikpreises 2022. Schon das allein ist Grund zur Annahme, dass es sich auch bei „Pantopia“ um ein ganz besonderes Buch handelt.

Dem ist so. Anfangs wissen die Lesenden nicht, was es mit der sozialen Interaktion von Patricia und Seemann auf sich haben soll, könnten es als überflüssigen Sidetalk interpretieren. Genau ihren stärksten Förderer und Sympathisanten werden sie im Lauf der Geschichte belügen, betrügen und an den Rand des persönlichen Ruins katapultieren. Widerwärtig! Daraus erwächst der stärkste innere Konflikt, dem sich der Roman stellt. Ist es legitim, um des Großen, Ganzen willen zu unlauteren Mitteln zu greifen?

Das Mutbuch

Als sich herausstellt, dass Einbug die Welt retten will und gemeinsam mit Patricia und Henry erste praktische Schritte einleitet, ruft das erwartungsgemäß Widersacher und Interpol auf den Plan. Einfach nur im Handumdrehen die Welt zu retten, wäre ja langweilig. Spätestens ab Seite 83 entwickelt sich der Roman rasant. Die Kommunikation mit Einbug ist gerade am Anfang ungeheuer amüsant und macht große Freude. Humorvolle Einlagen lockern das Buch immer wieder auf. An dieser Stelle ein großes Lob für Ulrike Kapfer, die Sprecherin des Hörbuchs. Nuanciert, mit Freude und Talent und einer angenehmen Stimme, die zum Metier passt, verleiht sie dem Roman Lebendigkeit.

Es gibt Menschen, die das Gute nicht sehen wollen, weil sie es sich selbst nicht erlauben und anderen nicht gönnen.

S. 306

Die Autorin hat viel und gut recherchiert. Konzepte wie das BGE – das bedingungslose Grundeinkommen – die Werke des niederländischen Aktivisten Rutger Bregmann und der ökologische Fußabdruck sind als Stützpfeiler einer neuen Gesellschaftsordnung in das Buch geflossen. Eine „Insel der Glückseligen“ mit der Optimalwohlökonomie hatte Hannig bereits in „Die Optimierer“ entwickelt und sie knüpft mit „Pantopia“ daran an. Hannig ist diejenige, die weiterdenkt. Nach der Devise, was wäre, wenn. Und uns auf diese Reise mitnimmt. Ein wichtiges Buch und endlich wieder eine Utopie in Romanform aus deutscher Feder. Theresa wollte schon als Kind die Welt verbessern. Mit „Pantopia“ hat sie es wenigstens auf dem Papier getan.

Kleine Kritikpunkte

Zwei Dinge sind kritisch anzumerken. Erstens beginnt der Roman mit dem Epilog, obwohl am Ende der echte Epilog einhundert Jahre später steht. Die Lesenden erfahren, dass Einbug seine Vision realisiert hat. Es ist seine Geschichte. Ja, der Roman ist grundsätzlich spannend, doch nimmt er die Auflösung vorweg. War es nötig, gleich am Anfang das Ergebnis zu verraten?

Zweitens bleiben die Beweggründe der beiden Protagonisten im Dunkel. Was hat sie bewogen, dem Vorschlag von Einbug zu folgen und seiner Realisierung ihr Leben zu widmen? Dazu wäre ihre Vorgeschichte nötig gewesen. Wie sind sie aufgewachsen, welche Werte haben ihnen ihre Ursprungsfamilien mit auf den Weg in die Welt gegeben? Wieso sind Patricia und Henry so eng befreundet, dass sie gemeinsam durch dick und dünn gehen?

Tom ist ihr engster Mitstreiter und Vertrauter. Seiner Geschichte gibt die Autorin viel Raum. Sie hat liebenswerte Charaktere geschaffen. Selbst Angelika, die typische Polizistin mit ihrem Berufsparanoia, ist nicht unsympathisch.

Fazit

Endlich ein Buch, das Mut macht, das sich an die Zweifelnden, Resignierten und Gutbürger wendet. Ein Buch, das einem Weckruf gleich eine gerechte Weltwirtschaftsordnung aufzeigt und somit die Überwindung sozialer Schranken. Möge es Wahrheit werden. Packt es den Superreichen und Elfenbeinturmbewohnern als Pflichtlektüre auf den Tisch. So oder so ähnlich.

Amandara M. Schulzke

Ihr seid neugierig geworden und möchtet mehr über die Hintergründe zu „Pantopia“ und über die Autorin erfahren? Dann lest hier das spannenden Interview, das Amandara mit Theresa führte.

Pantopia
Theresa Hannig, Hörbuch-Sprecherin: Ulrike Kapfer
Science Fiction
Fischer Tor
Februar 2022
Buch, Hörbuch
464
Nele Schütz Design
85

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