Presse und Bloggertreffen mit Brandon Sanderson auf der #lbm17

Treffen mit Sanderson, Journalisten und Blogger, Piper-Verlag © Eva Bergschneider
Treffen mit Sanderson © Eva Bergschneider

Nebelwelten im Stillsessel

„Ich arbeite am liebsten in dem Sessel, in dem meine Frau unsere Kinder gestillt hat.“

Auf der Frankfurter Buchmesse 2016 erfuhr ich im Gespräch mit Barbara Romeiser vom Piper-Verlag, dass der Bestsellerautor Brandon Sanderson seinen deutschen Verlag, von Heyne zu Piper, gewechselt hat. Im Vorprogramm des Verlags war bereits sein erstes Piper-Buch mit dem Titel „Schatten über Elantel“ zu finden. Um Brandon Sanderson und sein neues Werk einzuführen, plante der Verlag ein Treffen mit Journalisten und Bloggern, die über Phantastik-Literatur schreiben. Auf der nächsten Buchmesse letzte Woche in Leipzig war es dann soweit. Im Kongresszentrum hatten wir Gelegenheit, Brandon Sanderson zu treffen und ihm alle Fragen zu stellen, die uns unter den Nägeln brannten.

Insgesamt kamen um die zehn vom Verlag eingeladene Journalisten und Blogger, ein großes Meet and Greet von Menschen, die für Phantastik-Literatur brennen. Christian Handel, selbst Blogger sowie Redakteur, Herausgeber und Autor übernahm die Moderation des Gesprächs und übersetzte, wenn es notwendig war. Wir waren natürlich alle sehr gespannt darauf, Brandon Sanderson kennenzulernen und jeder Blogger und Journalist hatte sich vorbereitet. So entstand ein inspirierendes Gespräch in lockerer Atmosphäre. Brandon Sanderson entpuppte sich als offener Mensch und gab manche Informationen preis, die selbst für eingefleischte Fans neu und überraschend waren.

Wann und wo schreibt Brandon Sanderson am liebsten?

Brandon Sanderson erzählte uns, dass er am liebsten in einem Sessel schreibt, der eigentlich für seine Ehefrau zum Stillen der Babys angeschafft wurde. Nachdem die Stillzeit vorbei war, hat sich der Autor diesen bequemen Sessel unter den Nagel gerissen und schreibt darin in der Nähe des Kaminfeuers. Brandon Sandersons Arbeitszeit als Autor ist die Nacht. Das hat er sich in seiner Anfangszeit angewöhnt, als er nachts in einem Hotel an der Rezeption jobbte. Dort nutzte er den Hotelcomputer zum Schreiben, weil er keinen eigenen hatte und speicherte seine Texte auf Floppy Disks. Brandon Sanderson hatte vor der ersten Buchveröffentlichung bereits 13 Bücher geschrieben, sein zuerst veröffentlichter Roman „Elantris“ war die Nummer sechs.

An wie vielen Projekten schreibt Brandon Sanderson gleichzeitig? Wie oft muss er seine Bücher überarbeiten?  

Kinder des Nebels- Brandon Sanderson © Heyne
Kinder des Nebels © Heyne

Er schreibt immer nur an einem Buch, erklärte Brandon Sanderson, was angesichts der Fülle überraschend ist. Parallel dazu überarbeitet er eins und konzipiert ein neues Projekt. Wie diszipliniert der Autor beim Schreiben und Plotten seiner Bücher vorgeht, erklärte er am Beispiel der „Nebeltrilogie“ (dazu später mehr). In der Regel kommt Brandon Sanderson mit wenigen Überarbeitungen aus. Eine Ausnahme bilden die „Das Rad der Zeit“ Bücher, der populären Serie von Robert Jordan, die Brandon Sanderson fertig stellte. Hier waren bis zu 13 Überarbeitungen nötig, ehe Brandon Sanderson mit dem Werk zufrieden war (auch dazu später mehr).

Wie gelingt es, den Überblick in all den Büchern und Storylinien zu behalten?

Brandon Sanderson hat ein Wiki angelegt, in dem diszipliniert jede Figur, jede Fähigkeit, jeder Schauplatz und alle wesentlichen Details und Verbindungen katalogisiert werden. Dafür gibt es einen ‚continuity editor‘, der dieses Wiki pflegt und ständig erweitert. Diese Arbeit ist unerlässlich, denn Brandon Sanderson verleiht allen seinen Büchern, egal wann und wo sie spielen, ein verbindendes Element in der Hintergrundhandlung, das in seinen letzten Werken in den Vordergrund treten soll.

Was ist wichtiger für eine Fantasy-Story, ein starkes Magiesystem oder starke Charaktere?

Brandon Sanderson glaubt, dass ein schwaches Magiesystem und starke Charaktere in einer Geschichte besser  funktionieren, als schwache Charaktere und ein starkes Magiesystem. Es schadet einer Geschichte, wenn sie vom Magiesystem überfrachtet wird. Das Magiesystem lebt aus seiner Sicht von den Figuren und kann nur so interessant sein, wie es die Charaktere sind.

Was macht die Fantasy aus?

Brandon Sanderson betont, dass die Fantasy ihr Potenzial längst noch nicht ausgeschöpft hat.  J.R.R Tolkien hat die epische Fantasy geprägt und populär gemacht, doch vielleicht orientiert sich die heutige Fantasy zu sehr an Tolkiens Welt. Es wäre vielleicht besser, wenn die Autoren einen Schritt zurückgehen würden. Nicht Mittelerde sollte man übernehmen, sondern die Art und Weise, wie Tolkien Welten erschaffen hat.
Ein geeigneter Ausgangspunkt für den Weltenbau ist aus Brandon Sandersons Sicht etwas, wofür der Autor eine Leidenschaft hat. Tolkiens große Leidenschaft waren als Linguist die Sprachen, also hat er eigene Sprachen entwickelt und daraus eine Welt. Ein anderes Beispiel ist das Quidditch-Spiel in den Harry Potter Büchern, das dem Fußball oder Rugby nachempfunden wurde.  Generell sollte die Fantasy innovativer und mutiger sein, als andere Literatur. Inzwischen spielen Fantasy-Geschichten mit afrikanischen und asiatischen Mythologien. In dieser zunehmenden Vielfalt sieht Brandon Sanderson eine Weiterentwicklung der Fantasy.

Welche Leidenschaft bildet die Basis für die Allomantie (Metallmagie) in der Reihe der Nebelgeborenen?

Ursprünglich hat Brandon Sanderson Biochemie studiert. Allerdings waren seine Mathe-Noten zu schlecht, um  Wissenschaftler zu werden. Die Allomantie und Ferrochemie basieren auf Pfeilern der Chemie und Physik, stellen also eine wissenschaftliche Magie oder eine magische Wissenschaft dar.

Was war der Ausgangspunkt für die Geschichte um die Nebelgeborenen-Reihe? Diese Magie oder die Protagonisten?

Brandon Sanderson stellte drei Basisideen vor, aus denen er das Konzept der Nebelgeborenen entwickelt hat:

  1. Der Autor hat sich die Frage gestellt, wie eine Fantasy-Welt aussieht, wenn Helden wie Frodo oder Harry Potter scheitern. Und das Böse wie Sauron oder Voldemort die Herrschaft über ihre Welt an sich reißen.
  2. Das Magie-Konzept der auf Wissenschaft basierenden Magie
  3. Ein Erzähler, der dem ‚dunklen Lord‘ den Ring stiehlt und ihm die Macht wieder entreißt.

Wie sieht das Gesamtkonzept der Nebelgeborenen-Romane aus?

Jäger der Machts- Brandon Sanderson © Heyne
Jäger der Macht © Heyne

Sein Epos um die „Nebelgeborenen“ hat Brandon Sanderson sehr weit in die Zukunft vorausgeplant. Die gesamte Reihe entwickelt sich von der epische Fantasy zur Urban-Fantasy und zur Science-Fiction. Es sollten Religionen gegründet werden und die Geschichte einem Zeitstrang folgen. Sie  begann mit der in der Asche versunkenen Welt Scadrial der ersten drei Romane und setzt sich mit den „Wax und Wayne“ Romanen (dazu gehört „Schatten über Elantel) fort. Danach wird sich die Geschichte zu einer Art Thriller wandeln, angelehnt an die Atmosphäre der 80er Jahre und des Kalten Kriegs. Ursprünglich wollte Brandon Sanderson diese 80er-Story  im Anschluss an die erste Nebelgeborenen-Trilogie schreiben, merkte dann aber, dass der Zeitsprung zu groß war. Also schrieb er den ersten Wax und Wayne Roman (dt. Titel „Jäger der Macht“, bei Heyne erschienen), der zunächst als Einzelband geplant war. Doch nun kommt zu dem Einzelband noch eine weitere Trilogie dazu und den Anfang macht „Shadow of Self“, deutscher Titel „Schatten über Elantel“. Diese Geschichte spielt 300 Jahre nach der ersten Nebelgeborenen-Trilogie („Kinder des Nebels“, Krieger des Feuers“, Herrscher des Lichts“) und ist im aufkommenden Industriezeitalter der Welt Scadrial angesiedelt. Im Mittelpunkt stehen zwei gegensätzliche und sich ergänzende Protagonisten. Zum einen Wax, der allomantisch begabte Sheriff á la Clint Eastwood, der aus dem Rauland in die Metropole Elantel kam und sich zum Sherlock Holmes entwickelt. Und sein Assistent Wayne, ein ehemaliger Dieb, der von diesem Laster nicht lassen und mit Hilfe eines Huts in die Haut eines anderen schlüpfen kann. In den USA ist bereits die Fortsetzung „The Bands of Mourning“ erschienen und der letzte Teil „The Lost Metal“ für 2018 geplant. Schließlich wird sich aus der wissenschaftlichen Magie eine Raumfahrt-Technologie entwickeln, die die Story zu den Sternen führt.

Spiegelt sich in den Arbeiteraufständen in „Schatten über Elantel“ die schwierige Situation der Working class in den USA wider?

Schatten über Elantel- Brandon Sanderson © Piper
Schatten über Elantel © Piper

Brandon Sanderson sieht seine Bücher nicht als gesellschaftliche Spiegelbilder und glaubt nicht, dass Fantasy-Bücher solche sein sollten. Die dargestellten Konflikte des beginnenden Industriezeitalters dienen in „Schatten über Elantel“ in erster Linie als Basis für den Plot um den Gegenspieler des Protagonisten Wax. Trotzdem findet ein indirekter Einfluss durch die politische Stimmung im Land auf seine Geschichten statt. Und es fließt  seine persönliche Sicht der Dinge in sein Werk ein.  Denn Brandon Sanderson möchte, dass seine Geschichten gehaltvoll sind und eine Aussage haben.

Wie schwierig war es, so eine populäre Serie wie Robert Jordans „Das Rad der Zeit“ zu übernehmen und fertig zu schreiben?  

„Das Rad der Zeit“ fortzusetzen gehörte zu der schwierigsten Herausforderung, die Brandon Sanderson je meistern musste. Das lag daran, dass die beiden Autoren gänzlich unterschiedliche Schreibtypen sind. Während Brandon Sanderson vorab sehr ausführliche Outlines  für seine Geschichten erstellt, war Robert Jordan mehr ein ‚Discovery writer‘, der während des Schreibens die Handlungsrichtung festlegte. Es gab zur Fortsetzung der Handlung in „Das Rad der Zeit“ lediglich ein paar Notizen. So hatte es Brandon Sanderson nicht nur mit über 2000 Charakteren zu tun, sondern auch mit einer Fülle von Handlungsebenen, die zu einem schlüssigen Ende geführt werden wollten. Dazu kam, dass er für die vielen Fans von Robert Jordan zu einer Art Stiefvater wurde, der sich um sie kümmern musste. Ein Vorteil war, dass Robert Jordan bereits einen Epilog zum letzten Band „Das Rad der Zeit“ geschrieben und somit ein Ende festgelegt hatte. Brandon Sanderson hatte trotzdem Spaß daran, diese epische Saga zu Ende zu führen und ist sehr stolz darauf, dass ihm diese Ehre zuteil wurde. Nachdem diese fordernde Aufgabe abgeschlossen war, war es sehr entspannend, zu den eigenen Projekten zurückzukehren.

Wie unterscheidet sich der US Markt für Fantasy-Literatur vom deutschen?

Das Gedächtnis des Lichts - Brandon Sanderson © Piper
Das Gedächtnis des Lichts © Piper

Gerade erst in Deutschland angekommen, mochte Brandon Sanderson sich noch kein Urteil darüber erlauben. Er hat sich vom Ressortleiter für Piper-Fantasy Carsten Polzin sagen lassen, dass deutsche Fantasy-Leser etwas konservativer seien, als amerikanische. Das liegt aus Brandon Sandersons Sicht daran, das der aktuelle Fantasy-Boom in den USA in den 80er Jahren aufkam, während er in Deutschland erst Anfang der 2000er Jahre mit der „Der Herr der Ringe“ Verfilmung von Peter Jackson eingesetzte. Der deutsche Fantasy-Markt ist nach dem englischsprachigen der zweit größte und daher sehr wichtig für Autoren, die international publizieren.

In welche Richtung entwickelt sich die Fantasy?

Brandon Sanderson möchte zur Entwicklung der Fantasy keine Prophezeiung kundtun. Denn er hat noch in Erinnerung, dass er im Jahr 2000 einen Kommentar von einem Experten gelesen hat, der behauptete, dass das Thema Vampire in der Fantasy abgefrühstückt sei. Ein Jahr bevor der erste „Twilight“-Roman von Stephenie Meyer erschien und zu einem internationalen Bestseller wurde. Der Autor wünscht und erwartet,  dass Fantasy sich in viele verschiedene Richtungen entwickelt und für Vielfältigkeit in Bezug auf Kulturen und Stile steht.

Fazit:

Treffen mit Sanderson, Journalisten und Blogger, Piper-Verlag, Buchmesse Leipzig © Eva Bergschneider
Treffen mit Sanderson © Eva Bergschneider

Ich habe mich sehr gefreut, zu der Gesprächsrunde eingeladen zu werden und empfand sie als anspruchsvoller, als ich erwartet hatte. Es ging hauptsächlich, aber nicht ausschließlich um den Autor und sein Werk und damit hob sich diese Veranstaltung von anderen von Verlagen organisierten Bloggertreffen ab. Brandon Sandersons Ausführungen zur Position und den Entwicklungsmöglichkeiten der Fantasy fand ich sehr interessant und hätte diese Aspekte gern in einer Diskussion mit ihm und den Kollegen weiter vertieft. Doch das hätte den Rahmen der Veranstaltung gesprengt. Einen kritischeren Blick auf die Gesprächsrunde und der Rolle der BloggerInnen im Literaturbetrieb nimmt mein Booknerds-Kollege Henri Vogel hier in seiner Kolumne vor.

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