Ein feministisches Abenteuer
Eyvor Unträumbar webte einst Segel für ihren Ehemann, dem Schiffsbauer Holz-Orm. Nach dem Tod ihres Ehemanns wurde die Familie von einem Fieber heimgesucht, das der Mutter und einer Schwester den Tod brachte. Eyvor schleppte sich fieberkrank zum Fjord, denn im Traum hatte sie ein Drachenboot mit blauen Segeln gesehen. Sie begriff, dass die Meeresgöttin Rán ihr den Auftrag erteilt hatte, ein Schiff zu bauen und begann mit den Arbeiten.
Zu Eyvor gesellten sich Frauen, die in ihrem Umfeld nicht länger leben wollten. Wie Tinna, die sich zum Skalden ausbilden ließ, jedoch als Skaldin dienen wollte. Die Argh-Tinna (feiger, weibischer Mann) genannt wurde und sich eine Rune auf das Herz schnitt. Oder Skade, verheiratet mit Ivar, dem sie zwei Kinder gebar. Ihr Freund Hákon brachte ihr Waffentechnik und das Kämpfen bei. Als ihr zweites Kind zur Welt kam, glaubte Ivar, es sei von Hákon. Er drohte das Kind umzubringen und tötete den Freund seiner Ehefrau. Oder Mutter Rafarta mit Tochter Bodil, eine geprügelte Gattin und eine Frau ohne Gehör, für die niemand Brautgeld zahlt. Und Herdis, eine Erwählte Óðins, eine Völva, Seherin und Runenwerferin, auf die Berserker Jagd machen, unter ihnen auch Ivar. Als das Siebte Langboot mit den Männern zu ihnen kommt, sticht das gerade fertig gestellte Schiff der Frauen, die „Skaldmær“ (Schildmaid), in See.
Rán wählt für die Crew der Schildmaid Dineke, eine Sklavin König Horiks, als Navigatorin aus, die die Frauen in Denameark befreien. Die Fahrt auf das offene Meer führt sie schließlich auf dessen Grund, zu der versunkenen Insel Doggerlun. Die Untote Königin nennt ihnen ihren Auftrag: den Eisriesen Jökull töten und dadurch das Weltenende Ragnarök verhindern. Ein Wettlauf gegen die Zeit und mächtige Gegner beginnt.
Ein holpriger Einstieg. Aber dann!
Am Anfang des Abenteuers in „Schildmaid“ fragt man sich vielleicht, wie ein feministisches Abenteuer in der Zeit der Wikinger funktionieren kann. In einer Zeit, in der Männer Macht und pure Manneskraft auf Raubzügen und in Kriegen demonstrierten. Dabei hatten im Haushalt durchaus die Frauen das Sagen und dieselben Rechte auf eine Ehescheidung, wie die Männer. DNA-Analysen weisen gar darauf hin, dass es durchaus Kriegerinnen unter den Wikingern gab. Trotzdem war diese Epoche eine Zeit des Patriachats in der niemand Raum für Feminismus vermutet.
Der Einstieg in den Roman „Schildmaid“ von J.C. Vogt gestaltet sich etwas holprig, weil eine Fülle von nordischen Begriffen, die sich nicht immer aus dem Kontext erklären, und Protagonistinnen eingeführt werden. Zwar erklärt ein Glossar am Ende des Romans, die meisten Begriffe. Dennoch dürften Lesende mit wenig Vorwissen aus der nordischen Mythologie sich zunächst überwältig fühlen von der Allgegenwärtigkeit nordischer Götter und Göttinnen, Wesen und Länder und ihrer Namen. Aus den Lebensläufen der Protagonistinnen erfahren wir das Wesentliche in kompakt strukturierten Abschnitten. Das vermeidet unnötige Längen in der Geschichte, erschwert allerdings bisweilen die Zuordnung. Nach einigen Kapiteln fällt es allmählich leichter, sich unter den Frauen und in der nordischen Welt zurechtzufinden. Und es erwartet uns ein spannendes Abenteuer in einer faszinierenden Welt, durchzogen von nordischer Mythologie und klug und originell eingewobener Fantasy.
Vom Meeresgrund ins Eis
Wir begleiten die Crew der Schildmaid auf ihrer Queste durch die Nordsee und zu so gefährlichen, wie rätselhaften Abenteuern. J.C. Vogt beschreiben die Frauen und ihre Reise so lebensnah, wie möglich und verzichten darauf, sie zu Heldinnen zu stilisieren. Ohne Navigatorin schlingert die Schildmaid an der Küste entlang und die Kriegskunst muss die Gruppe erst lernen. Auch die Magie ist mindestens so sehr Handwerk, wie Gabe und gelingt in Gemeinschaft. Die Völva Herdis blickt mit Hilfe der Runen in die Zukunft und Tinna macht diese in Form von Bildern greifbar. Mit Hilfe dieser erlernten und geschenkten Fähigkeiten treffen die Frauen eine untote Königin auf dem Meeresgrund, überfallen Klöster in England und kämpfen gegen Dänen und Berserker. Sie hungern und frieren, lassen sich überrumpeln, tricksen sich selbst aus, streiten, bluten und sterben. Allein die Kraft ihrer Freundschaft lässt sie überleben.
Was uns Girlswhoviking zu erzählen haben
Dass die Vögte ihr Ensemble bunt wie das Leben gestalten, dürften alle wissen, die schon einmal in eins ihrer Bücher hineingelesen haben. Doch diese Gemeinschaft von Frauen ist wirklich etwas Besonderes. Judith und Christian ist es gelungen, diese so individuell gestalteten Frauen einerseits perfekt im historischen und mythologischen Rahmen zu verankern, andererseits so zeitlos zu zeichnen, dass wir uns leicht mit ihnen identifizieren können. Die Geschichten der trans-Frau Tinna berühren uns genauso, wie das Schicksal der Mutter und Kriegerin Skade. Der Gehörlosen Bodil hören wir genauso gerne zu, wie der an Endometriose leidenden Dineke, oder der unerschrockenen Schiffserbauerin Eyvor, der Óðin ein Auge stiehlt.
»„Ich bin nie schwanger geworden.“
„Nicht das schlechteste, was passieren kann.“ befand Skade mürrisch. „Aber Du magst Kinder.“
„Ja. Und ich mag, dass es nicht meine Kinder sind. Früher war das anders. Aber ich bin älter geworden […] und (wurde) von einer Bande aufmüpfiger Frauen auf ihr Schiff entführt und erforsche ein untergegangenes Land unter den Wogen. Wie soll ich da Trübsal darüber blasen, dass ich nicht mit sechszehn Enkelkindern zu Hause in Frisia sitze?“ «
[S. 131/132]
Fazit
„Schildmaid“ bietet einerseits eine mitreißende Queste auf einem Wikinger-Drachenboot, in dem sich zwanzig Frauen den Gefahren stellen, mit denen sie nordische Mythologie und die patriarchischen Strukturen ihrer Welt konfrontieren. Andererseits eine Geschichte über eine Gruppe von Frauen, die aus ihrer Rolle ausbrechen und ein selbstbestimmtes Leben in einer starken Gemeinschaft gestalten. Hier haben Kinder mehr als zwei Eltern und Menschen unabhängig von der Biologie die Möglichkeit in Geschlecht und Rolle ihrer Wahl zu leben. Das Ende überrascht mit einer alternativen Lösung, fällt vielleicht ein wenig zu harmonisch aus. Insgesamt erwartet Lesende jedoch ein außergewöhnlicher und spannender Mix aus nordischer Historie und Fantasy.
Eva Bergschneider
Fantasy (History)
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Februar 2022
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