Stargazer: Bürgerkrieg – Interessante Bürger, wenig Krieg
Es geht Schlag auf Schlag. Etwas mehr als sechs Monate nach Erscheinen von „Das letzte Artefakt“ und exakt elf Wochen nach „Neue Heimat, Alte Feinde“ ist der dritte Stargazer Band „Bürgerkrieg“ erschienen – wie schon die Vorgänger zuerst als eBook. Auf das Taschenbuch aus dem Belle Époque Verlag müssen Leser*innen bis zum 16. Oktober warten. Diese Veröffentlichungsstrategie führt inzwischen zu Situationen, in denen das Taschenbuch vorm Vorgänger beinahe gleichzeitig mit dem neuesten Werk erscheint. Verständlich? Wirtschaftlich betrachtet, vielleicht. Die Fangemeinde – besonders auf Facebook – fordert lautstark „schneller, schneller, mehr!“. Der Amazon Algorithmus bevorzugt nach übereinstimmender Aussage mehrerer Selfpublishing-Autor*innen Abstände von zwei oder weniger Monaten zwischen den Titeln einer Reihe. Dass Ivan Ertlov all dem offenbar bereitwillig nachkommt, halte ich persönlich dennoch für einen Fehler. Doch dazu später mehr.
You can’t take the sky from me …
Band Drei beginnt mit einem klandestinen Plachtharr-Treffen, bei dem man nicht nur endlich Einblick in die wohl spannendste Fraktion der kunterbunten Space Opera Welt erhält, sondern auch erfährt, dass die vielbeschworene Einheit der Symbionten ausgesprochen oberflächlich ist. Nicht nur ein Konflikt bahnt sich an, sondern eine regelrechte Revolution. Der Stargazer Plot hingegen startet mit dem Abschluss eines anderen Abenteuers, von dem die Leserin weder die Vorgeschichte noch den bisherigen Verlauf kennt. Ein interessanter Kunstgriff, aber nicht unbedingt neu. „Firefly“ hat es in einigen Episoden vorgemacht, und es funktioniert auch hier. Die Gerichtsverhandlung, in der Bettsy und Dilara dafür verurteilt werden, Frank doch noch gefressen zu haben, ist nur eines von vielen humoristischen Highlights.
Jawohl, mein Sturmkommandant!
Natürlich wurde Frank nicht wirklich gefressen (soviel Spoiler darf sein). Und so machen sich die inzwischen zu Freunden – und mehr! – zusammengeschweißten Crewmitglieder auf, um den waffentechnisch und numerisch hoffnungslos unterlegenen Plachtharr-Rebellen unter die Arme zu greifen. Davor gibt es aber noch einen Abstecher nach Borsht, die Heimatwelt des Sturmkommandanten Troshk. Eine großartige Episode in ihrer eigenwilligen Mischung aus Sense-of-Wonder und Humor. Dieser spielt geschickt mit Wortwitz und Allegorien auf unsere Welt an, spart nicht an Gesellschaftskritik, nimmt die Macht der Militärpropaganda genauso aufs Korn wie unsere Fankultur und die Sexualisierung von Actionheldinnen. Letzteres, indem der Spieß umgedreht wird. Mehr verrate ich hier nicht.
Ein großer Lesespaß …
Der Rest der Reise, das Treffen mit den Rebellen und die gemeinsamen Operationen, Erkenntnisse und Konsequenzen – all das macht Laune, unterhält auch und gerade dann, wenn kein Witz vom Stapel gelassen und keine Schlacht geschlagen wird. Ertlov beherrscht die Sprache wie ein Meister seinen Pinsel, malt damit wunderbar detaillierte Szenenbilder voll spannender Details – nur um gleich danach zur Acryllackdose zu greifen und „Fuck you“ auf das Gemälde zu sprühen. Das ist ok, das sind wir gewohnt, wir werden blendend unterhalten. Die eigentliche Story, der Bürgerkrieg, verkommt fast zur Nebensächlichkeit. Man möchte fast sagen: Gottseidank. Denn besonders tiefgründig oder gehaltvoll ist sie auch diesmal nicht. Alle Kreativität steckt im Charakter-, World- und Scene-Building, und das funktioniert hervorragend. Inklusive großer Emotionen – der Epilog bringt eine der ergreifendsten, aber auch befriedigendsten Conclusio des Genres. Man darf auf Band vier gespannt sein, der am 1. Dezember erscheinen und die Reihe beenden soll. Zu viele angedeutete Geschehnisse im Hintergrund erscheinen noch unaufgeklärt, zu viele spannende Ansätze für weitere Stories unangetastet.
… mit bitterem Nachgeschmack
Es gibt kleinere und größere Kritikpunkte, die man bei allem Lesevergnügen nicht unter den Teppich kehren kann. Zum einen – für einen Roman mit dem Namen „Bürgerkrieg“ gibt es erstaunlich wenig Kämpfe. Ich habe meinen Frieden damit gemacht, dass „Stargazer“ keine Military Science-Fiction ist. Aber mit dem Cover und dem Titel ist es zumindest eine dezente Irreführung der Leserschaft. Zudem weist die Story eine Parallele zu einer vieldiskutierten Besonderheit des ersten „Indiana Jones“ Filmes auf. Die Geschichte wäre ohne die Protagonistinnen und Helden des Prospektorats Stargazer genauso ausgegangen, wahrscheinlich mit viel weniger (Todes-) Opfern. Einige Reflektionen Franks deuten darauf hin, dass er sich dessen bewusst ist. Weiter thematisiert wird es danach nicht mehr.
Was mich aber wirklich stört, ist die Ankündigung des Finales nach nicht einmal einem Jahr. Ertlov hat für „Stargazer“ einen spannend ausgearbeiteten Kosmos erschaffen, bewohnt von Dutzenden raumfahrenden Rassen, über die ich gern noch viel mehr erfahren will. Beeindruckende und fragwürdige Sozialkonstrukte, angedeutete Bedrohungen jenseits der wahrnehmbaren Realität, sogar eigene Kunstsprachen, deren Grundzüge man tatsächlich nebenbei lernt. Das wäre Potential für eine langjährige Reihe, vielleicht sogar für eine Heftromanserie. Stattdessen wird all das im Eilzugstempo verheizt. Die Charaktere altern zu schnell, ihre Lebensgeschichte wird im Zeitraffer vorangetrieben. Warum? Vielleicht, um dem Leserwunsch nachzukommen, wahrscheinlich um dem Amazon Algorithmus zu gefallen. Was für eine Verschwendung.
Fazit:
„Stargazer: Bürgerkrieg“ ist eine würdige Fortsetzung der knallbunten Space Opera zwischen Gesellschaftskritik, feinsinnigem und Brachialhumor. Sprachlich und erzählerisch noch um eine Nuance besser als die Vorgänger. Egal ob im beengenden Kammerspiel-Kapitel oder in den Weiten des Alls: Große Szenen, große Bilder und große Emotionen lassen uns mitfiebern und mitfreuen. Der Abspann ist eine Klasse für sich. Die Hauptgeschichte drumherum gewinnt aber auch diesmal keine Kreativitätsbewerbe, und Military-SF-Fans kommen nur abschnittsweise auf ihre Kosten. Mit der baldigen Abwicklung von „Stargazer“ kann ich mich auch nicht anfreunden, in der Welt steckt mehr Potential als in der „Avatar“ Reihe. Und die brachte es immerhin auf sechs Bände.
Danke an Gastredakteurin Tamara Yùshān
After Terra, Band 3
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Homegrown Games Australia (eBook), Belle Époque (Taschenbuch)
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eBook
238 (eBook), 300 (Taschenbuch)
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80
Hallo und guten Tag,
hm..hm…auch wenn es jetzt weniger meine Leserichtung ist…kommt mir ein Schade …..Schade…..spontan über die Lippen.
Denn hier wird anschaulich beschrieben wie die Geschichte wirkt auf einen Kenner der Materie und was man unter Umständen verbessern hätte können….
Deshalb Danke für diesen guten Einblick in diesen Roman……LG..Karin..