Steinerner Himmel (Die große Stille 3) – N.K. Jemisin

Der Anfang und das Ende vom Ende

Steinerner Himmel (Die große Stille 3) - N.K. Jemisin © Knaur Verlag
Steinerner Himmel (Die große Stille 3) © Knaur Verlag

Im ersten Band der „Die große Stille“ Trilogie „Zerrissene Erde“ steht die Protagonistin Essun, die wir auch als Syenit und Damaya kennenlernen, im Mittelpunkt: ihr kompliziertes und von Schicksalsschlägen geprägtes Leben als Orogene (Magiebegabte), das sie zu einer Berufung führt. In „Brennender Fels“ steht ihre Tochter Nassun im Zentrum des Geschehens, ihr Werdegang zur Orogenen und die über die Grenze des Erträglichen gehenden Opfer, die die Rolle einer möglichen Weltenretterin mit sich bringt. Hier deutet sich das Hauptthema des finalen Bands an: Das Schicksal der Stille wird von Mutter und Tochter entschieden.

„Mach das Ende, das Du brauchst.“ [S. 100]

Essuns Begleiter, der Steinesser Hoa erzählt die meisten Kapitel in „Steinerner Himmel“: einerseits weiterhin Essuns Geschichte in der zweiten Person, andererseits die Vergangenheit seines Volks aus der Ich-Perspektive. Was es mit der „Du“ Form, der direkten Ansprache Essuns, auf sich hat, klärt sich ganz am Ende des Romans. Eine weitere Perspektive bietet uns Nassun an, die ihre Erlebnisse in der dritten Person erzählt. Das multiperspektivische Erzählen hat die N.K. Jemisin also bis ins Finale beibehalten.

Endlich erfahren wir, was es mit den Steinessern auf sich hat und warum sie immer wieder an den entscheidenden Stellen der Handlung mitmischen. Hoas Erzählung reicht viele Jahrtausende zurück an den utopisch anmutenden Ort Syl Anagist, den die Steinesser einst bewohnten. Sein wichtigstes Thema ist der Sündenfall, der Vater Erde erzürnte und die sich schrittweise entwickelnde Apokalypse, die Fünftzeiten, heraufbeschwor. Etwaige Ähnlichkeiten mit der Geschichte der Wächter und Bewohner der Stille, oder gar unserer Zivilisation, sind sicherlich kein Zufall.

„Das Normale für den einen ist ein Zerschmettern für den anderen.“ […] „Wäre natürlich schön gewesen, wenn wir alle das Normale hätten haben können, aber es wollen nicht genug Leute teilen. Deshalb werden wir jetzt alle brennen.“ [S.180]

Auch Nassun ist auf Wanderschaft und erreicht Syl Anagist. Hier musss sie sich entscheiden, ob sie ihrer Mutter hilft, den Mond einzufangen. Oder ob sie ein anderes, krasseres Ende einläutet.

Ein holpriger Wiedereinstieg

Schon der erste Satz des Prologs verdeutlicht, dass „Steinerner Himmel“ den Kreis der Handlung schließt:

„Die Zeit wird knapp, meine Liebe. Enden wir mit dem Anfang der Welt, ja? Gut.“ [S.7]

Der Anfang des ersten Kapitels „geht alles noch einmal durch.“ N.K. Jemisin nimmt ihre Leser*innen an die Hand, um sie behutsam in die äußerst komplexe Handlung einzuführen. Dennoch fällt der Wiedereinstieg schwer, was vor allem daran liegt, dass die Art der Magie der Steinesser alles übersteigt, was wir bisher in „Die große Stille“ kennenlernten. Oder was wir überhaupt je in der Phantastischen Literatur lasen. Erst nach und nach wird klar, dass es sich hier um ein Spiegelbild einer fortschrittlichen Technologie handelt. Sie erinnert an Cyberpunk, gemixt mit einem Schuss Übernatürlichem.

Ähnlich verhält es sich mit der Gesellschaftskritik, die der Trilogie absolut zu Recht attestiert wird. Sie steckt als vielfältige Zivilisationskritik (Anti-Rassismus, Kritik an Ausbeutung von Geschöpf und Umwelt, Toleranz) in Anmerkungen, wie diesen:

„Aber für eine Gesellschaft, die auf Ausbeutung aufgebaut ist, gibt es keine größere Bedrohung, als niemanden mehr zu haben, der unterdrückt werden kann.“ [S. 347]

Sie wirkt aber trotzdem nicht wie mit dem erhobenen Zeigefinger aufgedrängt, sondern ergibt sich aus der Entwicklung der Story. Jedoch gilt auch hier, dass der arg verfremdete Kontext das Verstehen der Analogien bisweilen erschwert. Ungefähr ab der Mitte des Romans hat man sich daran gewöhnt, dass die Historie einer weitreichenden Zivilisation in Zeitraffer gestreift wird und die Faszination überwiegt.

Viele Rückblicke und ein Familienkonflikt

 „Steinerner Himmel“ nimmt viel häufiger Bezug auf den ersten Band „Zerrissene Erde“, als der mittlere Teil „Brennender Fels“. Bestimmte Details vom Anfang der Trilogie werden neu und im Hinblick auf Hoas Erzählung betrachtet. Finden Essun und Nassun zueinander? So viel ist inzwischen geschehen, was beide die Lage der Dinge unterschiedlich bewerten lässt. Der klassische Generationenkonflikt bahnt sich an, auf extrapolierte Weise. N.K. Jemisin erklärt in der Danksagung, dass sie sich in der Entstehungszeit der Romane um ihre sterbende Mutter gekümmert und ihren Brotjob als Psychologin aufgegeben hat. Diese Zeit war also für die Autorin ein schwieriger Wendepunkt, „nicht die beste Situation, um an diesem Buch zu arbeiten“, wie sie selbst schreibt.

„Wo es in diesem Roman Schmerz gibt, ist es echter Schmerz; wo es Wut gibt, ist es echte Wut; wo es Liebe gibt, ist es echt Liebe.“ [S. 432]

Wenn es etwas gibt, das absolut unmissverständlich herüberkommt, dann wahrhaftige und authentische Emotionen. Ob es einer Ausnahmesituation geschuldet ist oder nicht, in jedem Fall ist „Die große Stille“ ein Ausnahmewerk, das verdientermaßen dreimal mit dem HUGO Award ausgezeichnet wurde.

Insgesamt schließt das Finale diese besondere Geschichte zwar ab, fällt aber erstaunlich kurz aus. Vielleicht um ein Hintertürchen für eine Fortsetzung (oder ein Prequel) offenzulassen. Ich bin mir sicher, dass die Autorin noch viele Geschichten aus der Stille in der Schublade hat.

Eva Bergschneider

Triggerwarnung: Gewalt, Verstümmelung, Versklavung, Unterdrückung, Rassismus, Krankheit, Tod

Steinerner Himmel
Die große Stille, Band 3
N.K. Jemisin (Übersetzung Susanne Gerold)
Fantasy, Science Fiction
Knaur Verlag
Juli 2020
432
Markus Weber, Guter Punkt

Funtastik-Faktor: 84

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