Tad Williams in Berlin

Oder von der Unmöglichkeit, die Osten-Ard-Saga weiter zu spinnen

Drachenbeinthron - Tad Williams
Der Drachenbeinthron © Klett-Cotta

Ursprünglich wollte ich zum Blogger-Frühstück mit einem meiner großen Idole auf der Frankfurter Buchmesse 2017. Wer noch nicht von ihm gehört haben sollte: Vor fast 30 Jahren erschien mit dem „Drachenbeinthron“ der Auftakt zu seiner berühmten Osten Ard-Saga, 1996 dann der erste Teil von Otherland – einer vierbändigen Internet-Dystopie. Da das Frühstück kurzfristig abgesagt wurde, machte ich mich auf in den Berliner Festsaal Kreuzberg und ließ so die Buchmesse zwei Tage früher in der Heimat beginnen. Meine Aufgaben überrollten mich, und ich kam erst heute zum Schreiben.

Moderator und Übersetzer Bernhard Robben führte durch den Abend. Er erfreute das Publikum immer wieder mit ungewöhnlichen Interna aus Tads Biographie. Als Detlef Bierstedt aus der „Hexenholzkrone“ zu lesen begann, fühlte ich mich erstmal wie im falschen Film. Hatte doch seine Stimme zwei Stunden zuvor mein Abendessen begleitet. Er ist der Erzähler in den Hörspielen von Rebecca Gablés Mittelalter-Sagas. Seine prägnante Stimme und Ausdrucksweise kam genauso genial bei der „Hexenholzkrone“, dem ersten Teil der Fortsetzung der Geschichte Osten Ards, zum Tragen.

Warum hat Tad Williams seine Meinung über die Osten Ard Fortsetzung geändert?

Tad Williams © Amandara M. Schulzke
Tad Williams © Amandara M. Schulzke

Ich verrate Euch nun, wie Tad dazu kam, die Osten Ard-Saga, auch das Geheimnis der großen Schwerter genannt, doch weiter zu schreiben. Immer wieder in den letzten drei Jahrzehnten hatten ihn seine Fans gefragt, ob er sie denn nicht fortsetzen möchte. Seine Antwort war stets und ständig: „Nein! Ich habe keine Geschichte, die ich erzählen will.“ Außerdem hatte er Angst, dass ein neues Buch an die Qualität der anderen Romane nicht heranreichen würde. Zu denen, die ihn immer wieder drängten, gehörte an allererster Stelle seine Ehefrau Deborah.

„Sie piesackte mich.“

Das führte er mit ausgestrecktem Zeigefinger vor. Eines Nachts lag er gereizt in seinem Bett und ärgerte sich über ihre Forderung. Er wollte sich überlegen, wie er ihr und seinen Fans endgültig deutlich machen könne, dass es nicht geht, eine Fortsetzung zu schreiben. Es war so viel passiert in den letzten Jahren. „Ich war geschieden worden und hatte wieder geheiratet, hatte Kinder bekommen, in einem anderen Land gelebt. Ich war ein anderer geworden.“

Das Herz der verlorenen Dinge - Tad Williams © Klett-Cotta
Das Herz der verlorenen Dinge © Klett-Cotta

Plötzlich schossen ihm die Gedanken durch den Kopf, wie sich wohl seine Figuren in den letzten fast 30 Jahren entwickelt hätten. Er hatte Simon und Miriamel als Teenager verlassen, sie waren gerade einmal 17. Was haben sie seitdem erlebt, wie haben sie sich entwickelt und wie Binabik? Anstatt seiner Frau am nächsten Morgen am Frühstückstisch eine ausführliche Begründung für sein „Nein“ zu offerieren, erklärte er ihr, dass er jetzt einen neuen Osten Ard-Roman schreiben muss, nein drei, und dass es ein Riesenjob würde.

„Sie werden einander so eng verbunden sein, wie Bruder und Schwester nur sein können, obwohl sie viele Jahre getrennt leben werden. Sie wird Länder bereisen, die nie zuvor von einer Sterblichen betreten worden sind, wird verlieren, was sie am meisten liebt, und mit dem, das sie einst verachtet hat, ihr Glück finden… Er wird einen neuen Namen bekommen. Niemals wird ihm ein Thron gehören, aber seine Hand wird Königreiche erheben und stürzen.“

Mit dieser Prophezeiung über die Zwillinge hatte er im letzten Band „Der Engelsturm“ 1994 schon den Grundstein zu weiteren Büchern gelegt. „Ich hatte nie vor, das Rätsel aufzulösen“, so Williams. „Das Herz der verlorenen Dinge“ (auf deutsch erschienen im März 2017) baut die Brücke von der alten zu der neuen Saga, deren erster Band „Die Hexenholzkrone“ (September 2017) ist. Den zweiten Band hat er bereits beendet „Empire of grass“ wird er im Englischen heißen.

Warum wird Fantasy-Literatur so gering geschätzt?

Tad Williams © Amandara M. Schulzke
Tad Williams © Amandara M. Schulzke

In Deutschland, und wie es scheint in ganz Europa, wird Fantasy im Literaturgeschehen als weniger wertvoll angesehen. Diesen Missstand sprach Moderator Bernhard Robben im Gespräch mit Tad Williams an. Er konfrontierte ihn mit der Befürchtung des aktuellen Literaturnobelpreisträger Kazuo Ishiguro, dass die Leser sein neuestes Werk „Der begrabene Riese“ als Fantasy einstufen könnten. Ishiguro wurde in Japan geboren und kam als Sechsjähriger nach London.

Tad stürzte sich darauf, weil es eines seiner Lieblingsthemen ist. Er erklärte, dass Autoren wie Ishiguro oder die Kanadierin Margaret Atwood Äpfel mit Birnen vergleichen. Denn wer Genres wie „Fantasy“ oder „Crime“ benennt, der benennt damit auch einen Markt. Es gibt Leute, die kaufen alles, wo Schwerter und Drachen vorkommen, gleichgültig, ob es etwas taugt oder nicht. Es gibt aber keinen entsprechenden Markt für „Literatur“. So vergleichen sich die erklärten Literaten mit dem gesamten Fantasymarkt anstatt mit den Großen dieses Genres wie Neil Gaiman oder China Miéville.

Kurz vor Schluss fragte ihn Bernhard Robben, welchen Bezug er zum Winter hat. Tad lebt in Kalifornien, warum sollte er morgens nach dem Wetter zu schauen? Es ist immer gut. Umso faszinierender erlebt er schlechtes Wetter: Schnee, Frost, Eis. Kaum vorstellbar für einen Sonnenmenschen. Die Natur ruht und die Menschen hatten seit Urzeiten eine tiefsitzende Furcht, dass die Sonne nicht wiederkommen könne. Sie hatten Angst, etwas falsch gemacht zu haben. Unzählige religiöse Rituale dienen dazu, den Winter auszutreiben und die Sonne herbei zu rufen. Das hart klingende Norn kommt aus skandinavischen Sagen. Die Sithi, ihre wegen Verrats verbannten Geschwister, habe ich aus den Banshees, den Todesfeen, abgeleitet. Bei mir bringen die Nornen den Winter und mit ihm das Böse, so der Autor.

Otherland-Tad Williams © Klett-Cotta
Otherland © Klett-Cotta

Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich wundere, dass so liebenswerte Menschen, die wirken, als ob Du mit ihnen Pferde stehlen kannst, sich so unbarmherzige gruslige Feinde ausdenken.
Last but not least O-Ton Tad Williams:

„Ich bin der einzige Leser, den ich kenne. Ich baue meine Welt so, dass ich sie liebe. Und ich hoffe, dass meine Leser sie so lieben wie ich selbst.“

Das scheint wohl so zu sein. Seine Bücher haben sich millionenfach verkauft und wurden in weit über 20 Sprachen übersetzt. Hier in Berlin hat sich sogar der „world-famous bookshop“ (Tad Williams) den Namen „Otherland“ gegeben.

Amandara M. Schulzke

 

 

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