The Big Time – Fritz Leiber

Locked Room Mystery als Science Fiction

The Big Time (The Change War) - Fritz Leiber @ Orb Books
The Big Time @ Orb Books

Fritz Leiber schrieb von 1957 an rund sieben Jahre an einem Geschichtenzyklus, der unter „The Change War Storys“ zusammengefasst wurde, aber nie wirklich erfolgreich war. Aus diesem Zyklus erhielt „The Big Time“ 1958 den Hugo als bester Roman.

Zwei Mächte, die Snakes und die Spiders, sind in eine grauenhafte Abfolge von Schlachten verwickelt, „The Change War“ genannt. Der gesamte Krieg dient dazu, die Kontrolle über die Menschheit und das Universum zu erlangen. Die wichtigste Waffe besteht in der Veränderung der Vergangenheit. Dennoch gibt es keine Zeitreise in der Story selbst, deren Handlung nur ein paar Stunden in Anspruch nimmt.

Das seinerzeit einzigartige Werk liest sich wie ein Theaterstück. Die gesamte Handlung spielt auf einer Station, die einer Bühne ähnelt. Der Personalumfang ist gering. Die Station, eine Rehabilitationseinrichtung für Veteranen der Spiders, befindet sich losgelöst aus dem bekannten Universum in einer Art künstlicher Blasenkonstruktion.

In Anlehnung an die Poetik des Aristoteles ähnelt die Einheit von Ort, Zeit und Handlung im Äußeren der des Dramas. Während sich Ort und Zeit im Inneren der Dialoge beinahe aufzulösen drohen.

Kleine bunte Auswahl an beschädigtem Personal

Die Ich-Erzählerin ist Greta Forzane, eine junge Frau, die in der Station arbeitet. Die Veteranen sind desillusionierte Soldaten, die verschiedenen Zeitaltern entnommen wurden und oft genug gar nicht wissen, wofür sie kämpfen. Gretas Berufsbezeichnung ist Entertainerin. Dies bedeutet, dass sie Psychotherapeutin, Pflegerin und Geliebte ist. Greta liebte einen Mann, der im spanischen Bürgerkrieg gegen Franco sein Leben verlor.

Sie selbst ist im Verlauf ihres Lebens zweimal gestorben und wurde von den Spiders wiederbelebt. Das bedeutet, sie haben sie aus einem Zeitabschnitt vor ihrem Tod zu ihnen geholt. Dies ist der übliche Weg, Personal für den Change War zu rekrutieren. Greta muss mit zwei Sätzen von Erinnerungen an ihre Vergangenheit leben. Die damit einhergehende Traumatisierung lässt sich nicht einkapseln oder überwinden, geschweige denn, dass sie behandelt würde. Den anderen Figuren geht es ähnlich.

Greta und zwei Kolleginnen, ein Zeitgenosse William Shakespeares, ein russischer Arzt, Alkoholiker und Beau, sowie ein Spieler aus dem Süden der USA, führen ein Streitgespräch über den Sinn ihrer Arbeit, über die persönlichen Perspektiven und die Zukunft allgemein.

Oberleutnant Erich Friedrich von Hohenwald, ein Nazi, der englische Dichter Bruce, der 1917 in Passendale (Passchendaele) als Soldat ums Leben kam und der Römer Mark, des Weiteren je ein Alien aus einer weit zurückliegenden und einer weit entfernten Zeit, sowie eine kretische Amazone aus der Antike sind der Rest des Personals der Erzählung. Greta und Erich, der 1940 in Narvik getötet wurde, leben in einer befremdlichen Beziehung.

Die Handlung wird zunehmend dadurch bestimmt, dass in der Anlage eine Atombombe gezündet werden könnte.

Krieg als Konstante in der Menschheitsentwicklung

Eine Konstante im Lebenshorizont Leibers war der Krieg. Die beiden Weltkriege, die Atombombenabwürfe auf Japan, der Koreakrieg und der Kalte Krieg sind für ihn tiefer Ausdruck der menschlichen conditio und bestimmen „The Big Time“.

Zitat:

»It‘s time you understood we‘re not really fighting a war at all, although it looks that way, but going through a kind of evolution (…).«

Die Spiders als Vertreter der westlichen Demokratien und die Snakes als Ostblock unter Führung der Sowjetunion definieren die Frontenziehung im Roman. Den fortwährenden Krieg führen sie mit zumeist fremden Soldaten auf fremden Territorien, aus der Logik des Kalten Krieges als Stellvertreter-Kriege bekannt. Die Hauptfiguren der Geschichte sind voller Zweifel. Einige von ihnen glauben, dass sie etwas Schlechtes gegen etwas noch Schlechteres verteidigen.

Fritz Leibers Zeitreisen

Eins der klassischen Themen der Science-Fiction ist die Zeitreise. Fritz Leibers Konzept von einer Zeitreise entspricht nicht den heute stärker verbreiteten Vorstellungen, die einer Verzweigungslogik folgen. Diese lässt zu, dass eine Zeitreise eine neue Zeitlinie und damit eine alternative Realität generiert, die keine Veränderung für eine andere Zeitlinie beziehungsweise die Ausgangslinie bedeutet. Zeitreisenden ist hier ein Wechsel der Zeitlinien erlaubt. Wer hingegen bei Leiber Zeitreisen unternimmt, bleibt auf der gegebenen Zeitlinie.

Leiber propagiert eine Gesetzmäßigkeit, genannt „The Law of Conservation of Reality“, die ausschließt, dass sich das Universum verändert. Die Vergangenheit kann zwar lokal verändert werden, widersteht jedoch global: Sie ist insoweit stabil, als sie, kurzzeitig aus dem Gleichgewicht gebracht, wieder dorthin zurück gelangt. Um eine globale Veränderung herbeizuführen, müsste ein bestimmter „Eingriff“ so oft wiederholt werden, bis ein lokales historisches Gleichgewicht instabil wird. Unklar dabei ist in der Ausgangssituation, wie oft die Wiederholung erfolgen müsste.

Big Time ist die Raumzeit, die außerhalb des Universums existiert und von der aus Reisen zu jedem beliebigen Punkt in der Normalzeit möglich sind. Der Autor beschreibt Big Time einmal als einen Zug, der durch die Landschaft von Little Time fährt. Irgendwo in Little Time steigen die Soldaten aus und führen Krieg.

Zitat:

»(Y)ou can‘t time travel through the time you time travel in when you time travel.«

Die wenigen physikalischen Marker, die Leiber andeutet, lassen darauf schließen, dass er im Fokus seiner Zeitreisevorstellungen die Thermodynamik sieht, Entropie und Wärmetod insbesondere. In Anlehnung an den Entropiesatz wird bei ihm durch die Zeitreisen und Eingriffe in die Vergangenheit die Textur der Geschichte porös. Der Change Death ersetzt den Heat Death.

Die Originalfassung erschien zuerst als Zweiteiler im Magazin Galaxy Science Fiction vom März und April 1958 und in Buchform 1961 bei Ace Books. In der Übersetzung von Thomas Schlück gab es das Buch als „Eine tolle Zeit“ bei Fischer Taschenbuch (Fischer Orbit 41, 1974) und als „Eine große Zeit“ bei Bastei Lübbe (Science Fiction Abenteuer Bd. 23011).

Fazit

Die düstere und unterhaltsame Geschichte „The Big Time“ entwickelt einige interessante philosophische Gedanken. Sie hat ein hohes Erzähltempo und ist in pointierten Dialogen geschrieben. Eine ernsthafte Geschichte mit Tiefgang und sprachlich sehr vielfältig.

Danke an Gastredakteur Holger Wacker für die Besprechung der englischsprachigen Ausgabe

The Big Time
die erste Story der „The Change War Storys“
Fritz Leiber
Science Fiction
Orb Books
1958 (hier besprochene Ausgabe: März 2001
Buch
132
Lisa Pifher
80

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