Wayfarer-Saga, Band 1 und 2 – C. E. Bernhard

Endlich wieder eine High-Fantasy Saga zum Hineinversinken

Das Lied der Nacht – Band 1 der Wayfarer Saga

Das Lied der Nacht - C. E. Bernard © penhaligon Verlag
Das Lied der Nacht © penhaligon Verlag

Die Schatten fallen in das Dorf Festra in der Baronie Schur auf dem Kontinent Erebu ein. Sie verwüsten das Dorf, lassen niemanden am Leben. Seltsam zweigeteilt ist alles, was sie vernichten, egal ob Haus, Stall, Mensch oder Lebewesen. Eine Seite lässt noch erkennen, worum es sich handelte, die andere ist zur Unkenntlichkeit zerstört. Allein die Kinder der Dorf-Stria (Heilerin) entkommen. Tochter Blanka macht sich auf den Weg zur Festung des Barons Lurin, Sohn Pirmin zur alten Poststation. Sie ist das Zuhause von Weyd, dem Wanderer, der Bardin Caer und ihren Freunden.

Der erste Kontakt zu Lurin, dem Baron von Schur, beginnt mit dem brutalen Mord an Blanka. Die Eiserne Patrouille des Barons folgt der Spur Pirmins zur Poststation. Trotz liebevoller Aufnahme ergeht es Pirmin nicht viel besser als seiner Schwester. Er erliegt seinen schweren Verletzungen. Der Tross aus Eisernen und Gefährt:innen reitet nach Festra und erlebt die letzten Momente der Stria, die an die Lichtsäule genagelt ihr letztes Lied haucht. Und sie auffordert, die Feuer zu entzünden.

Furcht vor Fremden

In Schur ist es verboten, des Nachts Lieder zu singen und Lichter zu entzünden. Die Baronie streute die Angst vor allem Fremden in der Bevölkerung. Und als „fremd“ gilt, wer nicht seit Generationen in Schur heimisch ist. Die Festung des Barons wird zur Zuflucht der Bevölkerung vor den Schatten. Doch als sich herausstellt, dass das „Lied der Nacht“ die Schatten auf Abstand hält, geht es den „Entwurzelten“, wie man in Schur die Fremden nennt, an den Kragen. Weyd, der Wanderer, Caer, die Bardin, Bahr, die Seefahrerin, Jori, der Tiersprachen beherrscht, Bellitas der weisse Fuchs und der neu dazugestossene Heiler Ealdre fliehen mit zwei ehemaligen Soldaten aus der Baronie. Ihr Ziel: die Leuchttürme von Erebu.

»“Oh ja, es ist eine schreckliche Kunst, wenn auch keine besonders feine. Furcht zu verbreiten ist nicht weiter schwer. Es gelingt in jeder uns bekannten Sprache, solange sie menschlich ist, und vielleicht sogar in den Sprachen der Tiere.“« [S. 139 „Das Lied der Nacht“]

Das Flüstern des Zwielichts – Band 2 der Wayfarer Saga

Alte und neue Gefahren suchen den Kontinent Erebu heim. Die Verschnaufpause der Freunde in Briva, der blauen Stadt, währt nur kurz und schon bald machen sie sich erneut auf den Weg. Baron Lurin überzieht währenddessen das Land mit Krieg und steht schließlich vor den Mauern Brivas. Weiterhin geht Gefahr von den Schatten aus, die sich auch jenseits von Schur erheben. Und der fahle Reiter reitet durch das Land, wer ihm begegnet ist dem Tod geweiht. Auch die Gefährt:innen treffen auf den Reiter und erneut auf Baron Lurin. Überraschende Erkenntnisse zwingen die Gruppe zu schmerzhaften Entscheidungen. Ihnen läuft vor allem die Zeit davon.

»“Der Sinn des Lebens ist das Leben.“ antwortete Ealdre. „Es braucht keine weitere Rechtfertigung.“« [S. 156 „Das Flüstern des Zwielichts“]

Bewährtes Storytelling der High-Fantasy modern präsentiert

„Das Lied der Nacht“ und „Das Flüstern des Zwielichts“ zu lesen ist wie alte Freunde aus „Der Herr der Ringe“, Terry Pratchetts „Scheibenwelt“ und Endes „Die Unendliche Geschichte“ wiederzusehen. Dies könnte jetzt der Beginn einer nicht besonders positiven Rezension sein, in der ich zu dem Schluss komme, dass den heutigen Autor:innen der High-Fantasy gar nichts neues mehr einfällt. Und tatsächlich hat mich der Eindruck, dass die High-Fantasy gefühlt nur noch Rollenspiel-Settings und hundertfach bearbeitete Stereotypen in neue Buchcover kleidet eine Weile davon abgehalten, High-Fantasy zu lesen. All das trifft auf C. E. Bernards „Wayfarer“ Saga nicht zu, obwohl gewollte Ähnlichkeiten zu Klassikern der High-Fantasy nicht zu übersehen sind.

Die bewährte Queste prägt weite Teile der beiden ersten Bände der Wayfarer-Saga. Eine Gruppe von Freunden macht sich auf den Weg, die Welt vor dem Untergang zu retten. Sie treffen auf Wegbegleitende, kämpfen gegen Feinde und Gefahren, siegen, scheitern, fallen. Stehen wieder auf, um ihre Mission fortzusetzen. Die Fahrt beginnt mit einer Gruppe von Menschen und einem Mitstreiter, der einem phantastischen Volk angehört. Die übernatürlichen Kräfte, die einige ausüben, sind fast alle mit Klang und Sprache assoziiert. Caer, die Bardin, vermag Töne zu verstärken, Bahr, die Seefahrerin, spricht mit dem Feuer, Jori meistert die Sprache der Tiere und Andrin die des Wassers. Weyd hingegen ist ein talentierter Fährtensucher und Kämpfer, während Ealde, der Albitz, vermeintlich tödliche Wunden heilen kann.

Zeitgemäße Vielfalt

Das Flüstern des Zwielichts - C. E. Bernard ©
Das Fluestern des Zwielichts © penhaligon Verlag

Was die Wayfarer-Saga von den Klassikern unterscheidet, ist eine mittelalterliche Herrschaftsstruktur ohne König. Die Schauplätze Schur und Briva regieren ein Baron und eine Bürgermeisterin.

Ein moderner Aspekt der Geschichte ist die selbstverständliche Diversität der Figuren. Die High-Fantasy stand schon immer für Vielfalt in Bezug auf menschenähnliche oder weniger menschenähnliche Spezies wie Elfen, Zwerge, Halblinge, Trolle, Kobolde oder Orks. Nicht immer begegneten sich diese auf Augenhöhe. Bis auf den Heiler Ealdre und den Fahlen Reiter sind alle Protagonisten in „Das Lied der Nacht“ und „Das Flüstern des Zwielichts“ menschlich. Ob männlich, weiblich, oder bigender – sie gehen absolut gleichberechtigt miteinander um. Und verlieben sich homo- und hetero- und bisexuell. Diese Vielfältigkeit wird weder hervorgehoben noch in den Hintergrund gedrängt. Sondern fließt ganz natürlich in die Beziehungen und Geschichten der Figuren mit ein und lässt sie so lebensecht und natürlich wirken.

Eindeutige Held:innen fehlen ebenso, wie Gewinner und Verlierer. Die Protagonisten tragen jeder ihr Paket aus einem ereignisreichen Leben mit sich. Sie sind nicht auf jede ihrer Handlungen stolz und reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Was sie jedoch auszeichnet sind Freundschaft, Liebe und bedingungslose Loyalität. Mit Baron Lurin hat die Autorin einen eindeutigen Antagonisten der Geschichte definiert, doch auch er mag der guten Sache am Ende noch dienlich sein.

Leben und Tod, Hell und Dunkel mit aktuellen Bezügen

Die Ursache für diese um sich greifende Stille, die alles Lebens- und Liebenswerte zugrunde richtet, ist schnell erkannt: die Furcht vor dem Fremden. Sie schürt Misstrauen, lässt die Menschen vereinsamen. Sie  verleitet sie dazu einem Despoten zu folgen, der eine scheinbare Sicherheit verspricht. Diese aus der heutigen Zeit bekannten Strukturen sind sicherlich nicht zufällig gewählt. Auch die real existierende Europäische Union ist nicht in der Lage, ihre humanitäre Pflicht zu leisten und Menschen in Not aufzunehmen, vor dem drohenden Tod zu retten. Weil Vertreter populistischer Politik Furcht vor Menschen streuen, die anders aussehen, oder einer nicht christlichen Religion angehören.

Filmreife Schreibe

Bemerkenswert und individuell ist auch C.E Bernard Schreibstil, der Bilder wie aus einem Film im Kopf zeichnet. Teilweise springt sie mitten im Satz von einem Schauplatz zum anderen, wie bei einer Überblendung im Film. Nach einer gewissen Gewöhnungsphase genießt man dieses Stilmittel, da die Autorin passende, sich ergänzende Szenen zusammenfügt. Lesende erhalten damit gegenüber den Akteuren einen Vorsprung an Informationen, der die Entwicklung der Geschichte noch spannender und dramatischer macht.

Zusätzlich beschreibt sie Dialoge und Abläufe oft stichwortartig, Mit Einwortsätzen wie

»Langsam.

Geduldig.

Tödlich«

erzeugt sie einen bildhaften Handlungsverlauf,

mit mehrfachen, Stakkato artigen Ausrufen wie

»Für Schur.

                        Für Schur.«

ein bedrohliches Szenario.

Fazit

Die beiden ersten Bände der Wayfarer-Saga „Das Lied der Nacht“ und „Das Flüstern des Zwielichts“ bieten Fans der High-Fantasy all das, was dieses Genre besonders macht: einen interessanten Weltenbau, eine spannende Queste mit einer Gruppe von Protagonisten mit originellen Talenten, die dennoch lebensecht und natürlich herüberkommen. Dazu Verzweiflung und Gefahren satt, noch mehr Courage, Freundschaft und Liebe. Ihr typisches High-Fantasy Setting wertete die Autorin mit handlungsrelevanten Protagonistinnen und natürlicher Diversität in Bezug auf Geschlecht und Sexualität auf. Es macht einfach noch mehr Spaß High-Fantasy zu lesen, in der Frauen mehr als schmückendes Beiwerk und queere Beziehungen selbstverständlich sind.

Als hübsches Goodie hat der Verlag Augmented Reality in den Büchern versteckt. Mit Hilfe einer Smartphone-App erfahren wir mehr über die Autorin, können einen Blick auf Karten und Bilder werfen, eine Playlist, Lieder und Texte aus den Büchern anhören. Eine klare Leseempfehlung also für die Wayfarer-Saga von C. E. Bernard mit viel Vorfreude auf den finalen Band „Der Klang des Feuers“.

Eva Bergschneider 

Das Lied der Nacht, Das Flüstern des Zwielichts
Die Wayfarer-Saga, Band 1 und 2
C. E. Bernard, Übersetzung: Charlotte Lungstrass-Kapfer
Fantasy
Penhaligon Verlag
März 2021 und Juli 2021
Buch
416, 384
Isabelle Hirtz, Inkcraft
88

Ein Gedanke zu „Wayfarer-Saga, Band 1 und 2 – C. E. Bernhard

  1. Schönen guten Morgen!

    Freut mich sehr dass dir die beiden Bände auch so gut gefallen haben! Der Schreibstil ist wirklich zum darin versinken und ich freu mich schon sehr auf den finalen Band – bald ist es ja soweit 😀

    Liebste Grüße und ein schönes Wochenende!
    Aleshanee

Schreibe einen Kommentar