Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Genau wie einst Lady Trent ist auch ihre Enkelin Audrey Camherst eine Dame, von der sich die gehobene Gesellschaft der viktorianischen Zeit abwenden würde. Denn genau wie ihre Tante ist sie eine begnadete Forscherin. Und auch sie setzt sich so oft sie kann gegen die Vorurteile ihrer Zeit durch.
Eines Tages erhält sie einen ungewöhnlichen Auftrag. Sie soll antike drakoneisische Steintafeln übersetzen, die vom Schöpfungsmythos jener uralten Zivilisation berichten. Es gibt allerdings ein paar Haken. Zum einen ist der Auftraggeber Lord Gleinleigh ein adeliger Möchtegernarchäologe, der mehr Schaden als Gutes mit seinen „Forschungen“ angerichtet hat. Und zum anderen gibt er ein striktes Zeitlimit vor, innerhalb dessen sie ihre Arbeit fertigstellen muss. Trotz aller Widrigkeiten macht sich Audrey ans Werk, denn eine solche Gelegenheit gibt es nur selten. Doch schon bald hat sie es nicht nur mit antiken Platten und Schriften, sondern mit einer ungeheuerlichen, folgenreichen Verschwörung zu tun.
Die beiden Buchserien „Lady Trents Memoiren“ und „Der Onxypalast“ machten die Schriftstellerin Marie Brennan hierzulande bekannt. Die „Lady Trent“ Bücher bilden eine fantastische Romanserie, die den Werdegang einer Frau erzählen, die ihr ganzes Leben der Erforschung der Drachen widmete. Und das zu einer Zeit, die gesellschaftlich unserem viktorianischen Zeitalter entspricht. Dementsprechend muss sie sich mit vielen Widrigkeiten und Schwierigkeiten herumschlagen, die Lesende in fünf packenden Romanen miterleben dürfen.
Ein spannender Spin-Off der „Lady Trent“ Reihe, leider nicht eigenständig lesbar
„Aus der Finsternis zum Licht“ ist ein Spin-off dieser Reihe. Lady Trent und ihre Erlebnisse werden in dem Buch gelegentlich thematisiert, davon abgesehen steht der Band für sich allein. Er erzählt eine eigenständige Story in einer leicht anderen Erzählweise. Dennoch empfiehlt es sich, die „Memoiren“ gelesen zu haben, weil dieser Roman teilweise auf Ereignisse eingeht und Begriffe verwendet, die man ohne Vorwissen nicht nachvollziehen kann. Und das ist vielleicht das größte Manko des Romans: dass es Marie Brennan nicht gelungen ist, ihre Erzählung so zu schreiben, dass sie komplett eigenständig funktioniert.
Eine dynamische Erzählweise sorgt für ein inspirierendes Leseerlebnis, lebendig und mit vielen überraschenden Wendungen. Langweile kommt an keiner Stelle auf. Marie Brennan treibt die Story einerseits mit Tagebucheinträgen, Vorträgen, Briefen und Zeitungsartikeln voran. Andererseits wechselt die Geschichte immer wieder zu der spannenden Schöpfungsmythologie, die nach und nach in ihrer aktuellen Übersetzung erzählt wird.
Dazu sorgen originäre Protagonisten für Schwung und Tiefe. Obwohl Audrey Camherst in einer Zeit aufwächst, in der ihre Tante Lady Trent bereits eine Berühmtheit ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass sie es als Frau nun leichter hat. Überall begegnet ihr der Snobismus einer Gesellschaft, die der viktorianischen Zeit nachempfunden wurde. Hinzu kommt, dass diese Epoche die Archäologie, für die sie so brennt, nicht als Wissenschaft anerkennt, sondern eher als Zeitvertreib reicher Männer abtut. Obwohl der Zeitgeist sich allmählich wandelt.
Der Protagonistin steht ein ungewöhnlicher Gelehrter zur Seite. Der Drakonier Kudshayn wird als eher sanfter Typ charakterisiert, ist aber trotzdem genauso wissbegierig wie Audrey. Der Beginn ihrer Zusammenarbeit ist einer der Höhepunkte des Romans. Einfach weil die Chemie stimmt, sie exzellent miteinander harmonieren und wunderbare wissenschaftliche Gespräche führen. Anders als die sonstige akademische Welt begegnen sich die beiden als Wissenschaftler mit wohltuendem Respekt und auf Augenhöhe.
Fazit
Abgesehen davon, dass das Buch für Neueinsteiger nicht geeignet ist, ist „Aus der Finsternis zum Licht“ ein rundum empfehlenswerter Roman, den Kenner der historischen Fantasy unbedingt lesen sollten. Für Fans der „Lady Trents Memoiren“ ist das Buch ohnehin Pflichtlektüre.
Gözz Piesbergen
Lady Trents Erbe - Spin-Off
Fantasy (History)
Cross Cult
Dezember 2020
Buch
440
Todd Lockwood
95