Blutzoll (Blut-Linien 1) – Tanya Huff

Blutleere Leichen pflastern die Straßen Torontos

Blutzoll (Blut-Linien 1) - Tanya Huff © Lindwurm Verlag, weisser Hintergrund, rote Blutflecken und Spritzer im Vordergrund, die Silhouette Torontos am unteren Bildrand
Blutzoll © Lindwurm Verlag

Ian ist das erste Opfer einer mysteriösen Mordserie, die Toronto um 1990 heimsucht. Die ehemalige Polizistin und Privatermittlerin Vicki findet ihn auf der Plattform im U-Bahnhof Eglinton West. Ein davonhuschender Schatten ließ sein Opfer mit herumgerissener Kehle zurück. Wer ist zu so etwas fähig?

Mike Celluci ist der zuständige Polizeiermittler. Er ist Vickis ehemaliger Partner, beruflich und privat. Zunächst ist sie lediglich eine Zeugin, die eine Aussage macht. Doch als die Freundin des Opfers, Coreen, Vicki als Detektivin engagiert, lässt sie ihre alten Beziehungen zur Gerichtsmedizin und auch zu Mike Celluci spielen. Weitere Morde passieren, blutleere Leichen mit herausgerissenen Kehlen bleiben zurück. Vicki ahnt, dass ein geografisches Muster auf dem Stadtplan die Tatorte bestimmt und legt sich auf die Lauer.

An Tatort Nummer sechs begegnet sie Henry, der seinerseits den Mörder jagt. Denn die Zeitungen Torontos behaupten, dass seinesgleichen für die Morde verantwortlich sind – Vampire. Doch Henry weiß es besser und weiht Vicki ein, woraufhin sich beide auf ein ungewöhnliches Teamwork einlassen. Bei Tageslicht ermittelt Vicki, die infolge einer Erkrankung nicht mehr gut sieht und extrem nachtblind ist. In der Nacht streift Henry durch die Stadt und macht Jagd auf den Serienmörder. Die Stimmung entwickelt sich zur Bedrohung für jene, die nachtaktiv leben und wird einer Nachtschwester zum Verhängnis. Doch es droht Toronto eine weit schlimmere Gefahr als die durch selbsternannte Vampirjäger.

Kompromisslos divers und ohne langweilige Klischees

Tanya Huffs „Blutzoll“ wurde unter dem Titel „Blood Price“ bereits 1991 veröffentlicht und ist der Auftaktband einer sechsteiligen Urban-Fantasy Serie. Der Verlag Feder & Schwert holte die Serie nach Deutschland und brachte sie ab 2004 in deutscher Übersetzung heraus. Mit dem Start der TV-Serie „Blood Ties“ brachte der Lyx-Verlag die Serie 2008 noch einmal heraus. Nun veröffentlicht der Lindwurm-Verlag sie erneut unter dem Serientitel „Blut-Linien“.

Serienheldin ist Vicki Nelson, eine ehemalige Polizistin, die nun ihr Geld als Privatdetektivin verdient. Soweit nichts Neues. Vicki brachte allerdings bereits Anfang der 90er Jahre Eigenschaften mit, die man heute mit Progressiver Phantastik assoziiert. Sie ist nicht nur eine coole und selbstbewusste Frau, sondern hat mit einer Sehbehinderung zu kämpfen und lebt offene Beziehungen. Beides wird in der Geschichte weder besonders betont, noch versteckt, sondern gehört ganz natürlich zu ihrem Leben. Viele der nachfolgenden Urban Fantasy Held:innen aus den frühen 2000er Jahren kamen weitaus konventioneller herüber. Ihre beiden Partner, der Cop Mike Celluci und der Vampir Henry Fitzroy bilden interessante Gegenpole. Celluci ist der Sprüche klopfende und raubeinige Noir-Cop. Henry hingegen kam als unehelicher Sohn von Heinrich VIII auf die Welt und genoss die klassische Bildung junger Adeliger seiner Zeit. Über die Jahrhunderte brachte er es zu beachtlichem Wohlstand.

Henry ist die faszinierendste Figur der Serie, weil er vielen der gängigen Vampir-Klischees nicht entspricht. Ja, er meidet das Sonnenlicht, weil es ihn verbrennt, und er trinkt regelmäßig Blut. Allerdings hat er mit Kreuzen keinerlei Probleme. Henry ist erzkatholisch und glaubt an den gekreuzigten Jesus und die heilige Maria. Knoblauch kann ihm nichts anhaben und ein Spiegel reflektiert sein Abbild ebenso wie von jeder anderen Person. In der Erzählgegenwart schreibt er Liebesromane und in Rückblenden erzählt Henry spannende Details aus seinem langen Leben. Zum Beispiel darüber, wie er seine erste Liebe kennenlernte und Vampir wurde. Oder wie er in den Besitz eines gefährlichen Zauberbuchs kam.

Ein Klassiker und Kleinod der Urban-Fantasy

„Blutzoll“ beginnt wie ein klassischer Serienkiller-Krimi und steigert sich zu einer rasanten Dämonenjagd, die die Bürger der Stadt in tödliche Gefahr bringt. Im Vordergrund stehen akribische Detektivarbeit und die atemberaubende Jagd auf den Killer. Die knisternde Dreiecksbeziehung zwischen Vicki, Mike und Henry sorgt für emotionale Dynamik und Abwechslung im düsteren Setting, drängt sich jedoch nicht in den Vordergrund des Plots. Tanya Huff hat mit ihrer „Blut“-Reihe eine der ersten Urban-Fantasy Serien geschrieben. Man erzählt sich, dass die Autorin bei ihrer Arbeit in einem Science-Fiction Buchladen feststellte, dass Vampir-Fans zu den treuesten Lesenden gehören. Da sie gerade eine hohe Hypothek für ihr Haus aufgenommen hatte, erschien ihr eine Vampir-Buchreihe als solide Einnahmequelle.

Jedenfalls hat „Blutzoll“ über 30 Jahre nach dem ersten Veröffentlichungstermin nichts an Klasse eingebüßt. Tanya Huffs Schreibstil ist prägnant, mitreißend und an den richtigen Stellen mit trockenem Humor gewürzt. Vielleicht kommt die Serie auch deswegen so gut bei Lesenden an, weil sie einen Zeitgeist ohne uneingeschränkt verfügbares Internet und allgegenwärtiger Smartphones repräsentiert. Hier sind klassische Ermittlungsarbeit, mühsame Recherche und ein Gespür für übernatürliche Phänomene gefragt. Die Serie bietet hiermit einen faszinierenden Mix aus Krimi, Mystery und Fantasy, der mich sicherlich die weiteren „Blut-Linien“ Bände lesen und genießen lässt.

Eva Bergschneider

Triggerwarnung: Blut, Gewalt, Mord, Tötung von Tieren, Verstümmelung

Blutzoll
Blut-Linien, Band 1
Tanya Huff, Übersetzung: Claudia Wittemund und Oliver Hoffmann
Urban-Fantasy
Lindwurm Verlag
August 2022
Buch
424
Julia Röck, Guter Punkt
84

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