Die Berechnung der Sterne (Lady Astronaut 1) –  Mary Robinette Kowal

Alternative Doomsday-Historie ermöglicht Lady Astronaut

Die Berechnung der Sterne - Mary Robinette Kowal © Piper, blauer Hintergrund, im Vordergrund sieben schwarze Frauen- Silhouhetten
Die Berechnung der Sterne © Piper

„Die Berechnung der Sterne“ beginnt mit dem Einschlag eines gigantischen Meteoriten vor der Küste Nord-Amerikas. Die östliche Küstenregion und Landstriche bis weit ins Landesinnere werden verwüstet, unzählige Amerikaner:innen sterben. Die Mathematikerin Elma York und ihr Ehemann, der Raketeningenieur Nathaniel, sind gerade mit der Cessna in den Urlaub geflogen und entgehen so der Katastrophe. Doch sie wissen, dass ihre Eltern, Nachbarn, Freunde in Washington D.C. nicht mehr am Leben sind.

Kansas City wird zum Zufluchtsort für Elma und Nathaniel und später auch die neue Hauptstadt der USA. Die beiden kommen zunächst bei den Lindholms unter, Eugene und Myrtle, ein schwarzes Ehepaar. Elmas Bruder Hershel ist Meteorologe in Californien. Gemeinsam rechnen sie anhand der Wetterdaten aus, wie groß der Meteorit wohl gewesen sein mag. Und was der Einschlag für Konsequenzen nach sich zieht.

Das Ergebnis stellt die bereits geschehene Katastrophe noch in den Schatten. Denn die Folge des Meteoriteneinschlags wird sein, dass nach einer vorübergehenden Kältewelle sich ein gigantischer Treibhauseffekt einstellen wird. Derart intensiv, dass die Erde nicht mehr bewohnbar sein wird. Nathaniel gelingt es, die NASA davon zu überzeugen, dass es langfristig nur einen einzigen Weg gibt, die Menschheit zu retten: die Flucht in das Weltall und letztendlich zum Mars.

In Zeitraffer wird das Weltraumprogramm der 50er und 60er Jahre durchgezogen, das Mercury-Programm gestrafft auf einen Zeitraum von 1953 bis 1957. Elma war WASP Pilotin im Zweiten Weltkrieg und verfolgt das Ziel, als eine der ersten Frauen ins Weltall zu fliegen. Doch die gesellschaftliche Realität dieser alternativen Historie entspricht der realen Historie der 50er Jahre: für Frauen und erst recht für schwarze Frauen ist der Zugang zu wissenschaftlicher Bildung enorm erschwert. Und ein Platz im Astronauten-Corps dadurch nahezu unerreichbar.

Der feministische Kampf in der Alternativhistorie ist der gleiche, wie in unserer Realität

Elma York kämpft dennoch darum, in das Weltall fliegen. Sie weiß, dass sie als Mathematikerin über die wissenschaftliche Qualifikation verfügt und als ehemalige WASP Pilotin erst recht über die nötige Flugerfahrung. Doch Colonel Stetson Parker, Kommandant der zuständigen Militärbasis, ist fest entschlossen, dieses Ziel mit allen Mitteln zu verhindern. Im Krieg gerieten sie aneinander, weil Parker sich gegenüber Frauen respektlos verhielt und Elma ihn meldete. Ein typisch patriarchisches Problem.

Sehr realistisch werden die Widerstände und Winkelzüge, mit denen Männer ihre Macht und ein angeblich zustehendes Territorium verteidigen, beschrieben. Dazu kommen die hanebüchenen Argumente, die als Begründung für den Status Quo dienen – und die Widerlegung derselben. Wir erleben diese alternative 50er Jahre Ära mit apokalyptischem Touch aus Elmas Sicht als Ich-Erzählerin. Und es macht Spaß, wie sie als couragierte und fachkundige Frau vom Beginn der Raumfahrt und ihrem feministischen Engagement erzählt.

Wir fühlen und kämpfen mit Elma

Es ist bewundernswert, wie Elma sogar eine Angstneurose in den Griff bekommt. Sie kämpft nicht allein und nicht nur für sich. Selbstbewusst lebt und identifiziert sich Elma als Jüdin, was ein lebensnaher und sympathischer Aspekt ihrer Persönlichkeit ist. Selbstkritisch hinterfragt sie ihr eigenes Handeln in Bezug auf Rassismus gegenüber Schwarzen Pilotinnen. Und setzt sich schließlich dafür ein, Frauen mit jeder Hautfarbe ins All zu bringen.

Fazit

Mary Robinette Kowals Auftakt der „Lady Astronaut“ Reihe lebt vor allem von den Protagonistinnen und der alternativen Geschichte der Raumfahrt aus einer feministischen Perspektive. Das gewählte Dooms-Day Szenario und der Ausblick der Geschichte, der die Menschheit zum Mars bringen soll, überzeugen dagegen nicht.

Zu Recht weist die Verlagswerbung auf Parallelen zum Film „Hidden Figures“ hin, der die Geschichte dreier Schwarzer Mathematikerinnen erzählt, die am Mercury- und Apollo-Programm der NASA maßgeblich mitgewirkt haben. Elma, Helen, Nicole und Myrtle sind vergleichbare Heldinnen, witzig, clever und couragiert. Etwas zu sehr fokussiert sich „Die Berechnung der Sterne“ auf die Protagonistin Elma und lässt die anderen Frauen neben ihr eher blass aussehen. Ich hätte gern etwas mehr über ihre Mitstreiterinnen erfahren.

Mehr davon?

Angekündigt waren ursprünglich zwei Teile der Lady Astronaut-Reihe, inzwischen gibt es in den USA drei Bände: „The Calculating Stars“, „The Fated Sky“ und „The Relentless Moon“. Wie wird diese Geschichte fortgeführt? Weiterhin als geraffte Zeitgeschichte der Raumfahrt und des Feminismus? Oder eher als Apokalypse? Oder schließlich doch als klassischer Science-Fiction Roman? Da mich der Science-Anteil nicht überzeugt hat, bin ich mir noch nicht sicher, ob ich weiterlesen möchte.

Möglicherweise entscheide ich mich aber doch dafür. Einfach weil mir die humorvolle und lebensnahe Erzählweise der Autorin mit knackigen Dialogen sehr viel Spaß gemacht hat. Übersetzerin Judith Vogt konnte diese Dynamik und den Charme von Mary Robinettes Schreibe stimmig in die deutsche Sprache übertragen.

Eva Bergschneider

Die Berechnung der Sterne
Lady Astronaut, Band 1
Mary Robinette Kowal, Übersetzung: Judith Vogt
Science Fiction
Piper
Januar 2022
Buch
512
Anke Koopmann
73

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