Die Glocke von Whitechapel – Ben Aaronovitch

Operation Stich ins Wespennest

Die Glocke von Whitechapel © dtv Verlag

Was war das Leben doch einfach für Peter Grant. Nicht dass er, aus einem Migrantenhaushalt stammend, früher auf Rosen gebettet gewesen wäre. Die tagtägliche Arbeit als Bobby in den Londoner Touristenvierteln bescherte ihm mal ein paar Diebstähle oder auch einmal eine Schlägerei, vielleicht noch einen Verkehrsunfall. Aber sonst ging das Leben seinen geregelten Gang.

Das änderte sich dramatisch, als er sein Talent für das Übernatürliche entdeckte. Seine Vorgesetzten waren nur zu schnell bereit, ihn ins Folly, in die Einheit für Spezielle Analysen abzuordnen. Es ist immer ein schlechtes Zeichen, wenn ein Chef der chronisch unterbesetzten Polizei Londons freiwillig auf einen seiner Leute verzichtet.

Mittlerweile ist Peter der erste magische Polizeilehrling seit über 50 Jahren, hat die Prüfung zum Constabler erfolgreich hinter sich gebracht und plagt sich mit Latein und Griechisch herum. Schließlich sind die Zaubersprüche in den vergessenen Sprachen verfasst. Mit der Göttin eines Flusses ist er liiert – fragen Sie nicht – Neoprenanzüge auf und im Bett – nein, besser nicht bildlich vorstellen.

Dass er sich so nebenbei den bösen Geist Londons zum Feind gemacht hat, dass er in ein zusammenstürzendes Hochhaus rannte und überlebte ist noch nicht das Unheimlichste, das ihm widerfahren ist. Zusammen mit seinem Vorgesetzten, dem Zaubermeister Nightingale, ist Peter auf der Spur des gesichtslosen Magiers. Und der plant, unterstützt von Peters Ex-Partnerin Lesley May, Großes. Groß im Sinne von umwälzend und die Wirklichkeit verändernd – für London und Umgebung.

Das hört sich nicht nur gefährlich an, das ist es auch. Peter wird gefangen gesetzt, mit einer traumatisierten Fae in ein Loch gesteckt und verraten. Wahrlich nicht die besten Aussichten für einen geruhsamen Ruhestand, scheinen die Chance für ein Überleben doch mehr als gering.

Eine in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Urban Fantasy-Reihe

Ben Aaronovitch verspricht nicht nur, er liefert. Und das mit bemerkenswerter Konstanz. Das, was seine Romane und Erzählungen um Peter Grant aus dem Allerlei der Urban Fantasy heraushebt, ist nicht nur des Protagonisten Herkunft, sondern auch sein engagierter und eigenwilliger Einsatz.

Fangen wir am Anfang an. Eine Erzähler aus einer Migrantenfamilie ist ungewöhnlich und innovativ. Dabei reitet der Autor eben nicht auf dem ach so benachteiligtem Farbigen herum, sondern lässt dessen Herkunft unauffällig mit einfließen. Also einmal kein erhobener Zeigefinger, kein Alibi-Farbiger wie wir das aus den US Serien kennen und bemängeln. Sondern ein Mensch, dessen Herkunft ihn geprägt hat, und die ihm eine etwas andere Sichtweise auf seine Umwelt, seine Kollegen und die Verdächtigen ermöglicht. Dazu kommt, dass Peter Grant kein Übermensch ist. Er hat seine Fehler, seine Eigenheiten, verhält sich so manches Mal launisch, naiv, dann wieder begriffsstutzig, ja regelrecht dumm. Das alles macht ihn als Handlungsträger sympathisch und griffig.

Er wird von seinem ganzen Wesen her als eine Person beschrieben, die einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und eine hohe Motivation mitbringt. Damit immer noch nicht genug, zeichnet ihn ein tiefes Verständnis für die Underdogs, denen er begegnet, aus. Obwohl Peter umgeben ist von Menschen, die mehr Erfahrung haben, die intelligenter oder mächtiger als er sind, ist es oft an ihm, die entscheidenden Zusammenhänge zu erkennen die letztlich zur Lösung des komplizierten Rätsels führen. Große Action-Szenen sucht man zumeist vergebens, Der Schriftsteller Ben Aaronovitch ist ein Mann der leisen, pointiert gesetzten Töne.

Ein charismatischer Protagonist und weitere charmante Typen und Orte

Neben dem Pfund des Hauptdarstellers gelingt es dem Autor auch, seine Nebenfiguren liebevoll und, weit wichtiger, interessant zu zeichnen. Hier begegnen uns kompetente Polizisten, Magier und Forscher, die ganz dem Londoner Schmelztiegel entsprechend aus unterschiedlichsten Kulturen stammen. Muslims, arbeiten dabei tagtäglich ohne Probleme mit Christen zusammen. Hier wird alltägliche Akzeptanz und Respekt vor den Eigenheiten des Anderen gelebt und vermittelt.

Wie immer hat Aaranovitch seinen Plot mit jeder Menge schrägem und hintergründigem Humor unterfüttert, so dass sich die Lektüre nicht nur spannend sondern gleichzeitig kurzweilig und amüsant gestaltet.

Dem Leser begegnet auf den Seiten der Romane einem London, das abseits der berühmten Sehenswürdigkeiten Facetten offenbart, die erstaunen und verblüffen. Man bekommt Lust darauf, diese Metropole, in der das Zusammenleben unterschiedlichster Kulturen funktioniert, zu besuchen.

So werden die Fans der Reihe „Die Glocke von Whitechapel“, für das sich der Autor fast zwei Jahre Zeit ließ, begeistert goutieren. Neueinsteigern würde ich aber raten, mit den ersten Teilen zu beginnen, verpassen sie doch sonst viele Entwicklungen, Anspielungen und Running Gags.

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DANKE an Gastrezensent Carsten Kuhr

Die Glocke von Whitechapel
Peter Grant Reihe, Band 7
Ben Aaronovitch, Übersetzung: Christine Blum
Fantasy/Krimi
dtv Verlag
Mai 2019
414

Funtastik-Faktor: 87

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