Pärchen, Butler, Jahrmilliarden
„Geisterreich“ schließt (fast) nahtlos an „Der Untergang des Universums“ an, kann aber notfalls auch getrennt von diesem gelesen werden. Die Vorgeschichte wird durch die Handlung schnell klar und lässt keine allzu großen Fragen offen, auch wenn man den ersten Band ausgelassen hat. Ich würde es dennoch im Doppelpack empfehlen.
Der Beschreibungstext auf Amazon ist übrigens grenzwertig und deutet meiner Meinung nach zu viel an. In manchen Literaturforen würde man einen Spoilertag verwenden.
Die Ausgangslage ist klar. Die Menschheit, die einzige (zumindest tierische) vernunftbegabte organische Lebensform unserer Galaxie, ist gerettet. Zumindest wurde ihre Auslöschung deutlich hinausgezögert, denn letztendlich liegt das ganze Universum im Sterben. Brandon Q. Morris mischt hier in die Entropie, dem Kältetod und der Prophezeiung der Unausweichlichkeit, noch eine Expansion der dunklen Materie. Das hat physikalisch Hand und Fuß. Wie man es von einem Autor, der selbst Physiker ist, auch erwartet.
Aufschub bekam die Menschheit mithilfe eines Gigaprojekts: eine gigantische Dyson-Sphere, die in der Mitte der Milchstraße errichtet wurde. In ihr gefangen ist ein Quasar, der unserer Zivilisation Energie spendet. Doch dann vergreift sich eine unbekannte Macht an diesem Meisterwerk der Technik. Zhenyi und Kepler, die Mit-Retter der Galaxie aus Band 1, rücken aus, um Licht in diese Übergriffe zu bringen. Und sie zu stoppen. Doch schon bald machen sie eine Begegnung, die nicht nur ihr Wissen über Existenz über Bord wirft. Nein, auch ihre Loyalität wird einer Prüfung unterzogen.
Technik ist Trumpf. Herz noch mehr.
Wer sich jetzt fragt, was eine Dyson-Sphere oder ein Quasar ist, interessiert sich vielleicht für das falsche Buch. Die Handlung spielt Milliarden Jahre in der Zukunft, und es ist bei allem Zwischenmenschlichen immer noch Hard SF. Ein Gerne, das von Brandon Q. Morris seit Jahren meisterhaft bespielt wird, aber eben gewisse Kenntnisse voraussetzt. Technik, Wissenschaft, Futurismus.
Aber keine Sorge. „Der Untergang des Universums“ ist viel menschlicher, wärmer und liebevoller als die „Eismond“-Reihe, mit der Morris seinen Platzhirsch-Status in diesem Sub-Genre erobert hat. Darin waren Charaktere Schablonen, eher Hilfsmittel der Erzählung und wissenschaftlichen Entdeckung.
Hier trifft man das genaue Gegenteil. Sogar autonome AI Einheiten haben Charme, Wünsche und Freuden im Leben. Menschen sind menschlich und emotional, auch wenn sie sich speziell angepasste Körper bauen lassen. Oder ihr Körper gar in einem Roboter steckt. Und so zehrt die Geschichte in Punkto Spannung und Unterhaltung von der Interaktion zwischen Kepler und Zhenyi. Als Paar, das sich seit Äonen kennt und liebt, haben sie eine ganz spezielle Dynamik. Diese fängt Morris sehr geschickt ein und nutzt sie für sein Storytelling.
Aber auch die Nebencharaktere, von KI Butler Puppy bis hin zu den ‚neuen Playern‘, haben eine erfrischende Eigenständigkeit und genug Tiefgang. Insbesondere, wenn sie sich die Frage stellen – oder stellen müssen – wie sie zu einander stehen, läuft die Erzählung zur Höchstform auf. Man fiebert mit den Protagonisten mit, rätselt, leidet und liebt mit ihnen. Die Seiten fliegen auch dann nur so dahin, wenn gerade in der Haupthandlung nichts Gravierendes passiert.
Kleine Schwächen und Nebenwirkungen
Keine Frage, dieses Buch ist nicht für jeden geeignet. Wer kriegerische Auseinandersetzungen oder episches Ringen wie in Webers „Harrington“- Romanen sucht, ist hier fehl am Platz. Wer einen spannenden Action-Kracher wie den „Onur“-Zyklus erwartet, wird enttäuscht. Wer sich an einem thematisch ähnlicheren Konzept wie den „Hyperion-Gesängen“ orientiert, ebenfalls. Morris versucht erst gar nicht, die großen philosophischen und religiösen Fragen der Unsterblichkeit zu beantworten. Er stellt sie nicht einmal. Auch den Transhumanismus einer fernen Zukunft hat er zugunsten einer menschlichen Menschheit verworfen. Und das ist gut so, genau das macht das Buch und seine Protagonisten so liebenswert.
Der einzige echte Kritikpunkt für mich war die Bereitwilligkeit, mit der Kepler an seiner ‚Gefährtin seit Ewigkeiten‘ zu zweifeln bereit war. Und wie leichtfertig im Vergleich dazu einer bloßen Behauptung von Unbekannten vertraut wurde. Aber auch das war nur ein kleiner Schönheitsfehler.
Fazit
Wie jeder Hard SF Roman, ist auch dieser nicht unbedingt massentauglich. Nicht einmal für alle Science-Fiction Fans. Aber innerhalb des Sub-Genres ist „Geisterreich“ ein mutiges, gelungenes Werk. Brandon Q. Morris hat sich von seinen sprachlich exzellenten, aber doch sehr technokratischen Anfängen zu einem wunderbaren Geschichtenerzähler weiter entwickelt, der sympathischen Figuren gekonnt Leben einhaucht. Da die Hard SF selbst dabei nicht auf der Strecke bleibt, hat er mit „Der Untergang des Universums: Geisterreich“ ein weiteres Glanzstück des Genres abgeliefert.
DANKE an Gastrezensentin Tamara Yùshān
Der Untergang des Universums - Band 2
Science-Fiction
HardSF.de
Mai 2019
370
Funtastik-Faktor: 77
Wieder eine tolle Rezension eines Buches, das ich selbst schätze. Ich kann dem oben gesagten durchaus zustimmen.
Zwei Anmerkungen jedoch:
1. „Morris versucht erst gar nicht, die großen philosophischen und religiösen Fragen der Unsterblichkeit zu beantworten. Er stellt sie nicht einmal.“
Da würde ich zumindest teilweise widersprechen. Er beantwortet sie indirekt, gerade dadurch, dass die Menschen Menschen bleiben.
2. Obwohl es natürlich keine echten Geister in dem Buch gibt, verlässt Morris hier doch manchmal die rein wissenschaftlichen Gefilde. Wesen aus dunkler Energie: Das ist dann doch sehr weit im Fringe Bereich. Das ist jetzt kein Vorwurf gegen den Autor oder das Buch, ich habe die Idee großartig gefunden. Aber sie ist nun mal extrem spekulativ.
Danke für das Lob.
Anmerkungen zu den Anmerkungen:
1. Das stimmt, das ist vielleicht ein wenig missverständlich formuliert. Was ich meinte ist, dass es keine großartigen Betrachtungen darüber gibt, wie und warum und mit welcher existenziellen Konsequenz wir uns Milliarden Jahre lang zu was entwickelt haben. Wie du sagst – Menschen sind Menschen, und dabei bleibt es.
2. Da vertraue ich ehrlich gesagt Morris und seinem Background gut genug. Das wird schon Hand und Fuß haben. Und wenn nicht, ist es für mich als Leserin zweitrangig.