Herrscher der acht Inseln – Lian Hearn

Japanisches Märchen trifft auf Game of Thrones

Herrscher der acht Inseln - Lian Hearn © Sauerländer
Herrscher der acht Inseln © Sauerländer

Die acht Inseln regiert der Kaiser auf dem Lotusthron, doch die mächtigen Clans ziehen im Hintergrund die Fäden. Der Kakizuki-Clan gilt als dekadent und dem Kaiser treu ergeben, der Miboshi-Clan will die Herrschaft im Land erobern und modernisieren. Um das zu erreichen, nehmen sie eine Menge Blutvergießen und den Zorn der Götter in Kauf.

Die Gebrüder Masachika und Kiyoyori sollen in beiden mächtigen Clans einen Fuß in der Tür haben. Ihr Vater verlangt von seinem jüngeren Sohn Masachika, seine Ehefrau Tama an den älteren Bruder abzugeben, damit der die Hand auf ihren wertvollen Landbesitz Matsutani legen kann. Die Brüder stehen sich fortan als Anhänger gegnerischer Clans wie Feinde gegenüber.

Kazumaru ist der Sohn des Fürsten Shigetomo, der von geflügelten Geistern, Tengus, getötet wird. Die Witwe geht in ein Kloster und lässt Kazumaru in der Obhut seines Onkels Sademasa, der es allerdings nicht gut mit ihm meint. Als der Junge zum Mann herangewachsen ist, will er sich seiner auf einem Jagdausflug entledigen. Ein Hirsch geht an Kazumarus Stelle in den Tod und das Schicksal führt den jungen Mann zum Hexer Shisoku. In seiner Hütte verwandelt sich Kazumaru in Shikanoko, den Sohn des Hirsches. Er erhält eine magische Maske, die ihm übernatürliche Kräfte verleiht, aber auch Gefahren birgt. Shikanoko gerät zwischen die Fronten des Fürstabts, der die Miboshi unterstützt, und seines Clans, auf Seiten der Kakizuki. Er verliebt sich in die Herbstprinzessin Aki und verhilft ihr und dem Prinzen Yoshi zur Flucht. Doch die dunkle Magie des Fürstabts überwältigt ihn, macht ihn zur grausamen Marionette.

Yin und Yang – Gegensätzliches fügt sich zusammen

»„Zum anderen würde er niemals einen Meuchelmörder schicken, um mich zu töten, sondern dieses Vorhaben selbst in die Tat umsetzen. Diese Ehre würde er mir erweisen. Wir mögen getrennte Wege gehen, er und ich, und uns vielleicht jetzt auch hassen. Dennoch hoffe ich, das wir einander weiter achten werden.“ [S. 168]«

„Herrscher der acht Inseln“ ist der Auftaktroman zur „Legende von Shikanoko“ und den Begriff ‚Legende‘ darf der Leser ruhig wörtlich nehmen. Lian Hearn hat diese Erzählung, wie ihre populäre „Otori“-Saga, an das antike Japan angelehnt. Mit dem Fokus auf zwei Schwerpunkten: einerseits dem der japanischen Märchen und Sagen, andererseits auf Macht, Intrige und Krieg. Genau, ein wenig „Game of Thrones“ Atmosphäre kommt auf. Allerdings in einem Kontext, der dem Schicksal eine entscheidendere Rolle zuweist, als wir es aus George R.R. Martins Epos kennen. In „Die Legende von Shikanoko“ sind Vorsehung, Magie und Krieg untrennbar miteinander verbunden. Das zu verstehen verlangt vom Leser ein Umdenken, ein Einlassen auf Wertvorstellungen, die für viele von uns ungewohnt sein dürften.

Antagonismen fangen bei den Charakteren an und ziehen sich durch die gesamte Handlung

Shikanoko ist der Titelheld der Serie. Sein Werdegang als Krieger und Hexer steht im Vordergrund der Handlung. Als Sympathieträger funktioniert er nur sehr bedingt, obwohl er seine grausamen Taten nicht beabsichtigt. Er ist ein Getriebener seines Schicksals, aber auch ein zielstrebiger, machthungriger Mann. Derlei scheinbare Gegensätze sind in dieser asienähnlichen Kultur keine, unterschiedliche Strömungen fließen zu einem Ganzen.

Zwiespalt finden wir in allen Figuren. Auch jene, die überwiegend unsympathisch sind, haben ihre guten Seiten und Absichten. Selbst der Fürstabt, furchteinflößender Gegenspieler Shikanokos, ist zugleich sein Mentor. Ich könnte weitere, viel krassere Beispiele anführen, das würde jedoch einige der spannendsten Momente vorwegnehmen. Ich habe selten Fantasy mit einem so vielschichtigen und charakterstarken Ensemble gelesen.

Auch der Plot lebt von gegensätzlichen Aspekten. Der rebellierende Miboshi-Clan will aufräumen mit der Dekadenz des Kakizuki-Clans, unterstützt jedoch den falschen Thronfolger. Selbst das Klima verschwört sich gegen die überlegene Partei. Diese Kluft zieht sich durch das Leben jeder einzelnen handelnden Person. Wer heute siegt, kann morgen schon dem Untergang geweiht sein.

Figuren aus japanischen Märchen und Schauergeschichten

»„Zu spät, zu spät, zu spät“ johlten die Geister so wild, das ein einziges Wort daraus wurde. „Zuspätzuspäzuspät“ [S. 520]«

Allgegenwärtig sind Figuren aus japanischen Märchen und Gruselgeschichten, darunter auch Geister in Tier – oder menschenähnlicher Gestalt. Typisch für sie ist, dass sie den Menschen auf Augenhöhe begegnen. Sie begehren ihre Güter, sind aber zumeist nicht lebensbedrohlich. Wir begegnen Fabelwesen, wie dem Hirsch, und den Yūrei, die nach ihrem Tod nicht ins Jenseits übergetreten sind. Sie agieren als Schutzgeister, andere allerdings als todbringende Dämonen. Ihre Geschichten sind selbstverständliche und wesentliche Bestandteile der Handlung.

Altersempfehlung ab 14 fragwürdig

„Herrscher der acht Inseln“ ist ein magisches, bildgewaltiges Epos mit Japan-Flair und ein düsteres Abenteuer mit vielen faszinierenden Akteuren. Jugendliche und Erwachsene entwickeln sich mit der Geschichte weiter, trotz des surrealen und mystischen Umfelds stets glaubwürdig und nachvollziehbar. Das Dramatis Personae am Anfang des Romans ist notwendig. Nicht nur aufgrund der Vielzahl an Figuren, sondern weil es im Laufe der Handlung manchmal schwer fällt, eine Person einem bestimmten Lager zuzuordnen. Die Handlung des Romans ist voller Blut, Tod und roher Gewalt, inklusive sexueller. Diese dient nie dem Selbstzweck, sondern passt zu dem Krieg um Macht und zu dem antiken Japan-Setting. Soweit ist für erwachsene Leser, die gegen Sex in der Fantasy und einen hohen Body-Count nichts einzuwenden haben, alles gut. Das Imprint „Sauerländer“ ist ein Jugendbuch-Verlag der Fischer Verlagsgruppe und hat für „Herrscher der acht Inseln“ eine Altersempfehlung von 14 Jahren angegeben. Es mag sicherlich Fantasy erfahrene LeserInnen in dem Alter geben, die die darin vorkommende Gewalt richtig einordnen. Ich bezweifle jedoch, dass das für die Mehrheit gilt. Eine Empfehlung ab 16 Jahren wäre angemessener gewesen. Dafür, und weil einige sprachliche Wendungen überstrapaziert und andere sperrig daherkommen, gibt es Bewertungspunkte abgezogen. Was aber wenig am positiven Gesamteindruck ändert.

„Herrscher der acht Inseln“ handelt von einer Revolte gegen eine asiatisch feudalistische Herrschaft über ein Inselreich. Es ist zudem die Geschichte über junge Frauen und Männer, die infolge ihrer Abstammung in Kriegszeiten um ihr Leben fürchten und ihren Weg im Chaos suchen. Mit Mut und Magie setzen sie Akzente, die den Kampf um den Lotusthron entscheidend prägen. „Herrscher der acht Inseln“ endet an einem Wendepunkt und enthält eine Leseprobe zum finalen Roman der „Shikanoko-Saga“ mit dem Titel „Fürst des schwarzen Waldes“. Die ist genauso spannend wie „Herrscher der acht Inseln“ und ich würde gern sofort weiterlesen.

Eva Bergschneider

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Herrscher der acht Inseln
Die Legende von Shikanoko - Band 1
Lian Hearn (Übersetzerin Sibylle Schmidt)
Fantasy
Sauerländer
August 2017
592

Funtastik-Faktor: 75

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