Über Schreiben und Erwachsenwerden, ungeliebte Tropes und verpasste Chancen, Dimensionen der Kultur und historische Realität, die Zukunft und jede Menge Spaß.
››Ich glaube, in der Drúdir-Trilogie werden so ziemlich alle Fantasyvölker entzaubert, weil ihre Geschichte teilweise eine verzerrte Spiegelung realer Geschichte ist. Die Union der Zwerge und die Inseln der Elfen sind oder waren Kolonialmächte und hängen zerstörerischen Narrativen der eigenen Überlegenheit an.‹‹
Phantastisch-lesen: Wie viele Jahre sind zwischen den Anfängen von „Drúdir – Dampf und Magie“ und dem Ende in „Drúdir – Schatten und Scherben“ vergangen? Und was waren in der Zeit Deine wichtigsten Erkenntnisse in Bezug auf das Schreiben – oder persönlich?
Swantje Niemann: Die erste Idee zu „Drúdir – Dampf und Magie“ hatte ich tatsächlich kurz vor meinem Schulabschluss. Damals schrieb ich ein erstes Kapitel und entwickelte die Idee dann weiter. Mit der eigentlichen Arbeit am Buch habe ich im Herbst 2014 angefangen. Gegen Ende 2015 wurde der Roman fertig, und 2016 versuchte ich mich als Selfpublisherin. Das war alles noch ziemlich amateurhaft. Das Buch hatte kein professionelles Lektorat und am Cover habe ich auch gespart. Aber von den wenigen Lesenden, die das Buch erreichte, waren viele recht angetan. Und das war eine wichtige Motivation für mich, die mich dazu brachte, weiterzumachen. Seit dem Beginn der Arbeit an der Trilogie und ihrer Veröffentlichung sind also sechs Jahre vergangen, in denen ich einen Verlag gefunden, aber vor allem viel dazu gelernt habe.
Dadurch, dass ich sehr jung angefangen habe zu schreiben und zu veröffentlichen, liefen die Entwicklung meines Schreibstils und mein eigenes Erwachsenwerden parallel. Und waren teilweise ineinander verflochten. Ich bin auf einige Schwachstellen meines Schreibstils aufmerksam geworden, aber durch das Schreiben vor allem Leuten begegnet, die mich ihrerseits mit spannenden Ideen in Kontakt gebracht haben. Ich wünsche mir rückblickend oft, dass ich ganz am Anfang bedachter und informierter ans Schreiben, Veröffentlichen und Vermarkten herangegangen wäre. Aber gleichzeitig weiß ich, dass ich diesen kritischen Blick nur habe, weil ich aus diesen Erfahrungen lernen konnte.
Phantastisch-lesen: Wie bist Du ganz ursprünglich auf die Idee gekommen, eine Fantasy-Welt mit der Zeit der Industriellen Revolution zu verknüpfen?
Swantje Niemann: Mein Einstieg in die Fantasy war während des großen „Völkerfantasy“-Booms in den frühen bis mittleren 2000ern. Ich glaube, „Die Elfen“ war mein allererster Fantasyroman für Erwachsene, wenn man von „Der Herr der Ringe“ absieht. Ich habe eine Menge der „Die [hier mehr oder weniger traditionelle Fantasywesen einfügen]“-Bücher gelesen und wollte schließlich mehr oder weniger bewusst ein Buch schreiben, dass meine Begeisterung und Dankbarkeit für diese Bücher einfängt, die mich ja mit einem großartigen, vielfältigen Genre vertraut gemacht haben. Das Buch sollte aber auch etwas Eigenes darstellen und ein paar Tropes auslassen, die ich eher langweilig finde. Weil ich zu dem Zeitpunkt, in dem ich die Idee für „Drúdir“ hatte, ein Faible für die Literatur der Romantik entdeckte, habe ich mir überlegt, wie „tolkieneske“ Fantasywesen und die Welt des 19. Jahrhunderts zusammenpassen würden. Und wie spannend es wäre, uralte Magie und Kulturen mit starken Beharrungstendenzen mit einer Welt zu kombinieren, die sich rasant entwickelt.
Phantastisch-lesen: Wie hast Du den Protagonisten entwickelt? Inwiefern sollte Drúdir die gängigen Zwergenklischees bedienen, beziehungsweise brechen?
Swantje Niemann: Zwerge waren für mich meist die uninteressanteren Figuren in Fantasy-Figurenensembles. Sie waren oft weniger magisch, geheimnisvoll und gutaussehend als Elfen und weniger dynamisch als Menschen. Daher habe ich es mir zur Herausforderung gemacht, einen Zwergenroman zu schreiben, wie ich ihn gerne lesen würde. Drúdir ist eine Kombination aus Tropes, die eigentlich die meisten Leute kennen, aber selten kombiniert. Er ist ein Nekromant, was lange eher eine Fähigkeit für Antagonist*innen war, und mir selten bei Zwergen begegnet ist. Aber als Uhrmacher und Technik-Nerd hat er auch einige typisch zwergische Züge. Aber zuerst kam tatsächlich seine Persönlichkeit. Ich wollte einen Protagonisten, der sehr loyal und mitfühlend sein kann und sich nach Zugehörigkeit sehnt. Aber dem ein Geheimnis, sein Stolz und die Angst vor Zurückweisung es schwer machen, Beziehungen einzugehen.
Phantastisch-lesen: Wäre es denkbar gewesen, dass eine Zwergenfrau wie Findra Drúdirs Rolle einnehmen könnte?
Swantje Niemann: Es fällt mir tatsächlich schwer, mir eine weibliche Figur an seiner Stelle vorzustellen. Das liegt aber nur daran, dass ich mich so an Drúdir gewöhnt habe. An sich gibt es keinen Grund, wieso eine Zwergin nicht dieselben Probleme, dieselbe Charakterentwicklung, dieselben Fähigkeiten haben sollte. Ich war, als ich „Drúdir 1“ geschrieben habe, wie gesagt noch sehr von der teilweise doch eher konservativen deutschsprachigen Phantastik der damaligen Zeit geprägt, in der Protagonisten noch zahlreicher waren als Protagonistinnen. Heute sind die Figuren, die ich mir ausdenke, meist erstmal per Default weiblich. Rückblickend denke ich, dass ich mir eine Chance habe entgehen lassen, als ich Phandrael männlich gemacht habe. Eigentlich wäre eine chaotische Elfe an seiner Stelle ganz nett gewesen.
Phantastisch-lesen: Und gilt das Aufbrechen von Klischees auch für die Elfen? Wolltest Du sie ein wenig entzaubern und hast sie deswegen so zwielichtig dargestellt?
Swantje Niemann: Ich glaube, in der Drúdir-Trilogie werden so ziemlich alle Fantasyvölker entzaubert, weil ihre Geschichte teilweise eine verzerrte Spiegelung realer Geschichte ist. Die Union der Zwerge und die Inseln der Elfen sind oder waren Kolonialmächte und hängen zerstörerischen Narrativen der eigenen Überlegenheit an. Bei den Elfen ist das meiner Meinung nach eine sinnvolle Fortführung des „elfische Arroganz“-Tropes.
Die Idee von „bösen“ Elfen hat Schreibende ja seit einer Weile fasziniert – die Idee von Personen, die sehr gefährlich, sehr gewissenlos und dabei sehr gutaussehend sind. Hier und auch in Bezug auf Unsterblichkeit gibt es übrigens spannende Überschneidungen mit den Themen und Tropes, die mit Vampiren assoziiert sind. Teilweise wird das auf eine der vielen Varianten von Dunkelelfen ausgelagert, die es in der Literatur gibt. Aber mir hat die Idee besser gefallen, dass das einfach meine Elfen sind: Eine interessante Spezies, die viele schöne und viele extrem verwerfliche Dinge tut.
Die beiden Elfen, die wir näher kennenlernen, müssen aber natürlich mal wieder Individualist*innen sein. Phandrael eignet sich negative Elfenklischees ironisch an und Kyrai treibt den Perfektionismus ihrer Kultur zu einem selbstzerstörerischen Extrem. Wobei ich nicht glaube, dass hier von einer „Entzauberung“ die Rede sein kann. Phandrael hat so einige Fans gefunden. Obwohl – oder gerade weil – er eine von wenigen Figuren im Buch ist, die unmoralisch handeln. Ohne das kleinste bisschen sympathische Motivation dafür vorweisen zu können.
Phantastisch-lesen: Du hast in England und Norwegen gelebt. Hast Du aus dem skandinavischen Raum die Namen einiger Romanfiguren mitgebracht?
Swantje Niemann: Ja, ich stelle mir auch die Landschaft der Union sehr wie die in Norwegen vor.
Phantastisch-lesen: Fiel Dir nach dem Beenden des finalen Bands „Drúdir – Schatten und Scherben“ der Abschied von der Reihe schwer? Oder konntest Du Welt und Figuren ohne Wehmut loslassen?
Swantje Niemann: Es ist befreiend, mich neuen Projekten zuwenden zu können. Aber es kommt mir auch etwas unwirklich vor, mich nach so langer Zeit von den Figuren zu verabschieden. Gelegentlich denke ich darüber nach, welche alternativen Enden es für sie gegeben hätte und irgendwie sind sie noch präsent. Mein Freund, der sehr viel Anteil an meinen Schreibprozessen genommen hat, und ich reden manchmal über sie wie über alte Bekannte.
Gelegentlich denke ich darüber nach, vielleicht doch noch mal für eine Novelle in die Welt von „Drúdir“ zurückzukehren. Ich fände es z.B. sehr spannend, eine Gruppe junger Elfen dabei zu begleiten, wie sie versuchen, sich in einem von uralten Elfen und feudalistischen/absolutistischen Traditionen beherrschten Land Gehör zu verschaffen, sozialen Fortschritt und eine Aufarbeitung der Geschichte Cirdayas zu fordern.
Phantastisch-lesen: Wie funktioniert der Schreibprozess bei Dir? Bist Du eine Plotterin, oder mehr eine Discovery-Writerin?
Swantje Niemann: Eine Discovery-Writerin, die allmählich die Plotterin in sich entdeckt, würde ich sagen.
Phantastisch-lesen: Leidest Du unter Schreibblockaden? Und wenn ja, wie gehst Du damit um?
Swantje Niemann: Ja, sehr. Wenn ich erst einmal das erste Drittel eines Manuskripts geschafft habe, fällt es mir selten schwer, es zu Ende zu schreiben. Aber zwischen dem Abschluss eines Projekts und dem Beginn des Nächsten können bei mir Monate bis Jahre vergehen, in denen mir nur Kurzgeschichten gelingen. Weil ich einfach nicht den richtigen Anfang finde. Ich bin daher froh, dass ich keine hauptberufliche Schriftstellerin bin.
Phantastisch-lesen: Deinen drei Büchern (besonders dem zweiten Teil „Masken und Spiegel“) merkt man an, dass Du Dich intensiv mit Geschichte, Politik und Kultur beschäftigst. Inwiefern hat Dir Dein Studium der Kulturwissenschaften und der Europäischen Kulturgeschichte bei der Entwicklung der Hintergründe zu den Büchern geholfen?
Swantje Niemann: Ich denke, es hat mir sehr geholfen, weil es mir gezeigt hat, wie viele Dimensionen Kultur eigentlich hat und wie diese miteinander verflochten sind. Darüber hinaus finde ich die Lektüre alter Quellen spannend, weil sie zeigen, wie anders das Selbst- und Weltverständnis von Menschen in der Vergangenheit teilweise war. Aber auch, welche verblüffend modernen Ideen schon früh aufgetaucht sind. Außerdem lassen sich hier und da gute Ideen für Konflikte finden.
Es ist auch nicht schlecht, Munition zu haben, wenn sich wieder einmal Menschen darüber beschweren, dass ein Werk „nicht historisch korrekt“ sei, weil es zu viel Diversität gäbe. Es ist gerade bei Fantasy sowieso ein ziemlich faules und meist eigentlich nicht anwendbares Argument, aber spiegelt auch nicht die historische Realität wider.
Phantastisch-lesen: Wer Deinen Blog liest, weiß, dass Du ein politischer Mensch bist und Dir Themen wie Gerechtigkeit, Diversität und Rassismus am Herzen liegen. Wie begegnest du den politischen Herausforderungen unserer Zeit? Zum Beispiel dem Erstarken rechtsradikaler Positionen oder Verschwörungstheoretikern, die sich lautstark in den Medien präsentieren?
Swantje Niemann: Ich wünsche mir sehr, dass ich schon vor einigen Jahren so politisch und informiert gewesen wäre, wie ich es jetzt bin, weil ich mit einigen Themen – Rassismus, soziale Verwerfungen, Verschwörungstheorien – in meinen ersten beiden Büchern gerne noch etwas sensibler umgegangen wäre. Aber da ich gerade über die Buchbubble einen Zugang zu diesen Themen gefunden habe, der mir nicht nur mehr Wissen vermittelte, sondern erst wirklich begreifen ließ, wie unmittelbar viele Menschen davon betroffen sind, musste ich vielleicht erst das Buch herausbringen.
Wie ich all diesen Entwicklungen in der Gesellschaft begegne? Viel zu wenig, glaube ich. Ich unterstützte Organisationen, die sich für Menschenrechte, Verteilungsgerechtigkeit und die politische Teilhabe von BIPoC einsetzen durch Spenden. Ich versuche, seriöse, aber auch unterhaltsam aufbereitete Informationen zu teilen, die über Rassismus aufklären oder Verschwörungstheorien entlarven. Und natürlich versuche ich, mich stetig weiter zu diesen Themen zu bilden und als Autorin und Lektorin mit dem gebührenden Respekt an sensible Themen heranzugehen. Keine Ahnung, wie gut mir das gelingt.
Phantastisch-lesen: Du liest unglaublich viel, rezensierst Bücher für das Literatopia– und das PHANTAST Magazin. Hast Du in diesem Jahr bereits ein Buch gelesen, das Dich beeindruckt hast und das Du empfehlen möchtest?
Swantje Niemann: Mehrere! Dieses Jahr war ein sehr gutes Bücherjahr für mich. Ich habe mich in den Schauplatz von Gareth Hanrahans „The Gutter Prayer“, eine düster-seltsame Fantasymetropole, verliebt. Ich mochte Jeremy Szals „Stormblood“, einen actionreichen Liebesbrief ans Science-Fiction-Genre, und hatte eine Menge Spaß an Saad Z. Hossains Novelle „The Gurkha and the Lord of Tuesday“.
Ich habe eine große Wissenslücke geschlossen und endlich „The Dispossessed“ und „The Left Hand of Darkness“ von Ursula K. Le Guin gelesen, die mich beide zutiefst beeindruckt haben. Elif Shafaks „10 Minutes, 38 Seconds in this Strange World“ war eines meiner Lieblingsbücher dieses Jahr. Eine wütende, empathische, originell erzählte Geschichte.
Und ich habe dieses Jahr auch ein paar sehr lesenswerte Sachbücher gelesen, darunter „Desintegriert euch!“ von Max Czollek und „Behave“ von Robert Sapolsky. Letzteres eine super spannende Synthese von Erkenntnissen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, um menschliches Verhalten zu erklären.
Phantastisch-lesen: Wie bist Du bisher durch die Corona-Pandemie gekommen? Wie sehr belastet Dich diese Situation? Was ist besonders herausfordernd für Dich?
Swantje Niemann: Ich hatte das große Glück, dass ich dieses Jahr bisher viel von zu Hause aus arbeiten konnte bzw. längere Zeiten ohne berufliche Verpflichtungen hatte. Daher konnte ich es weitestgehend vermeiden, mich und andere Risiken auszusetzen. Aber es ist schon erschütternd, die Nachrichten zu sehen und die Berichte von Menschen zu lesen, die Monate nach ihrer „Genesung“ noch Nachwirkungen spüren. Und Events, auf die ich mich sehr gefreut hatte – Buchmessen, das PAN-Branchentreffen, das Steampunkfestival Aethercircus – mussten ausfallen oder sind verschoben worden. Und natürlich macht es die Situation nicht leichter, es als Autorin in Verlagsprogramme zu schaffen, wenn bereits so viele Bücher verschoben werden müssen.
Phantastisch-lesen: Inzwischen bist Du Lektorin, Literaturgutachterin und Beraterin. Wie gewinnst Du Deine Kund*innen und was bietest Du konkret an?
Swantje Niemann: Tatsächlich höre ich fürs Erste wieder damit auf, da ich einen Vollzeitjob gefunden habe. Zuvor habe ich aber Lektorate – sowohl eine stilistische als auch eine tiefergehende inhaltliche Bearbeitung – und Korrektorate – Berichtigung von Rechtschreibung und Grammatik – angeboten. Manuskriptgutachten sind eher eine Analyse der Stärken und Schwächen eines Buches, also quasi eine personalisierte Anleitung zum Selbstlektorat.
Kund*innen zu gewinnen war nicht einfach. Und das ist auch der Grund, wieso ich nicht sicher bin, ob ich dauerhaft als Lektorin arbeiten möchte. Die eigentliche Arbeit an den Projekten ist spannend und ich habe so tolle Menschen und neue Genres kennengelernt. Aber die Akquise liegt mir überhaupt nicht.
Phantastisch-lesen: Schreibst Du bereits an einem neuen Projekt? Oder hast Du gar ein weiteres Buch fertig? Kannst Du Deinen Leser*innen schon ein wenig darüber verraten, worauf sie sich nach „Drúdir“ freuen dürfen?
Swantje Niemann: Ich habe schon 2019 ein Urban-Fantasy-Manuskript abgeschlossen, um dessen Veröffentlichung ich mich jetzt verstärkt kümmern möchte. Die Protagonistin ist eine junge Frau, die einige normale Probleme (einen Studienabbruch und Einsamkeit), einige ungewöhnlichere Probleme (eine Essstörung) und einige übernatürliche Probleme (die Konfrontation mit Monstern aus einer anderen Welt) hat.
Darüber hinaus denke ich gerade über ein Projekt nach, bei dem ich einem meiner eigenen Ratschläge aus einem Blogpost folge und versuche, ein High-Fantasy-Gerichtsdrama zu schreiben.
Phantastisch-lesen: DANKE, Swantje, dass Du Dir für das Interview Zeit genommen hast.
Das Interview mit Swantje Niemann führte Eva Bergschneider per E-Mail