Drúdir-Schatten und Scherben – Swantje Niemann

Abschied an einem Wendepunkt

Drúdir-Schatten und Scherben © Edition Roter Drache
Drúdir-Schatten und Scherben © Edition Roter Drache

Nach den Ereignissen in Ch’Ashvaenta kehrte Drúdir nach Nordkrone zurück, um sich der Erfindung nützlicher Dinge mithilfe von Technik und Magie zu widmen. Er arbeitet als Assistent der exzentrischen Technomantin Limris, genießt sein sinnvolles Tagewerk und ruhige Abende. Doch eine Einladung in die Stadt Schwarzspiegel holt ihn zurück in eine schmerzvolle Vergangenheit. Und schubst ihn in ein weiteres düsteres und magisches Vabanquespiel.

Die Journalistin Svalris aus „Drúdir – Dampf und Magie“ heiratet die Fotografin Rirna. Von ihr erfährt Drúdir, dass Wuthri, der Erfinder des biomechanischen Seraph Moryn, den er im ersten Abenteuer als Verschwörer und Schwarzmagier überführte, tot ist. Zugleich ist Moryns Hülle verschwunden und in der Stadt Klippenlicht wurden ein Troll und ein Elf ermordet. Die Art der Tötung erinnert an die dämonischen Killer aus Schwarzspiegel, zu denen Moryn gehörte.

Ciatha ist Lehrerin und Blutmagierin. Doch ihr Talent ist in ihrer Heimat Skanvien genauso wenig gern gesehen, wie in der Union. Ihre Freundin aus Schultagen Mhiannon bittet sie, ihren Ehemann Gvynn zu heilen, der im Sterben liegt. Er wurde in Klippenlicht das Opfer des Gewaltverbrechens, bei dem ein Elf ums Leben kam.

Der ehemalige Thronerbe Kandrur hat seinem Sohn Wuthri Rache geschworen und heftet sich an die Fersen Drúdirs. Findra und ihr Kollege Shenrar reisen ebenfalls nach Klippenlicht, um die dortige Polizei zu unterstützen. Denn das einst verschlafene Fischerdorf soll Schauplatz einer historischen Begegnung werden: Elfenkönigin Shideris wird dort die Regierung der Zwerge treffen. Doch ein Mörder, der es auf Elfen abgesehen hat, ist dem Beginn einer neuen Ära der Zusammenarbeit zwischen der Union und Cirdaya nicht gerade dienlich. Und sollte schleunigst gefasst werden.

Der Abschluss einer ideenreichen Trilogie, die Leser*innen fordert

Aus meinen Rezensionen zum Serienauftakt „Drúdir – Dampf und Magie“ und dem Mittelband „Drúdir – Masken und Spiegel“ wisst ihr bereits, wie wundervoll ich allein die grundlegende Idee finde, die industrielle Revolution in einer Fantasy-Welt anzusiedeln. Ihr wisst, dass ich die Protagonisten Drúdir und Findra tief in mein Herz geschlossen habe und wie sehr mich ihre spannenden, düsteren Abenteuer faszinieren. In „Masken und Spiegel“ hat mir die Kriminalgeschichte besonders gut gefallen und – so viel darf ich vorwegnehmen – einen ähnlich genial konstruierten, nicht durchschaubaren Plot hat auch „Schatten und Scherben“ zu bieten. Der finale Band dieser außergewöhnlichen Reihe ist mit der Handlung des ersten Teils verbunden und bietet ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Und erzählt dennoch eine völlig eigenständige Geschichte mit einigen Qualitäten, die mir bisher in den „Drúdir“ Büchern so noch nicht aufgefallen sind.

»“Verdammt, verdammt, verdammt. Können die Toten nicht ein einziges Mal ruhig liegen bleiben, wenn sie schon keine Fragen beantworten?“ « [Findra, S.161]

Über Déjà-vus, Dämonen und Diversität

„Schatten und Scherben“ erzählt eine extrem düstere Geschichte. Allein deswegen, weil die Schrecken aus dem ersten Teil allgegenwärtig sind. Und noch weitere, haarsträubend furchteinflößende Geschehnisse hinzukommen. Swantje Niemann lässt wenig aus, was geeignet ist, Abscheu und Grusel hervorzurufen: Wahnsinn, Folter, dämonische Grausamkeit, Verstümmelung und Tod. Die Autorin verfasste Content Notes und ich werde meinerseits Triggerwarnungen an das Ende dieser Besprechung schreiben. Keine leichte Kost, in mehrfacher Hinsicht.

Wie schon in den vorhergehenden Bänden stellt die Autorin diesem Grauen die Schönheit ihrer Welt entgegen. Kiarva hat nicht nur die beeindruckende zwergische Architektur zu bieten, sondern auch imposante Naturschauspiele und reichhaltige Kulturen. In „Schatten und Scherben“ beobachtet die magisch begabte Menschenfrau Ciatha einen Kampf zwischen einem Wal und einem Seedrachen, der bildhaft, lebendig und detailverliebt beschrieben wird.

Das Thema Diversität ist vom ersten Band an fester Bestandteil der „Drúdir“ Romanwelt. Da die Gesellschaft der Union in Bezug auf sexuelle Orientierung fortschrittlich agiert, erleben wir die Hochzeit zweier Zwerginnen. Um die Anerkennung einer Abstammung von mehreren Spezies müssen die Figuren kämpfen, während eine Behinderung wie Gehörlosigkeit zumindest die berufliche Laufbahn als Erfinderin nicht einzuschränken scheint. In „Schatten und Scherben“ spielt die äußerst interessante Historie und Kultur der Trolle eine wichtige Rolle, die hier gänzlich anders gezeichnet ist als in anderen Fantasy-Büchern.

Erzählerische Dichte fast bis zur Schmerzgrenze

In dem knapp 400 Seiten umfassenden Roman erzählt Swantje Niemann eine Fülle von Ereignissen, Geschichten und Historien, die andere Schriftsteller locker auf der dreifachen Anzahl an Seiten untergebracht hätten. Wer genug hat von wie Kaugummi in die Länge gezogenen Fantasy-Epen, wird hier das genaue Gegenteil vorfinden. Die Kernhandlung ist zunächst auf zwei Ebenen angesiedelt: die Rachepläne Kandrurs und die Jagd nach dem Serienmörder von Klippenlicht. Dazu kommen jedoch mehrere kurz gestreifte Themen wie Kolonialismus, oder immer mehr Raum einnehmende Entwicklungen, auf die ich, um Spoiler zu vermeiden, nicht eingehe. Durch ihre einnehmende und zugleich präzise Art zu schreiben, wird die Autorin jedem dieser Motive gerecht. Trotzdem hätte ich gern noch mehr über die Kultur der Trolle gelesen. Schade, dass eine kluge und streitbare Frau wie die angehende Geschichtenwahrerin Struga lediglich in drei eingestreuten Tonaufzeichnungen ihre eigene Erzählstimme erhalten hat.

Eine Besonderheit dieses finalen Bands ist, dass öfter derber und staubtrocknener Humor durchblitzt. Ein paar von Findras emotionalen Ausbrüchen gehören dazu, sowie die genial sarkastischen Sprüche des Elfen-Spions Phandrael, wie zum Beispiel die zitierte Selbstbeschreibung:

»“Wofür hältst Du Dich?“

„[..] Für einen Elfen, der lachend in den Ruinen seines Landes tanzen würde, aber aus purer Neugier herausfinden möchte, wie lange er es verteidigen kann und ob es sich nicht doch irgendwann weiterentwickelt. Und für einen Mann, der Glück hatte: Das Leben ist ein grausamer Witz, aber zum Glück ist das genau mein Humor.“« [Phandrael, S. 244]

Ein untypisches, außergewöhnliches Fantasy-Lesererlebnis

„Drúdir-Schatten und Scherben“ ist für Fantasy-Fans, die sich für außergewöhnliche Geschichten abseits des Genre-Mainstream begeistern, ein Hochgenuss. Die vielen Wendungen und ein dichtes Netz aus Kausalitäten erfordern sehr aufmerksames Lesen. Jede Seite, jeder Satz ist wesentlich und kein einziger redundant. Bisweilen wirkt Swantje Niemanns Erzählweise derart auf das Wesentliche konzentriert, wie es mir in der langen Zeit, in der ich Fantasy-Literatur lese, noch nie begegnet ist.

Ein wehmütiger Abschied. Es gibt nicht viele Buchreihen, mit denen ich mich so verbunden fühle. Wir verlassen Drúdir, Findra und alle anderen Figuren, die uns lieb geworden sind, die uns weiterhin verwirren oder die wir zutiefst verachten an einem Wendepunkt in der Geschichte Kiarvas. Die Chancen für das, was sich Drúdir von Herzen wünscht, stehen zumindest besser als am Anfang dieser Geschichte. Es ist nicht alles gut und nicht jede Detailfrage beantwortet. Doch das würde nicht zur Komplexität und Tiefe dieser Geschichte passen.

Und genau deshalb ist das Ende perfekt. Sowohl „Schatten und Scherben“, als auch die gesamte „Drúdir“-Trilogie lässt sich treffend mit einem Wort beschreiben:

anders.

Und das ist in jeder denkbaren Hinsicht positiv gemeint.

Eva Bergschneider

Triggerwarnungen: Gewalt, Folter, Verstümmelung, Mord, Selbstmord, Tod,

Drúdir-Schatten und Scherben
Drúdir Reihe, Band 3
Swantje Niemann
Steamfantasy
Edition Roter Drache
September 2020
402
Jörg Schlonies

Funtastik-Faktor: 88

2 Gedanken zu „Drúdir-Schatten und Scherben – Swantje Niemann

  1. Hallo liebe Eva,

    schön wie Du Dich hier wieder begeistern konntest, aber für mich eher weniger geeignet wegen der Triggerwarnungen sind einfach für mich persönlich ein bißchen zuviel im Roman vorhanden…..

    Danke trotzdem für die Vorstellung …LG…Karin..

  2. Liebe Karin,

    ich kann Dich total gut verstehen.

    Das ist ein wenig die Kehrseite der Triggerwarnungen, sie schrecken vielleicht potenzielle Leser ab.
    So isoliert hingeschrieben klingen sie, als sei das Buch ausschließlich brutal und schlimm. Das ist aber nicht der Fall, es gibt sehr viele schöne und anrührende Szenen darin.

    Ich würde Dir (und allen, denen es vielleicht ähnlich geht) empfehlen, vielleicht mal die Leseproben (zum Beispiel bei amazon) der Drudir-Bücher anzuschauen. Oder lest die Artikel dazu auf Swantjes Webseite https://www.swantjeniemann.de/ .

    Es ist für Neueinsteiger in die Reihe eh ratsam vor dem dritten Band den ersten zu lesen. Der zweite Band ist auch toll (hat mir persönlich am besten gefallen), für das Verständnis von Band 3 aber nicht so wichtig.

    Liebe Grüße, Eva

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