Interview mit Theresa Hannig

Über schwierige Figuren und Fische im Wasser, Gerechtigkeit, Freiheit, China, Helden und das ewige eh.

„Das Problem ist, dass wir Dinge, die für uns normal erscheinen gar nicht mehr als große Errungenschaften begreifen. Die Freiheit, zu sagen, was man denkt, zu tun was man will, ist für uns selbstverständlich.“

Theresa Hannig © privat
Theresa Hannig © privat

phantastisch-lesen: Dein Roman „Die Optimierer“ beschreibt unsere Zukunft in 33 Jahren. Im Jahr 2052 leben wir demnach unter einer ständigen Kontrolle durch Kameras, Kontaktlinsen und Roboter. Der Staat gibt uns vor, welchen Beruf und welchen Partner wir wählen. Der Bürger ist so viel wert, wie er Sozialpunkte gesammelt hat. Für wie realistisch hältst Du so eine Zukunft?

Theresa Hannig: Ich glaube, dass ziemlich viele Ideen, die ich für das Jahr 2052 konzipiert habe, schon viel früher eintreten werden: Großflächige Automatisierung, Augmented Reality, Hochautomatisiertes Fahren, Bedingungsloses Grundeinkommen, Künstliche Intelligenz in vielen Arbeits-, Politik- und Gesellschaftsbereichen. All das kommt auf uns zu. Glücklicherweise können wir als Bürger*innen auf dem Weg dahin bestimmen, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln soll und welche Schutzmaßnahmen wir für die Individuen einbauen.

phantastisch-lesen: Wie bist Du auf einen solchen Gesellschaftsentwurf und auf Samsons Geschichte gekommen?

Theresa Hannig: Als ich anfing Politikwissenschaft zu studieren, habe ich im ersten Semester der „Politischen Theorie“ ein Seminar über Platons „Politeia“ belegt. Dort wird in Dialogform der Frage nachgegangen, was Gerechtigkeit ist und wie man diese umsetzen kann. Irgendwann kommen die Gesprächspartner darauf, dass Gerechtigkeit nur in einem gerechten Staat zu verwirklichen ist. Meine Optimalwohlökonomie ist eine Version dieses Idealstaates, aufgemotzt mit ein bisschen Technik. Es ist erstaunlich, wie das, was Platon für ein Ideal hielt, in unserer Welt zum Alptraum wird.

phantastisch-lesen: Der Roman spielt mit widersprüchlichen Empfindungen des Lesers. Denn anfangs erscheint diese Welt gar nicht so fürchterlich. Ein Fleischverbot oder eine Einschränkung des Individualverkehrs findet sicherlich manche LeserIn sinnvoll. Viele junge Menschen tun sich mit der Berufswahl schwer. Wäre ein Lebensberater, der sie auf den richtigen Platz setzt, nicht vielleicht sogar das richtige für sie?

Theresa Hannig: Ich habe mir zwischen Schule, Studium und Beruf oft gewünscht, ich könnte in die Zukunft schauen, um mich zu vergewissern, dass alles gut wird. Oder jemanden bei mir haben, der mir genau sagt, wie ich mich in dieser oder jener Situation entscheiden muss, was ich sagen oder wie ich handeln soll. Natürlich geht das alles nicht und man muss eben seine eigenen Erfahrungen machen, im Guten wie im Schlechten. Aber aus diesem Wunsch, eine Art „Bedienungsanleitung“ fürs Leben zu haben, ist dann die Figur des Lebensberaters entstanden, der mich so genau kennt, dass er weiß, was gut für mich ist. Nach wie vor fände ich es eine gute Idee, einen solchen Berater (oder wohl realistischer eine Software) zu haben, der mir im Leben die Richtung weisen kann. Der Nachteil in meinem Buch und im realen Leben wäre aber: ich müsste mich nackig machen und ALLE Daten preisgeben, die es über mich gibt, und das will ich nicht.

phantastisch-lesen: Du hast für die Welt der Optimierer viele Aspekte aus unserem gesellschaftlichen Leben, wie die Partnerwahl mit Hilfe des Computers, oder das Sozialpunktesystem, das China 2020 einführt, nur ein wenig weitergedacht. Bist Du erschrocken darüber, wie nah wir schon an der Optimalwohlökonomie dran sind?

Die Optimierer - Theresa Hannig © Bastei Lübbe
Die Optimierer © Bastei Lübbe

Theresa Hannig: Die Idee der Optimalwohlökonomie an sich ist ja nicht schlecht. Der Globitalismus (= globaler Kapitalismus), wie wir ihn zurzeit betreiben, zerstört auf lange Sicht den Planeten und damit unsere eigene Lebensgrundlage. Wir können nicht so weitermachen, wie bisher! Die Art und Weise, wie Technologie in Zukunft unser Leben bereichert oder bedroht, können wir selber entscheiden. In meinem Roman ist es ja nicht die Technologie per se, sondern die Überwachung und die vermeintliche Optimierung aller Lebensbereiche, die das Leben am Ende unerträglich machen.

phantastisch-lesen: Siehst Du Deinen Roman „Die Optimierer“ näher bei George Orwells „1984“ oder eher bei Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“?

Theresa Hannig: Bei Dystopien gibt es ja immer einen Zwangsmechanismus, der die Menschen in ein System und ein Verhalten drängt, das für die Leser abstoßend wirkt. Bei „1984“ ist es die Überwachung und die Allgegenwart von Angst, Gewalt und Krieg. Bei „Schöne neue Welt“ werden die Menschen schon von klein auf erzogen bzw. sogar genetisch so manipuliert, damit sie sich klaglos in die bestehende Gesellschaftsordnung fügen – und sollte doch einer unzufrieden sein, gibt es Soma.

Ich glaube, mein Roman ist zwischen den beiden Büchern anzusiedeln, denn natürlich spielt die Überwachung eine große Rolle, was aber von den meisten Menschen gar nicht als bedrohlich wahrgenommen wird. Anders als in „1984“ ist meine Optimalwohlökonomie nicht aggressiv, jedenfalls nicht offensichtlich. Es ist tatsächlich alles ‚gut gemeint‘ – was ja oft die schlimmsten Konsequenzen hat. Und wie in „Schöne neue Welt“ wird jegliche Kritik durch die Erfüllung aller Bedürfnisse aufgeweicht. Ich glaube, dass wir damit schon ganz nah an der Gegenwart der westlichen Industrienationen sind. Zwischen WhatsApp Gruppenchat, Social Media samt Selfie und Shitstorm, Katzenvideo, Amazon-Bestellung, Fertigpizza, Netflix Binge Watching und Schnäppchenurlaubsplanung (um nur ein paar Faktoren zu nennen, die unsere Aufmerksamkeit fesseln) scheinen die aktuellen politischen Fragen oft weniger interessant und relevant.

phantastisch-lesen:Der Protagonist Samson hat in mir ganz unterschiedliche Emotionen hervorgerufen. Meistens ging er mir mit seinen Maßregelungen und dem ständigen Denunzieren gehörig auf die Nerven. Manchmal habe ich seine Naivität belächelt, bisweilen aber auch seine kompromisslose Ehrlichkeit bewundert. Zum Ende hin hat er mir einfach nur leidgetan. Wie sollte Samson aus Deiner Sicht auf die Leser wirken?

Theresa Hannig: Samson ist schon eine schwierige Figur. Eigentlich möchte man ihn rütteln und sagen: „Wach auf, siehst du nicht, was hier passiert?“ Aber das kann er nicht, denn er hat sich vollkommen in das System gefügt, sein ganzes Leben daran ausgerichtet. Würde er zugeben, dass das System schlecht ist, würde das sein ganzes bisheriges Leben entwerten. Deshalb fällt es ihm so schwer, die Wahrheit zu erkennen. In einem anderen System wäre Samson vielleicht ein richtig netter Typ geworden… In diesem Zusammenhang möchte ich den Essay „This Is Water“ von David Foster Wallace empfehlen. In ihm geht es darum, dass wir (wie Fische, die nicht wissen, dass sie im Wasser schwimmen, weil sie IMMER im Wasser schwimmen) oft gar nicht wissen, in welchem Lebensumständen wir uns befinden, weil wir wie Samson quasi betriebsblind sind. Wir müssen lernen, einen Schritt zurück zu gehen, damit wir uns und unser Handeln in der Gesellschaft unvoreingenommen betrachten und danach vielleicht ändern können.

phantastisch-lesen: Unser Anspruch an Privatsphäre wandelt sich. Viele Menschen bilden große Teile ihres Lebens in den Sozialen Medien ab, eine globale Einsicht in unser Leben scheint uns nicht mehr zu schrecken. Wie hältst Du es mit Social Media? Bist Du dort nicht vertreten, oder hast Du Strategien entwickelt, um nicht zu viel von Dir preiszugeben?

Theresa Hannig: Ich benutze Twitter – aber eigentlich erst, seit ich als Schriftstellerin auftrete. Dort kann ich auf Veranstaltungen hinweisen, politische Inhalte, die ich unterstütze weitertragen und natürlich mein Profil schärfen. Aber ich würde niemals Fotos meiner Kinder dort posten. Auch bin ich ein entschiedener Gegner von Facebook und seiner Datensammelwut. Ich empfehle jedem, sparsam mit seinen persönlichen Daten zu sein, denn was einmal im Netz landet, wird so gut wie nie wieder verschwinden.

phantastisch-lesen: Du zitierst Edward Snowden mit dem wunderbar entlarvenden Satz:
„Zu behaupten, das Recht auf Privatsphäre sei einem egal, weil man nichts zu verbergen hat, ist wie zu behaupten, das Recht auf freie Meinungsäußerung sei einem egal, weil man nichts zu sagen hat.“
Wie viel Freiheit möchte der Mensch aus deiner Sicht heute überhaupt noch haben?

Theresa Hannig: Das ist wirklich eine sehr gute Frage! Das Problem ist, dass wir Dinge, die für uns normal erscheinen gar nicht mehr als große Errungenschaften begreifen. Die Freiheit, zu sagen, was man denkt, zu tun was man will, ist für uns selbstverständlich. Und da digitale Überwachung unsichtbar ist (es steht ja kein Geheimagent mit Sonnenbrille und Schlapphut hinter mir, wenn ich bei Google etwas eintippe) merke ich überhaupt nicht, wie meine Freiheit eingeschränkt wird. Wenn die Politik eine Einschränkung dann auch noch als eine Maßnahme zur Verbesserung der Sicherheit verkauft, dann lassen sich das viele Leute gefallen, denn Gewalt und Terror sieht man im Fernsehen. Datenströme bleiben unsichtbar.

Deshalb glaube ich, dass Aufklärung sehr wichtig ist. Die Menschen müssen wissen, wie wertvoll ihre Daten sind und wie sie sich selbst schützen können. Dann werden sie  – hoffentlich – auch ihre Freiheit wieder höher schätzen und auch dem Datenschutz mehr Beachtung schenken.

phantastisch-lesen:Die Chinesen scheinen das geplante Sozialpunktesystem sogar zu befürworten. Hast Du eine Idee, warum sie das tun?

Theresa Hannig: Ich habe ein paar Jahre für einen chinesischen Konzern gearbeitet, hatte chinesischen Kolleg*innen und spreche ein bisschen Chinesisch. Ich betone das, weil ich die Menschen hinter dem System kennengelernt und einen klitzekleinen Einblick in die Gesellschaftsstruktur bekommen habe. Wir als Europäer*innen tendieren ja immer dazu, die Welt aus unserer eurozentristischen Perspektive heraus zu betrachten und zu bewerten. Wenn ich also als Deutsche, das chinesische Sozialkreditsystem angucke, schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen und frage mich, wie man so etwas nur befürworten, geschweige denn umsetzen kann. Wenn man das aber aus der chinesischen Warte aus betrachte, sieht sie Sache ein bisschen anders aus.

Die Chines*innen haben in den letzten 50 Jahren ein beispielloses Wirtschaftswachstum erlebt, was einen Großteil der Bevölkerung aus bitterster Armut befreit hat. Man muss sich vor Augen halten, dass viele in der Großelterngeneration der heute 30-jährigen noch in Hütten ohne Wasser und Strom gelebt haben. Die KP hat also durchaus das sogenannte „Mandat des Himmels“, das seit alters her die Macht des Kaisers bzw. der herrschenden Klasse legitimiert, verdient. Dabei ist die Bevölkerung unabhängig vom Wirtschaftswachstum von anderen Werten geprägt als wir: Wir schätzen Individualität, die Chines*innen Aufopferung für Gesellschaft und Familie. Wir halten die Menschen zum kritischen Denken an, in China ist Gehorsam eine hohe Tugend. Der Spruch „Du sollst es einmal besser haben“ ist bei uns zum geflügelten Wort geworden. In China muss die arbeitende Generation (bedingt durch die 1-Kind-Politik) nicht nur für sich und die Kinder sorgen sondern auch für die Eltern, da es keine ausreichende staatliche Absicherung für die Alten gibt. Selbstverwirklichung ist also kaum realisierbar, wenn man so viel Verantwortung für andere trägt.

Und dann gibt es noch das System der Beziehungen (Guanxi), das ganz besonders wichtig für die chinesische Kultur ist. Bei uns würde man es als Korruption, Vetternwirtschaft oder Vitamin B bezeichnen. In China ist es ganz normal: Nur durch Guanxi bekommt man einen guten Job, durch Guanxi werden Posten festgelegt, Ehen arrangiert und das Gesellschaftliche Leben gesteuert. Wer kein Guanxi hat, kann noch so fleißig sein, noch so gut arbeiten, den begehrten, einflussreichen Posten, wird er wohl nicht bekommen.

Doch das könnte sich durch die Einführung des Sozialkreditsystems ändern. Wenn alle überwacht werden und Korruption und Ungleichbehandlung sanktioniert werden, könnte dies für die bisher Benachteiligten und die Menschen ohne gute Beziehungen zur großen Chance werden. Unter diesem Aspekt könnte die vollkommene Überwachung eine Art neue Freiheit für die bisher am wenigsten beachteten Schichten bedeuten.

Ich persönlich finde die Überwachung in China zwar nach wie vor schrecklich und hoffe, dass es bei uns nie so weit kommt, kann aber wegen der oben genannten Gründe gut verstehen, warum viele Chines*innen das System durchaus befürworten.

phantastisch-lesen: Siehst Du in Edward Snowden einen Held, der das Thema Datenschutz auf die politische Agenda und in die Köpfe der Menschen gebracht hat? Oder glaubst Du, dass er einer Mission seine eigene Freiheit opferte, die keine dauerhafte Chance auf Erfolg hat?

Theresa Hannig: Edward Snowden ist für mich definitiv ein Held und ein Vorbild. Ich bin mir sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch die Mehrheit in den USA erkennt, was er für die Bürger*innen geleistet hat und ihn dafür nicht nur begnadigt sondern auszeichnet. Im Augenblick ist das schwer vorstellbar, aber auch jemand wie Daniel Ellsberg, dem als Whistleblower im Vietnamkrieg einst über hundert Jahre Haft drohten, ist heute ein freier und geschätzter Mann.

phantastisch-lesen: Du warst ja auch in der Gesprächsrunde „Think Ursula“ auf der Buchmesse in Frankfurt dabei. Wie hat sie Dir gefallen? Findest Du, dass die anwesenden SF-Autorinnen ausreichend Anteil an der Diskussion hatten? Schließlich wurde ja eine der größten SF-Schriftstellerinnen Ursula K. Le Guin geehrt.

Theresa Hannig, Judith Vogt, Jens Lubbadeh © Eva Bergschneider
Theresa Hannig, Judith Vogt, Jens Lubbadeh © Eva Bergschneider

Theresa Hannig: Das „Think Ursula“ Panel war ein tolles Forum für die Science Fiction und für mich definitiv der Moment, in dem ich zur Feministin geworden bin. Ich finde es toll, dass Science Fiction jetzt mehr Aufmerksamkeit bekommt und fände es noch toller, wenn darin Frauen, People of Color und queere Menschen mehr Gehör finden würden, denn ja: Bisher hatten wir viel zu wenig Anteil an der Diskussion! Wer mehr über das Thema, das Panel und die beteiligten Autorinnen erfahren möchte, dem lege ich den Essay ans Herz, den Annette Juretzki, Judith Vogt und ich im Anschluss an das „Think Ursula“ Panel auf Tor-Online veröffentlicht haben.

phantastisch-lesen: Kennst du Ursula K. Le Guins Bücher? Gibt es eines, das Du besonders magst?

Theresa Hannig: Ich habe bisher 4 Bücher von Ursula Le Guin gelesen und kann sie alle empfehlen:

Freie Geister“ (früher unter dem Titel „Planet der Habenichtse“), „Die linke Hand der Dunkelheit“, „Das Wort für Welt ist Wald“ und „Die Erzähler“. Am besten aber fand ich „Freie Geister“ – eine großartige Utopie für Anarchist*innen und mein ganz spezieller Eye-opener.

phantastisch-lesen:Welche Autoren und Bücher liest Du gern?

Theresa Hannig: Seit dem „Think Ursula“ Panel auf der Frankfurter Buchmesse und meiner Vorbereitung darauf bin ich für den Feminismus sensibilisiert worden. Es ist wie eine Art „Erwachen“. Jetzt sehe ich Dinge, die mir früher nie aufgefallen sind, stelle in Frage, was früher selbstverständlich war. Dazu gehört auch, dass ich jetzt gezielt nach Büchern von weiblichen Autoren suche, weil ich zuvor – ohne mir dessen überhaupt bewusst zu sein – zu 99% nur Autoren gelesen habe. Im Augenblick versuche ich also den Ausgleich herzustellen. Weil ich aber chronisch unter Zeitmangel leide, höre ich zurzeit vor allem Hörbücher. Ich bevorzuge dabei keine Genres, gucke, welche Story und welche Sprecher*in mir gefallen. Bücher, die ich in letzter Zeit toll fand, waren „Gruber geht“ von Doris Knecht und „Eleanor Oliphant Is Completely Fine“ von Gail Honeyman. Dann hat mich „Tyll“ von Daniel Kehlmann sehr beeindruckt – und „Die Hungrigen Und die Satten“ von Timur Vermes war sowieso der absolute Knaller (ihr seht also, so dogmatisch läuft das mit den Autorinnen auch nicht).

phantastisch-lesen: Du bist beruflich im IT-Bereich tätig, verstehst also etwas davon, wie Datenverarbeitung funktioniert. Hat Dich auch Dein Beruf für die Fragen danach, was mit unseren Daten geschieht und wie totale Überwachung aufgebaut wird, sensibilisiert?

Die Unvollkommenen - Theresa Hannig © Bastei Lübbe
Die Unvollkommenen © Bastei Lübbe

Theresa Hannig: Ich bin ja schon eine ganze Weile nicht mehr offiziell in der IT beschäftigt, aber es hat mein Leben und meine Denkweise geprägt. Auch interessiere ich mich weiterhin für Softwareentwicklung, künstliche Intelligenz und neue Ideen der Digitalisierung . Man kann ja nicht einfach die Augen vor Entwicklungen verschließen, die unsere Gesellschaft in naher Zukunft prägen werden. Ich engagiere mich stark im Bereich Datenschutz und spreche mit Schulklassen, vor denen ich meine Lesungen halte, darüber. Mir ist es wichtig, dass die Jugendlichen sensibilisiert werden und sich Gedanken darüber machen, welche Daten sie von sich preisgeben, was mit diesen Daten geschieht und welchen Einfluss das auf ihr Leben haben kann. Viele sind sich durchaus bewusst, dass ihre Daten wertvolle Ressourcen sind, die ihnen täglich abgezapft werden, aber es ist ihnen oft einfach egal. Es ist das „ewige eh“, gegen das ich (und viele andere Menschen, die sich engagieren) ankämpfe: „Es ist doch eh egal, die haben doch eh alle Daten, ich kann doch eh nichts daran ändern, das machen doch eh alle, es macht doch eh keinen Unterschied…“ Das „ewige eh“ ist in meinen Augen eines der größten Probleme unserer modernen Gesellschaft, weil die Menschen zwar Missstände erkennen, gleichzeitig aber meinen, zu klein und zu unbedeutend zu sein, um etwas an ihnen zu ändern. Ich hoffe, dass ich mit meinen Büchern, meinen Lesungen und den Gesprächen da eine Bewusstseinsänderung herbeiführen kann. Wenn mir das gelingen würde, wäre ich sehr glücklich. Denn jeder von uns kann so viel bewegen! Gerade das Internet und die Sozialen Medien ermöglichen uns heute, uns mit Gleichgesinnten zu vernetzen und zu organisieren und so Einfluss auf die öffentliche Meinung und die Politik zu nehmen. Das ist beispiellos in der Geschichte der Menschheit. Noch nie hatten so viele normale Bürger*innen ein so großes Forum. Greta Thunberg und die von ihr angestoßene Fridays for Future Bewegung gegen die drohende Klimakatastrophe ist ein aktuelles Beispiel für die weltweite Aufmerksamkeit, die eine solche Idee bekommen kann.

phantastisch-lesen: DANKE, Theresa, für die klugen und erhellenden Antworten.

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