Libellenfeuer (Geistkrieger 2) – Sonja Rüther

Eine grassierende Seuche, ein verborgener Mörder und ein sich wandelndes Sittengemälde

Libellenfeuer (Geistkrieger 2) - Sonja Rüther © Knaur, hellgrauer Hintergrund, Libelle am oberen Rand, grüne Grafiken, schwarze Schrift,
Libellenfeuer © Knaur

Sonja Rüthers Utopia Powtanka ist in dem Land verortet, das wir als die Vereinigten Staaten kennen. Da die Powtankaner im Einklang mit der Natur leben, haben sich die Menschen dort eine besondere Verbindung zur Welt der Geister bewahrt. In Auftaktband „Geistkrieger – Feuertaufe“ erlebte der Schotte Finnley die Vereinigung mit seinem Totemtier Fenrir, dem Wolf. Was ihn zum Hüter der Polizeieinheit der Geistkrieger machte. Allerdings erforderte dies die sexuelle Vereinigung mit seiner Kollegin, der Schamanin Chenoa. Was nicht ohne Folgen blieb. Chenoa erwartet nun ein Kind und Finnley fühlt sich zu ihr hingezogen. An seinen Gefühlen zu seiner Verlobten Taima ändert dies jedoch nichts. Die mächtigen Clans der beiden Frauen erwarten jeweils, dass er sich für ihre Tochter entscheidet. Derweil drängen sich drastischere Probleme in das Leben aller Menschen in Powtanka.

Eine Seuche bricht aus. Ein Bakterium verwandelt viele Menschen in ferngesteuerte Wesen. Andere hingegen erkranken nicht, sondern entwickeln übersinnliche Gaben. Harmlose – und äußerst gefährliche, die Infizierte in blutrünstige Mörder verwandeln. Die Regierung Powtankas analysiert die Begabungen im spirituellen Zentrum Tamaya Wicapi, um zu entscheiden, ob die jeweilige Gabe sich weiterentwickeln darf. Oder ausgelöscht wird.

Dazu kommt, dass der Gabensammler (aus dem 1. Band „Feuertaufe“) weiterhin umgeht, was den Geistkriegern als Schande angelastet wird. Die Mitglieder des Nationalrats wollen die Einheit auflösen und die Bekämpfung spiritueller Verbrechen selbst in die Hand nehmen. Dass die Leiterin der Einheit Deidra ein prekäres Geheimnis mit sich trägt und schließlich selbst infiziert wird, ebenso wie Finnleys Verlobte Taima, macht die Situation nicht einfacher. Treibt der Gabensammler sein Unwesen gar dort, wo die übersinnlich Begabten sich aufhalten? Kann der fünfzehnjährige Jaci, der laute und bunte Visionen hat und das Regelwerk des Rollenspiels „Aufstand der Krieger“ auswendig kennt, den Geistkriegern helfen?

(K)ein Buch für Seuchen-Zeiten

Die Storyidee für die Fortsetzung der Romanserie, die mit „Geistkrieger – Feuertaufe“ ihren Anfang nahm, entstand nach Aussage der Autorin vor dem Ausbruch der Corona-Seuche. Hier ist es ein Bakterium, das die Bevölkerung Powtankas infiziert, mit weit komplizierteren Folgen als eine Covid-19 Infektion. Trotzdem gibt es bezüglich des Umgangs mit der Seuche und der geführten Diskussionen Parallelen zu dem, was uns in der Realität nun seit über zwei Jahren im Alltag begleitet.

„Es war beeindruckend, wie unmittelbar die Powtankaner handelten. In Schottland wäre erst lange diskutiert worden, um einen Plan aufzustellen, der dann von anderen Instanzen durchgewinkt werden musste, bevor er lange danach, wenn sich schon -zig Menschen infiziert hätten, Anwendung fände. Die Wachsamkeit und Handlungsbereitschaft in diesem Land waren beispielhaft.“

[S. 70]

Auch die Powtankaner erleben einen Lockdown, auch sie diskutieren kontrovers über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen. Die schnelle Umsetzung von Maßnahmen ist auch einem politischen System geschuldet, das nicht unserem föderalen Prinzip entspricht. In Powtanka beschließt der Nationalrat mit absoluter Befugnis, die kaum jemand hinterfragt. In „Libellenfeuer“ wird deutlich, welche Schattenseiten dieses System hat: weniger Transparenz und demokratische Mitbestimmung. Denn die politische Macht in den Händen der Clans führt entsprechend zur Benachteiligung jener, die außerhalb dieser Familienstruktur in Powtanka leben.

Ein paar Funken fehlen im Feuerwerk

Sonja Rüther hat in diesen zweiten Teil sehr viele Themen hineingepackt. Finnleys Spagat zwischen zwei Frauen und Familien, Deidras gefährliche Affäre, die Seuche, der Gabensammler und Begabte, die zur Gefahr werden, ein jugendlicher Held mit sehr speziellen Gaben und Problemen. Vor allem die Verknüpfung des Seuchen-Plots mit den restlichen Themen ist nur bedingt gelungen. Weder erfahren wir, woher dieses Bakterium kommt, noch warum es in den Pressemitteilungen als Virus bezeichnet wird. Die Begründung, dass angeblich die Bezeichnung Virus harmloser klingen soll, überzeugt nicht wirklich. Lose in die Handlung hineingeworfen wird die Verbindung zu einem Pharma-Konzern, da Infizierte einem inneren Zwang folgend Geld an das Unternehmen überweisen. Wurde für diesen Zweck tatsächlich ein Bakterium erschaffen und eine Seuche freigesetzt? Und wie hängt all das mit dem Gabensammler zusammen? Vermutlich soll dieser Handlungsstrang in einem folgenden Band wieder aufgegriffen werden und wird deswegen nicht weiter vertieft. Ein wenig mehr Kontext hätte diesen Teil der Handlung jedoch glaubwürdiger gemacht.  

Wie man aus einer Geschichte das Thema Diversität entwickelt

Überaus glaubwürdig aus der Geschichte entwickelt hat Sonja Rüther hingegen zwei Themen aus dem Bereich der Diversität. Finnley liebt zwei Frauen, von denen eine ein Baby von ihm erwartet. Aller Fortschrittlichkeit zum Trotz erwartet auch die Gesellschaft Powtankas, dass sich Finnley für eine der Frauen entscheidet. Die Lösung, die er präsentiert, kommt nicht überraschend, hebt sich aber wohltuend von den etablierten Partnerschaftsmodellen ab. Noch besser hätte mir gefallen, wenn die Frauen dafür die Initiative ergriffen hätten.  

Ebenfalls perfekt aus der Handlung der Geschichte entwickelt, hat die Autorin einen Trans-Protagonisten. Dazu möchte ich nicht zu viel verraten, aber gerne betonen, dass sie die Themen Seelenwanderung und Trans-Identität stimmig miteinander verbunden hat.

Serienpotenzial

Eine Alternativwelt, die Sonja Rüther mit neuen interessanten Details ausstattet, und die Figuren der „Geistkrieger“ Einheit, zu der sie weitere originelle Individualisten hinzufügt, verleihen diesem Storyrahmen perfektes Serienpotential. „Libellenfeuer“ endet, genau wie der erste Band, recht offen. Für meinen Geschmack mit etwas zu vielen losen Handlungsfäden. Das ändert aber nichts daran, dass die Geschichte spannend unterhält und einen frischen, innovativen Wind in den Kosmos der Dark-Fantasy weht. Ich gehe davon aus, dass die Autorin noch weitere fantasievolle Ideen für „Geistkrieger“ Geschichten in petto hat. Und hoffe darauf, dass Knaur ihnen weiterhin die verlegerische Heimat bietet. Schon deswegen damit ein dritter Teil nicht so lange auf sich warten lässt, wie der zweite Band „Libellenfeuer“.

Eva Bergschneider

Libellenfeuer
Geistkrieger, Band 2
Sonja Rüther
Horror/Dark-Fantasy
Knaur
Januar 2022
eBook
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