Déjà-vus im Kurzformat
Nach einer knapp einjährigen Schaffens- oder zumindest Veröffentlichungspause meldet sich Thor Ansell zurück. Diesmal mit einem – laut Eigendefinition – Science-Fiction Thriller, also eine bewusste Distanzierung zur Hard SF seiner zuletzt erschienenen „Phobos“ Romane. Das mag vor allem Marketing sein, denn die Thriller-Elemente halten sich vornehm zurück. Ebenso wie der Hard Science Fiction Aspekt, aber als solche wird es ja nicht beworben. Dass der Autor nirgends von einem ‚Roman‘ spricht, ist hingegen ehrlich. Denn beide bisher erschienenen Bände sind vor allem eines: unverschämt kurz.
Alles schonmal dagewesen
Die Erde ist zerstört. Menschen wurden im Kälteschlaf auf einer Arche zu einer neuen Welt geschickt. Eine handverlesene Crew soll das Unternehmen des Neuanfangs in die Gänge bringen und bemerkt, dass der Zielort nicht unbewohnt ist. Dazu kommt eine zwielichtige Gestalt an Bord und eine fürsorgliche KI, die immer das letzte Wort hat. Die aber irgendwie mit den Grenzen ihrer programmierten Möglichkeiten hadert. Das kommt alles bekannt vor. Genreveteranen würden wohl zuerst „If I Forget Thee, O Earth“ von Großmeister Arthur C. Clarke zitieren. Im deutschsprachigen Raum fallen Parallelen zur „Exodus“ Reihe von Thariot und Ertlov’s „Generation 23“ auf. Aber, so ehrlich muss man sein, diese halten sich in erträglichen Grenzen, Ansell kopiert vor allem sich selbst. Und das kann man niemandem verdenken.
Das Vorspiel ist der Hauptgang
Der Einstieg scheint rasant. Wir erleben die stark dezimierte Crew (die Kryotechnik ist alles andere als ausgereift) beim Aufwachen, bei ihren ersten Schritten und dem Entsetzen angesichts der Verluste. Ärztin Julz und Techniker Liam werden als Protagonisten eingeführt und schnell sympathisch. Dazu gesellt sich das Entdecken von Informationen, die ihnen vorenthalten worden waren. Der Kulturschock angesichts künstlicher Formationen – Architektur! – auf der Oberfläche von Tyche-4 fällt dann schon erstaunlich sanft aus. Es folgen unvermeidliche Konflikte, Meuterei, eine Flucht. Und dann ein Twist, der angesichts der Tragweite enttäuschend beiläufig erzählt wird. Ja, und das wars dann auch schon, weiter geht es in Band 2.
Trügerische Idylle, gefährliche Umgebung
Julz und Liam erkunden die allzu menschlich wirkende Zivilisation auf der Oberfläche, während die Bösewichte in einer Wildnis landen, die vor gefährlichem Leben nur so strotzt. Hier wird man an die „Lumera Expedition“ von Jona Sheffield erinnert. Aber es gibt genug Eigenständigkeit, um die geneigte Leserin bei der Stange zu halten. Wirklich spannend und interessant ist es jedoch in der Zivilisation, wo das namensgebende Omnium alles organisiert. Ohne dass jemand in irdischen Begriffen erklären kann, was das Omnium genau ist. Eine utopische Herrschaftsform ohne Herrschaft? Eine allmächtige KI? Ein gütiger Gott mit Hang zum Kommunismus? Genau das wollen Julz und Liam herausfinden, und diese Reise macht ordentlich Laune. Ebenso wie der Überlebenskampf ‚der anderen‘ im Dschungel. Leider endet beides nur allzu schnell, gefolgt vom unvermeidlichen Hinweis auf Band 3.
Licht und Schatten
Hand aufs Herz: Eigentlich wollte ich „Omnium“ verreißen. Zu viele altbekannte Tropes werden gnadenlos wiederverwertet, zu viel Vorhersehbares unverändert in der Pappschachtel dieser Fastfood-SF-Literatur serviert. Sprachlich ist es bestenfalls gehobener Durchschnitt, die Popkultur-Referenzen (Yoda und Darth Vader) sind so breit gewählt, dass sie kein Fanservice darstellen, sondern Anbiederung. Die eigentliche Frechheit ist jedoch, dass hier offensichtlich ein Roman in drei Stücke geschnitten wurde, keines davon viel länger als eine tiefergehende Novelle. Und jedes einzelne wird zum ‚normalen‘ Selfpublisherpreis verkauft. Egal ob aus Gewinnoptimierung oder um dem Amazon Algorithmus zu schmeicheln (was auch wieder Gewinnoptimierung wäre) – das ist eine ordentliche Chuzpe, die sich Herr Ansell hier leistet. Aber leider ist „Omnium“ auch wirklich unterhaltsam zu lesen, und die Protagonisten wachsen ans Herz. Ich werde auch um den dritten Teil nicht herumkommen, wenn auch überaus zähneknirschend.
Fazit:
Auch abseits seiner fragwürdigen Veröffentlichungsstrategie ist „Omnium“ weit davon entfernt, als Pflichtlektüre oder künftiger Klassiker eingestuft zu werden. Zu uninspiriert ist das Setting, zu flach bleibt die Erzählung. Aber als Unterhaltungsliteratur für einen verregneten Sonntagnachmittag taugt es allemal, falls man an diesem noch etwas anderes vorhat. Ein launiges Vergnügen für Zwischendurch.
Dank! an Gastredakteurin Tamara Yùshān
Omnium-Reihe, Band 1 und 2
Science Fiction
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Dezember 2020 + März 2021
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