Schicksalszeit (Der Onyxpalast, Band 4) – Marie Brennan

Ein wehmütiger Abschied

Schicksalszeit (Der Onyxpalast 4) - Marie Brennan © Cross Cult
Schicksalszeit (Der Onyxpalast 4) © Cross Cult

London im Jahr 1884. Während sich in der sterblichen Welt alles zu verändern scheint, steht auch die Feenwelt vor radikalen Veränderungen. Die Untergrundbahn steht kurz vor der Vollendung. Mit ihr wird Stahl durch das Herz des Onyxpalastes, dem zentralen Mittelpunkt des Feenreichs von London, getrieben. In dieser bedrohlichen Zeit braucht es Führung, doch die Königin Lady Lune ist nirgendwo zu finden.

Zwei Schicksalsfügungen könnten eine Katastrophe vielleicht doch noch abwenden. Die eine betrifft das Menschenmädchen Elizabeth, das sich auf der Suche nach den Feen begibt, die vor sieben Jahre ihre Jugendliebe entführten. Die andere Rick, einen Skriker und wandelnden Toten, der dem Ganovenboss Nadrett gehorchen muss, weil der seine Erinnerungen besitzt. Diese beiden völlig unterschiedlichen Existenzen werden schon bald in die Geschicke um den Onyxhof verwickelt.

Auch eine fiktive Historie ist lehrreich

Mit „Schicksalszeit“ heißt es Abschied nehmen von Marie Brennans Reihe „Der Onyxpalast“. Es war eine spannende Serie, die in den jeweiligen Bänden immer wieder kleine Lektionen über die Geschichte der Stadt London und den Zeitgeist offerierte. So auch hier. Die Epoche, in der die Haupthandlung stattfindet, ist die Zeit der industriellen Revolution. Dampfmaschinen sorgen für radikale Umwälzungen in der Arbeits- und Gesellschaftswelt. In dieser rasanten Entwicklung profitieren Neureiche und den Verlierern bleibt das Nachsehen. Eine spannende Ära, die die Autorin effektiv für unterhaltsame Geschichten um den Onyxpalast nutzt.

Zwei Verlierer als Protagonisten

Die Protagonistin Elizabeth zählt zu den Verlierern. Zu Beginn des Romans kommt sie mit dem Verkauf von warmem Gebäck gerade so über die Runden. Doch sie lässt sich nicht unterkriegen. Ständig schmiedet sie Pläne, die ihr zu einem besseren Job verhelfen sollen, der es ihr zugleich ermöglicht, weiter nach ihrer verschwundenen Jugendliebe zu suchen. Niemand will ihr glauben, dass hinter seinem Verschwinden die Feen stecken.

Der Tote Rick gehört ebenfalls zu den Verlierern, denn die Feenwelt wurde in den letzten Jahren heftig gebeutelt. Man liest und sieht, dass Teile des Palastes durch den Bau der Eisenbahn verschwunden oder nicht mehr passierbar sind. Ständig wird der Palast von Erdstößen erschüttert, die immer mehr Schäden an seinen Grundfesten anrichten. Dazu kommt, dass die alten Autoritäten, wie der aktuelle Prinz vom Stein, ihre Führungsstärke verloren. Und stattdessen skrupellose Opportunisten wie Nadrette nun die eigentlichen Machthaber sind.

Wo ist die Königin?

Die zentrale Frage ist jedoch wo Lady Lune, die Herrin des Onyxpalastes, abgeblieben ist. Marie Brennan lässt sich mit der Aufklärung Zeit. Sie spannt den Leser nach allen Regeln der Kunst auf die Folter, ehe sie das Geheimnis endlich lüftet. Des Rätsels Lösung zeigt einmal mehr die Hingabe, mit der die Königin der Londoner Feen ihr Reich zu sichern versucht. Geschickt nimmt die Autorin die Protagonistin der vorherigen Bände aus dem Spiel, was es den neuen Figuren ermöglicht, sich zu entfalten.

Vorhersehbar ist die Handlung in „Der Onyxpalast: Schicksalszeit“ an keiner Stelle. Stets fällt der Autorin ein Kniff ein, eine neue Wendung, mit der sie das Geschehen auf den Kopf stellt. Dabei entwickelt sie jeden Handlungsfortschritt äußerst behutsam, was der Werdegang Elizabeths besonders deutlich zeigt. Bis sie einen echten Kontakt zur Feenwelt etablieren kann, dauert es eine Weile. Ähnlich ergeht es Rick, dem es nur langsam gelingt, sich von Nadrette abzuwenden.

Wer ist der Gegenspieler?

Das Reihenfinale kommt fast ohne einen wirklichen Antagonisten aus. Anders als im dritten Teil, in dem der Drache die Feenwelt bedrohte, fehlt hier eine Person oder ein Lebewesen, von dem Gefahr ausgeht. Gegenspieler ist schlicht und ergreifend das Schicksal, gegen das man nur wenig ausrichten kann. Selbst Nadrette ist am Ende nur ein schamloser Profiteur der Lage, nicht der eigentliche Schurke der Geschichte.

Am Ende des Buches ist eine literarische Ära an den Fans historischer Fantasy vorbeigezogen. Eine faszinierende Romanreihe würdig zu Ende gegangen. Allerdings lässt sich die Autorin ein Hintertürchen für eine etwaige Fortsetzung offen.

Götz Piesbergen

Schicksalszeit
Der Onyxpalast, Band 4
Marie Brennan, Übersetzung: Andrea Blendl
Fantasy (History)
Cross Cult
September 2020
Buch
574
Martin Frei
100

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