Southern Gothic-Das Grauen wohnt nebenan – Grady Hendrix

Vampire von Vor-Vor-Vorgestern

Southern Gothic - Das Grauen wohnt nebenan von Grady Hendrix © Heyne
Southern Gothic – Das Grauen wohnt nebenan ©Heyne

Willkommen in einem US-Städtchen, Ende der 80er, wo die Welt noch in Ordnung ist. Das kann natürlich nur im Süden der USA sein, wo die Bewohner gottesfürchtig sind, man sonntags geschlossen in die Kirche marschiert und seine Kinder christlich erzieht. Die Häuser braucht man nicht einmal abschließen. Verbrechen geschehen in den großen Städten im Norden, hier ist man sicher.

Patricia Campbell lebt hier zusammen mit ihrem Mann und den beiden wohlgeratenen Kindern. Einmal pro Woche trifft sie sich mit Gleichgesinnten zum Austausch über Bücher. Die Damenrunde parliert dabei über Serienkiller-Thriller und Krimis, tauscht sich aber natürlich auch über den neuesten Klatsch aus und befeuert die Gerüchteküche.

Als ehemalige Krankenschwester, die mit dem Leiter der Psychiatrie der örtlichen Klinik verheiratet ist, sind Patricia monetäre Sorgen fremd. Allerdings hat sie seit Kurzem ein Problem. Ihre demente Schwiegermutter ist, zunächst für 3 Monate dann dauerhaft, bei ihnen zu Gast. Das bringt ihr bislang geregeltes, ein wenig langweiliges Vorstadtidyll ganz gehörig durcheinander. Zumal sie ihren Hund nicht einmal mehr freilaufen lassen kann. Ihre Nachbarin, eine etwas exzentrische Alte, hat sich beklagt.

Das Grauen nebenan

Alles beginnt damit, dass eben jene Nachbarin einem Waschbären die Eingeweide aus dem Bauch reißt und diese roh verschlingt. Als Patricia ihr zu nahekommt, geht die Seniorin auf sie los. Ein abgebissenes Ohr zeugt von dem Angriff. Als die Dame im Krankenhaus verstirbt, lernt Patricia deren Neffen kennen.

James Harris ist so ganz anders als die Männer, die ihr sonst begegnen. Weit gereist, belesen, auf eine jugendhafte Art gutaussehend – ein Mann, über den man Phantasien haben könnte. Dass dieser sein Portemonnaie mit sämtlichen Ausweispapieren zu Hause im Norden vergessen hat, reicht als Grund dafür, dass Patricia ihm dabei behilflich ist, sich eine Identität aufzubauen. Bargeld hat er zur Verfügung. Also bürgt sie bei der Bank für ihren neuen Nachbarn, sorgt für seine Registrierung in der Gemeinde und führt ihn in ihren Buchclub ein.

Doch James ist nicht nur faszinierend und ein wenig mysteriös, er ist auch gefährlich. Das sagt zumindest ihre etwas verwirrte Schwiegermutter. Diese will in dem jungen Mann den Schuldigen für eine Mordserie an Kindern wiedererkannt haben. In ihrer Jugend, während der Prohibition, phantasiert sie, führte er ihren Vater auf Abwege. Und sorgte für das Verschwinden und die Ermordung von einer ganzen Reihe von Kindern. Jetzt, so behauptet sie steif und fest, sei er zurück. Und mit keinen guten Absichten, das sei einmal gewiss.

Rollenklischees aus den 50ern langatmig aufgetischt

Wie urteilte Publishers Weekly „Ein cleverer Vampir-Thriller, der süchtig macht!“. Nun ein Blurb, der zwar nicht gänzlich falsch ist, der aber weit mehr verspricht, als der Roman hält.

Zunächst erwartet uns in „Southern Gothic – Das Grauen wohnt nebenan“ ein Vorstadtidyll. Eine Bühne, in der die Familien noch zusammenhalten, in denen längst überkommene Rollenklischees freudig ausgelebt werden. Die drei K – Kinder, Küche, Kirche – prägen das Leben der Frauen. Das Familienoberhaupt macht Karriere und darf abends, nach dem gemeinsamen Familienmahl, gewisse Bedürfnisse befriedigen. Das ist selbst für die Zeit, in der der Verfasser seinen Plot angelegt hat, schon längst überholt. Eine derartige Szenerie gehört eher in die 50er Jahre als in die ausgehenden 80er. Erschwerend kommt hinzu, dass Grady Hendrix sich über sehr weite Strecken des Romans, nicht positioniert. Er beschreibt ein veraltetes, längst überholtes Rollenbild von Frauen, die ganz in ihrer Familie aufgehen. Ohne dass er dies vielleicht kritisch überzeichnet, hinterfragt oder verdammt.

Dazu kommt, dass die Handlung viel Zeit braucht, um überhaupt in Gang zu kommen. Die erste einhundert Seiten passiert – nichts. Selbst danach ist Spannung Mangelware, von mitreißender Action mal gar nicht zu sprechen. Ich könnte dies noch akzeptieren, wenn Grady Hendrix wenigstens versuchen würde uns ein glaubhaftes Sittengemälde vorzustellen. Aber, siehe oben, davon ist wenig bis nichts zu sehen.

Erschwerend ist anzumerken, dass selbst unerfahrene Lesende ab dem ersten Auftreten des gefährlichen Beaus ahnen, nein wissen, was sich hinter der Fassade verbirgt – ein letztes Fünkchen potenzieller Spannung in den Mülleimer gekickt. Dass die holde Hausfrau diesem Fremden so mir nichts, dir nichts aktiv dabei hilft, sich eine bürgerliche Existenz zusammenzuschustern, lässt jegliche Glaubwürdigkeit vermissen.

Fazit

„Southern Gothic – Das Grauen wohnt nebenan“ ist schlicht langweilig, auch wenn die Handlung zum Finale hin etwas Fahrt aufnimmt. Und die Zeit der Lektüre leider nicht wert.

Carsten Kuhr

Southern Gothic - Das Grauen wohnt nebenan
Grady Hendrix, Übersetzung Jakob Schmidt
Fantasy (Horror)
Heyne
September 2021
Buch
511
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