Zwei Rezensenten – zwei Meinungen
Mit Götz‘ Artikel zu »Universum« von Phillip P. Peterson erhielt die phantastisch-lesen Redaktion die zweite Rezension zu einem Buch. Bereits im letzten Jahr erschien Carstens Besprechung zu dem Roman. Interessanterweise unterscheiden sich Götz und Carstens Meinungen deutlich voneinander und beide begründen sie nachvollziehbar. Daher erscheint heute zum ersten Mal eine zweite Rezension zu einem bereits besprochenen Buch. Urteilt bitte selbst, welche Sicht der Dinge euch überzeugt.
Eine unschöne Überraschung
In der nahen Zukunft hat die Menschheit das überlichtschnelle Reisen entdeckt und sich im bekannten Weltraum ausgebreitet. Dabei geschahen im Laufe der Zeit immer wieder Auseinandersetzungen, die teilweise mit harten Methoden unterdrückt wurden. Der ehemalige Bomberpilot Mike Warnock kann davon ein Lied singen, trug er doch dazu bei, einen solchen Konflikt brutal zu beenden. Da er die Wahrheit über diese Aktion in die Öffentlichkeit trug, wurde er bestraft und unehrenhaft aus der Armee entlassen.
Deshalb hat er kaum Budget zur Verfügung, um für sich und seine Familie einen Neustart zu wagen. Eine teure Reise auf einem modernen Raumschiff, das sie in eine ferne Kolonie bringt, ist nicht finanzierbar. Das Schiff, dass sie sich leisten können, ist schon etwas betagter und so kommt es, wie es kommen muss: Das Raumschiff wechselt in den Überlichtmodus und schafft es nicht mehr heraus. Ungebremst reisen sie durchs All, wobei die Vorräte immer knapper werden. Etwas muss geschehen, und zwar schnell.
Philip Petersons »Universum« hat eine interessante Prämisse: Was wäre, wenn ein Schiff überlichtschnell reisen und damit nicht mehr aufhören kann? Daraus strickt der Autor einen Roman, der einige Wendungen bietet, aber auch viele Chancen liegenlässt.
Ein guter Anfang
Der Autor erschuf für seine Geschichte ein abwechslungsreiches Figuren-Ensemble. Neben dem Helden mit tragischer Vergangenheit gibt es noch die Raumschiffbesatzung, die zum Teil recht eigenwillig daherkommt. Außerdem weitere Gäste, unter anderem ein Inspekteur und einigen Soldaten. Womit Spannungen vorprogrammiert sind.
Der Roman fängt vielversprechend an. Mike Warnock ist kein strahlender Heroe, sondern ein schwieriger Mensch, der seine Familie über alles liebt. Manchmal verzweifelt er an seinem Kind, es konnte bisher keine Bindung zum Vater aufbauen. Infolge seiner umstrittenen Taten als Pilot schlägt ihm von allen Seiten Misstrauen entgegen. Die einen mögen ihn nicht, weil er die Bombe abgeworfen hat, die den Krieg beendete. Die anderen, weil er seine Taten der Weltöffentlichkeit berichtet hat und somit die Kriegsverbrechen ans Tageslicht brachte.
Im Prinzip bietet die Geschichte die perfekten Zutaten dafür, aus »Universum« einen spannenden Katastrophenroman zu machen. Was er zumindest zu Beginn durchaus ist. Die Verzweiflung, als sich die Erkenntnis durchsetzt, dass das Schiff den Überlichtflug nicht verlassen kann, wird glaubwürdig beschrieben.
Leitfigur oder Paria?
Doch dann beginnt der Roman zu entgleisen, was vor allem am Protagonisten Mike Warnock liegt. Ist er zu Beginn noch eher ein Underdog, verwandelt er sich im Laufe der Handlung zu einem allwissenden Ratgeber, auf den die Leute hören. Und da er mit seinen Einschätzungen nie daneben liegt, hat man bald das Gefühl, dass die Geschichte keinerlei Reibung mehr hat, aus der Spannung entstehen könnte.
Noch misslicher gestaltet sich die zweite Hälfte von »Universum«, in der Philip Peterson in die Hard-SF wechselt. Gemeint sind die Szenen, in denen das Schiff doch irgendwann den Überlichtflug stoppt und in einer vollkommen fremden Umgebung auf eine leere Raumstation stößt. Diese bietet zwar die Möglichkeit, wieder nach Hause zu kommen, was allerdings nicht wie gedacht funktioniert. Und mehrere Todesopfer fordert.
Es stört weniger die Tatsache, dass hier nach dem »Zehn kleine verzweifelte Reisende«-Prinzip vorgegangen wird. Also äußerst vorhersehbar ist, dass die Figuren nach und nach sterben. Dass der Autor diese Szenen allerdings auch noch auf mehrere 100 Seiten auswalzt, führt zu nichts als Langeweile.
Der Plot in »Universum« bietet eigentlich das Potential zu einer spannenden Geschichte und Lektüre. Doch die Umsetzung lässt zu wünschen übrig und sorgt dafür, dass man sich dieses Buch von Phillip P. Peterson nicht unbedingt merken muss.
Götz Piesbergen
Ein spannendes Space-Abenteuer, das vom Menschlichen lebt
Die Menschheit hat das All erobert und Raumschiffe verbinden die prosperierenden Kolonien. Viele Probleme der Erde scheinen überwunden, allein den Krieg haben die Menschen mit ins All genommen.
In einer verheerenden Auseinandersetzung wurde mittels einer Nova-Bombe die zivile Bevölkerung eines ganzen Planeten ausgelöscht. Mike Warnock war der Pilot, der die Waffe befehlsgemäß abwarf, bevor er nachfolgende Befehle verweigerte. Nun sitzt er buchstäblich zwischen den Stühlen. Für die einen ist er ein Massenmörder, für die anderen ein Befehlsverweigerer.
Nach seiner unehrenhaften Entlassung will auf der Erde niemand mehr etwas mit ihm zu tun haben. Zusammen mit seiner Ehefrau und ihrem kleinen Sohn sieht er nur eine Möglichkeit: auf einen kargen, kalten Planeten auszuwandern und neu anzufangen.
An Bord der Challenger soll es zu der neuen Heimat gehen, doch etwas geht schief. Die Casimir-Blase, die das Raumschiff vor der Zeitdilatation schützt, baut sich am programmierten Ende des Fluges nicht ab. Die Challenger verbleibt im Hyperraum und fliegt immer weiter und weiter.
Die Crew, angeführt von einer psychisch labilen und trinkfreudigen Kommandantin und die Passagiere, versuchen verzweifelt den Antrieb abzuschalten, vergehen doch außerhalb der Challenger jede Minute, die der Flug andauert, Monate …
Spannende Mysterien und Psychogramme gekonnt im Space-Abenteuer vereint
Phillip P. Peterson hat sich als gelernter Ingenieur der Hard Science innerhalb des Science-Fiction Genres verschrieben. Nach Publikationen im selfpublishing erschien bei Fischer TOR mit „Vakuum“ bereits der erste entsprechende Roman im Publikumsverlag. Nun legt er mit „Universum“ ein weiteres, faszinierendes Weltraumabenteuer vor. Zu seinen Vorbildern zählen die Briten Stephen Baxter und Arthur C. Clarke. Und ein an die Werke dieser Autoren erinnerndes Lesefutter bietet er seinem aktuellen Roman an.
Es geht um ein Raumschiff, das im All verloren geht. Natürlich steht der Versuch, dieses aus seiner prekären Lage zu retten, im Zentrum des Plots. Allerdings ist die wirklich gelungene Zeichnung einer Gruppe Menschen, die buchstäblich alles verlieren und unter entsprechenden Ängsten leiden, noch wichtiger für die Geschichte.
Denn es sind eben die Figuren Petersons, die dem Roman sein Gepräge verleihen. Sei es der von Schuldgefühlen geplagte Pilot, der von allen, die ihm begegnen, geschnitten wird. Oder die Kommandantin auf ihrem eigentlich letzten Flug, bevor sie sich ihrer Tochter widmen wollte. Im zwischenmenschlichen Bereich, insbesondere im Umgang mit den Passagieren, offenbart sie massive Defizite. Oder der erste Offizier, der als Gigolo die innere Leere zu bekämpfen sucht. Oder der Ingenieur, der eigentlich an Raumschiffen arbeiten wollte. Dann aber aufgrund seiner Herkunft diesen Traum begraben musste und stattdessen in den Bergbau ging. Sie alle leiden nicht nur verständlicherweise an der Situation, sondern unter persönlichen Problemen. Ihren jeweiligen Ballast schleppten sie bereits zum Antritt der Reise mit an Bord, jedoch lässt das Unglück ihre Dilemmata noch deutlicher zu Tage treten.
Die Kombination aus psychischer Anspannung und Extremsituation sorgt schnell für gruppendynamische Entwicklungen. Es kommt zu Aggressionen zwischen Crew und Passagieren, zu Gruppenbildungen und ausgetragenen Konflikten. Und zu einer immer deutlicheren und greifbaren Verzweiflung angesichts der Tatsache, dass sie alle ihre Heimat, ihre Familien und Freunde auf ewig verloren haben.
Mit ungewöhnlicher atmosphärischer Dichte schilderte Peterson diese Entwicklungen. Der Autor fasziniert uns also nicht nur mit einer packenden Story um den Versuch einer Rettung und der Aufklärung des Mysteriums, das dem Schiff passiert. Sondern auch, sogar hauptsächlich, mit den Schicksalen der ganz unterschiedlichen Menschen an Bord.
Carsten Kuhr
Science Fiction
Fischer Tor
September 2021
442
Nele Schütz Design
86 (Carsten Kuhr) 30 (Götz Piesbergen)
Sehr schöne Rezension! Ich habe das Buch auch soeben gelesen.
Als großer Peterson-Fan habe ich auch zu diesem Roman eine Rezension geschrieben.
Schaut bei Interesse einfach mal rein: https://volkerhoff.com/buchtipp-universum-phillip-p-peterson/
Galaktische Grüße!