Weltendiebe – Ju Honisch

Ein Tor zu Hoffnung und Verhängnis

Weltendiebe - Ju Honisch © Ju Honisch
Weltendiebe © Ju Honisch

Die Weltendiebe entstammen einer postapokalyptischen Welt mit Phasen langanhaltender Dunkelheit und vielfacher Gefahren in der Natur und der archaischen Gesellschaft. Es gibt drei Gemeinschaften, die über geheimes Wissen und Magie verfügen: die Priesterinnen von Rasfannim, die Gerechten und die Rhonorai. Die beiden Letzteren spüren Schwachstellen in Grenzen zu anderen Welten auf und reisen in unsere Welt. Die Gerechten mit dem Ziel, Wissen abzuschöpfen, in der Hoffnung auf Fortschritt für ihre Welt. Die Rhonorai mit dem Ziel, genau dies zu verhindern. „Weltendiebe“ beschreibt zwei dieser Ereignisse: eins im Jahr 1952 und im Jetzt. Dazu eine Reihe von folgenreichen Kontakten zwischen Menschen und Eindringlingen aus der Parallelwelt, finsteren Geheimnissen, grausamen Jagden und dramatischen Verwicklungen im Dies- und Jenseits.

Im Mittelpunkt der Geschehnisse im Jetzt stehen Oma Marion und die Schwestern Anne und Ev. Nachdem die jungen Frauen früh ihre Eltern verloren, schlagen sie sich auf sich gestellt in München durchs Leben. Anne verdient den Lebensunterhalt für die Familie als Assistentin der Geschäftsführung eines Import/Export Unternehmens. Trotz täglichen Ärgers über den gebieterischen Chef und die divenhafte Kollegin, bleibt sie in dem Job, um die Familie über Wasser zu halten. Ihre Schwester Ev geht zur Schule und kultiviert Nerd-Wissen aus dem Netz. Beide kümmern sich aufopferungsvoll um ihre Oma.

Als Annes Firma in eine alte Villa zieht, ändert sich alles. Oma warnt Anne eindringlich davor, den Keller zu betreten und drängt sie, sich einen neuen Job zu suchen. Im Keller entdeckt Anne eine Art Spiegel, der den Blick in eine andere Welt auf einen geheimnisvollen Mann ermöglicht. Kurz danach überschlagen sich die Ereignisse. Chef und Kollegin verschwinden, stattdessen taucht ein Herr Müller in der Firma auf, der nicht von dieser Welt zu sein scheint. Jemand versucht, Ev zu entführen und ein weiterer mysteriöser Typ steht den Schwestern zur Seite. Jedoch kann auch Oliver nicht verhindern, dass Ev schließlich verschwindet. Und Oma Marion äußert seltsam unkonkrete Warnungen, streut Salz aus und verschweigt eisern ein Geheimnis aus ihrer Vergangenheit.  

Figuren aus dem normalen Leben. Und dem Jenseits

„Weltendiebe“ erzählt seine Geschichten abwechselnd aus der Perspektive verschiedener Protagonist*innen. Die Ereignisse im Jahr 1952 berichtet Marion Hube, die in der Gegenwartshandlung die Oma der Geschwister Anne und Ev ist. Überwiegend Anne und gelegentlich ihre Schwester Ev erzählen aus der Gegenwart. Die Geschichte aus dem „Drüben“ erfahren wir aus der Sicht des Rhonorai Kerder und der des „Gerechten“ Lesmoyan. In wenigen Passagen kommt Uleny, die Priesterin Rasfannims zu Wort.

Ju Honisch ist eine Autorin, deren Geschichten immer ganz nah an den Figuren spielen Dazu erzählt sie äußerst detailreich und ausführlich über ihre Protagonist*innen. So fühlen sich die drei Frauen der Familie Konners für Lesende bald wie Freundinnen aus verschiedenen Generationen an: Anne, die Versorgerin, die ihre eigenen Interessen hinter dem Wohl der Familie zurücksteckt. Und trotzdem emanzipiert und tatkräftig ihr Leben meistert. Ev, die etwas pummelige und clevere Schülerin mit frechem Mundwerk und warmherziger Empathie. Und Marion, die im Nachkriegsdeutschland ihre Frau steht und versucht, das Beste aus einer verfahrenen Situation zu machen.

Doch auch die Eindringline aus der anderen Welt bringen ihre persönlichen Motive und Schicksale mit. Auch sie kommen, trotz fremdartiger Fähigkeiten und Körperteilen wie Flügel, originär und greifbar herüber.

Die Frage der richtigen Buchlänge

Die enge Verbindung, die Lesende zu den Figuren aufbauen, trägt sicherlich dazu bei, dass die Handlung interessant bleibt, obwohl sie einen sehr langen Anlauf nimmt. Bis die Geschichten der Konners Frauen und die der Anderswelt zueinanderfinden, braucht es über 300 Seiten. Bis dahin erfährt man viel über den nicht ganz einfachen Alltag der Familie Konners und über die verzweifelte Situation von Marion Konners und ihrer Mutter in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dazu ein wenig über das Leben und den Auftrag des Rhonorai Kerder.

Ju Honisch versteht es auch vergleichsweise unwichtige Szenen interessant zu erzählen. Jedoch konzentriert sich die Handlung in „Weltendiebe“ zu stark auf die Gegenwart und vernachlässigt die Geschichte der Anderswelt. Seitenlange Passagen, in denen Oma Marion sich in kryptischen Andeutungen ergeht und Anne und Oliver sich Sprüche und Belanglosigkeiten zuwerfen, ohne wirklich miteinander zu reden, wiederholen sich und sind einfach zu viel.

Leider erfährt man im Gegenzug zu wenig über das „Drüben“. Diese Welt erscheint apokalyptisch. Sie war einmal fortschrittlicher entwickelt, bevor sie ins archaische Zeitalter zurückfiel. Doch was hat diesen Wandel ausgelöst? Und wie kam es zu der veränderten Erdrotation, die langanhaltende Nacht- und Tageslicht Phasen verursachen? Welches Wissen enthält die Quelle der Weisheit der Rasfannim und warum geben sie es nicht preis? Und wie entstanden die Bünde der Rhonorai und der Gerechten? Aus vielversprechenden Ansätzen wurde hier zu wenig herausgeholt. Siebenhundert Seiten sind für ein komplexes Handlungsgeflecht wie das in „Weltendiebe“ keineswegs insgesamt zu lang. Allerdings hätte die Gewichtung der Handlungsebenen ausgewogener ausfallen dürfen.

Großartiger Humor mit kritischen Spitzen

Ju Honischs Bücher zeichnet stets ein feinsinniger, manchmal schwarzer Humor aus. In „Weltendiebe“ ist er dazu mit besonders deutlichen gesellschaftskritischen Untertönen gewürzt. So wie in einem Dialog zwischen Anne und einem Polizisten, der einer geheimen Organisation angehört, die Eindringline aus dem „Drüben“ bekämpft:

»“Wenn er nicht zurückkann, muss er eben hierbleiben. Er wäre ja nicht der einzige Asylsuchende in diesem Land.“.

Die Männer starrten sie [Anne] entsetzt an, und Kerder wirkte völlig verdutzt.

„Die Ausländerbehörde wäre sicher begeistert“, brummte der Wachtmeister.

„`Sind sie mit einer Schlepperbande ins Land gekommen?‘ ‚Nein, ich habe ein Dimensionstor genommen.‘ Immerhin – kein Drittland, in das man ihn abschieben könnte.“

Kerder sah ihn verständnislos an.« [S. 445]

In der Handlung im Jahr 1952 gibt es eine herrliche Passage über den Hitlergruß. Und darüber, was mit diesem Tyrannen hätte passieren müssen, um dessen Verbrechen zu verhindern. Der lebendige und individuelle Schreibstil der Autorin ist immer ein guter Grund, ihre Bücher zu lesen. „Weltendiebe“ ist das erste Buch, das Ju Honisch im Selfpublishing herausgebracht hat. Für das Lektorat hat sie mit Oliver Hoffmann einen echten Profi engagiert, der bereits ihre früheren Bücher im Feder & Schwert Verlag betreute. In „Weltendiebe“ kommt irgendwie Ju Honischs persönliche Handschrift besonders gut zum Ausdruck, vor allem in den Dialogen. Zuweilen folgen diese etwas strukturlos aufeinander, sodass nicht immer unmittelbar ersichtlich ist, wer gerade spricht. Die perfekt auf die Figuren abgestimmten Erzählstimmen gleichen dieses kleine Manko jedoch wieder aus.

Auffällig ist darüber hinaus die Menge an Cliffhängern, die ich so aus anderen Büchern der Autorin nicht kenne. Generell bin ich kein großer Fan von so erzeugten Spannungsmomenten. „Weltendiebe“ erzählt dramatische Geschichte mit spannender Handlung und wäre auch ohne Cliffhänger ausgekommen.

Fazit

„Weltendiebe“ ist ein Urban-Fantasy Roman, der gleich drei unterschiedliche Plots zunächst parallel erzählt und schließlich zu einer packenden Story um Parallelwelten, Geheimbünde und einer bewegenden Familiengeschichte verbindet. Den couragierten und klugen Frauen folgt man gern in ihr wahnwitziges Abenteuer. Und auch den Protagonist*innen aus der Parallelwelt nimmt man ihre Motive ab. Leider bleiben die Hintergründe für ihre Aktionen zu unklar, als dass man Partei für Kerder oder Lesmoyan ergreifen würde. Insgesamt jedoch bietet „Weltendiebe“ spannende und authentische Urban-Fantasy Lektüre, die Lesenden schon aufgrund des Umfangs eine Weile lang den Alltag verschönert.

Eva Bergschneider

Weltendiebe
Ju Honisch
Fantasy (Urban)
BoD
April 2021
700
Harald Sawatzky und F&F Gunkelmann
73

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