Zerrissene Erde – N.K. Jemisin

Eine politische Aussage, wundervolle Schreibe und spannende Geschichte

Zerissene Erde N.K. Jemisin © Droemer Knaur
Zerissene Erde © Droemer Knaur

„Du bist sie. Sie ist du. Du bist Essun.“ [S. 25]

Du verlässt die Stadt Tirimo, die dir und deinen Kindern Heimat sein sollte. Als Frau mit übernatürlichen Kräften (Orogene) hast du das große Beben um die Stadt herum gelenkt und dich damit der Gefahr der Offenbarung ausgesetzt. Denn Orogenie ist verboten, jene, die sie praktizieren, werden verfolgt. Doch das ist nicht der Grund, warum Du Tirimo verlässt. Du suchst nach deiner Tochter Nassun, die dein Ehemann Jija entführt hat. Nachdem er deinen Sohn Uche ermordete, weil du deine Kräfte an die Kinder vererbt hast. Auf dem Weg durch das zerstörte Land triffst du Hoa und Tonkee. Mit ihnen holt dich deine Vergangenheit ein.

„Normale Menschen können sich nicht um Kinder kümmern, die … so wie sie sind.“ [S. 43]

Der Wächter bringt Damaya nach Yumenes in das Fulcrum, einer Schule, die Orogene ausbildet. Die anfängliche Freundlichkeit der Wächter wandelt sich in Grausamkeit, wenn es darum geht, die Kontrolle über die Kräfte zu lehren. Orogene und Wächter stehen im Dienst des herrschenden Sansi-Verbunds. Den Orogenen werden gemäß ihrer Fähigkeiten Aufgaben zugeteilt, sie kontrollieren den Kontinent.

„Was für eine Scheiße, denkt Syenit hinter ihrem Schutzschild aus freundlichem Lächeln. [S.73]

Syenit ist eine vierfach beringte Orogene des Fulcrums. Mit dem zehnberingten Alabaster soll sie ein Kind zeugen und die Hafenstadt Allia von Korallen befreien. Die Erledigung dieses Auftrags zieht weitreichende Konsequenzen nach sich. Für Synenit, für Alabaster und für den gesamten Kontinent mit dem unpassenden Namen Stille.

Die Schönheit der multiperspektivischen Erzählung

N.K Jemisin wagt in „Zerrissene Erde“ das multiperspektivische Erzählen und setzt es gekonnt um. Die Autorin zwingt dem Leser durch den Gebrauch des Erzählers in der zweiten Person die Identifikation mit der Protagonistin Essun auf. Was den Einstieg in die Geschichte nicht erleichtert, denn Essun ist zunächst keine Sympathin. Auf ihrer Flucht tötet sie Menschen, die sich ihr in den Weg stellen. Was Essun in ihrem Leben widerfahren ist, der Grund für ihre ungezügelte Wut, wird erst nach und nach klar. Zudem ist die Art der Magie, die die Protagonisten ausüben, fremdartig und unerklärlich. Es empfiehlt sich, zunächst die Anhänge I und II am Ende des Romans zu lesen, in denen die Fünftzeiten (also die langandauernden Winterperioden auf dem Kontinent Stille) und verschiedene Begriff erklärt werden

Damaya erzählt aus ihrem Leben am Fulcrum als personaler Erzähler. Ihre Geschichte hat jedoch nur wenig mit denen andere Magierschüler in der Fantasy-Literatur gemein. Es fehlt jegliche Kameradschaft unter den Schülern, ihr Leben dort ist ein einsames Martyrium.

Syenit und Alabasters Geschichte bildet die umfangreichste und zugleich ergreifendste Handlung des Romans. Syenit erzählt ebenfalls aus ihrer Perspektive in der dritten Person. Die beiden werden nie Geliebte, trotz oder auch wegen des erzwungenen Geschlechtsverkehrs, aber fürsorgliche Freunde. Aus der konfliktreichen Zweckgemeinschaft erwächst eine innige Verbindung, geprägt von Respekt, Toleranz und einer konsequent freiheitlichen Gesinnung. Der in Orogenie erfahrenere Alabaster nimmt zunächst die Funktion eines Mentors ein, jedoch erweist sich die neugierige Syenit aufgrund ihrer Lebensklugheit als ebenbürtig. Ihre intelligenten Gespräche erklären auch dem Leser die Welt von Stille. Das Kapitel, in dem sie einen Ort der Freiheit und eine Zeit des Glücks finden, vermittelt Wohlfühlatmosphäre in einer sonst durchgängig düsteren und gefährlichen Welt.

Eine andersartige Welt mit eigener Sprache

Für die Gesellschaft und Landschaft des Kontinents Stille führt N.K Jemisin viele fremdartige Begriffe und Wortschöpfungen ein. Dass diese sich dennoch leicht zuordnen lassen, liegt zum einen am gut sortierten Glossar, zum anderen an der kraftvollen und prägnanten Sprache der Autorin. N.K Jemisin beschreibt und benennt jede Situation unmissverständlich, mitunter verwendet sie eine harte Sprache und Schimpfwörter. Sie versteht sich jedoch auch auf eine poetisch- sensible oder erotische Sprache. Die Extremsituationen, in denen sich die drei Protagonistinnen befinden, erzeugen Wut und Schmerz, allerdings auch seltene und intensive Glücksmomente. N.K Jemisin findet die richtigen Worte und die treffende Tonlage, um jeden Augenblick dieser außergewöhnlichen Geschichte einzufangen.

Vergleiche zu großen AutorInnen sollte jeder Rezensent sparsam und sorgsam überlegt verwenden. Doch mit N.K. Jemisin und „Zerrissene Erde“ habe ich tatsächlich eine Autorin und einen Roman gefunden, der auf den Pfaden von Ursula K. Le Guins Werk wandelt. Sowohl der facettenreiche Sprachstil, als auch die überlegenen und dennoch scheiternden Helden, sowie die tiefsinnige Botschaft hinter der Geschichte erinnern mich sehr an die jüngst verstorbene, großartige Phantastik-Schriftstellerin. Jemisins Apokalypse ist mehr, als düstere Endzeit-Fantasy. Es ist eine Parabel über die Arroganz des Menschen. Menschen die glauben, dass durch Fortschritt verursachte Probleme durch weiteren Fortschritt zu beheben sind.

Das Ende ist fast schon gemein

Zerrissene Erde und Ein unvergänglicher Sommer © Eva Bergschneider
Zerrissene Erde und Ein unvergänglicher Sommer © Eva Bergschneider

Deshalb werde ich nichts weiter darüber schreiben. Ich könnte Euch raten, mit dem Lesen der Trilogie zu warten, bis alle Bände ins Deutsche übersetzt vorliegen. Oder die englischsprachigen Originale: „The Fifth Season“, „The Obelisk Gate“, „The Stone Sky“ zu lesen. Doch dann gibt es vielleicht keinen weiteren Band, weil sich „Zerrissene Erde“ zu schlecht verkauft. So lest denn diesen verstörenden und wunderbaren Roman und leidet mit mir, bis der Nachfolgeband beim Knaur Verlag erscheint.

Eva Bergschneider

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Zerrissene Erde
Broken Earth Serie Band 1
N.K. Jemisin (Übersetzung Susanne Gerold)
Science-Fiction/Fantasy
Droemer Knaur
August 2018
496

Funtastik-Faktor: 88

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