Explosives und gruseliges Steampunkabenteuer
Unheimliches regt sich im Umland des Dartmoor Zuchthauses und ruft die Monsterjäger Turner, Lloyd und Sinclair auf den Plan. Etwas hat ihren Freund Baskerville angefallen und in Stücke gerissen. Die Erkundigen im Moor werden Sinclair zum Verhängnis, eine Wolf-Mensch Chimäre tötet auch ihn. Der fünfte im Bunde, der verschrobene Ӕtherwissenschafter Heisenberg, kann ihnen nicht helfen. Er hat, um sich vor sich selbst zu schützen, seine Einweisung in das Zuchthaus erwirkt. Dort wird auch der selbsternannte Marquis de Mortemarte eingeliefert.
Heisenbergs Neffe, Archibald Leach, kommt mit seiner Partnerin Sarah Goldberg zur Hilfe. Doch der Besuch im Zuchthaus endet in einem Desaster. Mortemarte verwandelt die Wächter in Ratten-Chimären, die ihm den Weg freikämpfen. Am Ende hat Heisenberg den Rest seines Verstandes eingebüßt und der durchgeknallte Marquis ist im Besitz von Leachs Unschärfekompass des relativen Bösen. Was hat er mit dem Artefakt, das Sarah gern als nutzloses Stück Blech bezeichnet, vor? Sarah und Archibald verfolgen den Marquis in die Karibik, nach Afrika und Indien. Es gilt ihn davon abzuhalten, eine weltumspannende Katastrophe auszulösen. Mit seinem Geheimnis erpresst Mortemarte nicht nur die mächtigen europäischen Herrschaftshäuser, sondern lockt diverse Verschwörungstheoretiker und Geheimbünde hervor.
Protagonisten für ein Serienformat
Archibald Leach und Sarah Goldberg sind Markus Cremers Lesern bereits aus seinen Kurzgeschichten bekannt. „Archibald Leach und die Monstrositäten des Marquis de Mortemarte“ führt die Protagonisten nicht in die nun entstehende Roman-Reihe ein. Was aber auch nicht nötig ist. Der ehemalige Agent der Krone Archibald und die jüdische Ingenieurin Sarah sprechen in ihren wunderbar spritzigen Dialogen für sich selbst und erläutern ihre Beziehung ausreichend. Dass aus ihrer Freundschaft und Partnerschaft Liebe wird, ist schnell absehbar, entwickelt sich aber trotzdem auf interessante Art und Weise. Nichts wirkt aufgesetzt oder aufdringlich. Es macht einfach Spaß mitzuerleben, wie beide konfrontativ und auf Augenhöhe agieren und dabei immer freundschaftlich und respektvoll miteinander umgehen. Die Freude, die die beiden miteinander haben überträgt sich auf den Leser. Da beide darüber hinaus clever, kreativ, abenteuerlustig und vor nichts fies sind, bilden sie die ideale Besetzung für ein Roman-Serienformat.
Reminiszenzen an große Literaten
Die Figurenzeichnung ist eine der großen Stärken des Romans. Ob Monsterjäger oder Archibalds genial verrückter Onkel, die B.O.O.K.S – oder Schatten-AgentInnen und selbst der dämonische Bösewicht. Sie alle sind individuell und originell charakterisiert. Bezüglich der Glaubwürdigkeit muss man ein paar Abstriche machen, denn der Autor hat die Antagonisten Archibald und den Marquis mit einer guten Portion Superhelden- und Superschurken-Eigenschaften ausgestattet. Zum einem überbordenden Steampunk-Abenteuer Setting wie diesem, passt dies jedoch.
Es geht um das Übliche: Der Bösewicht schickt sich an, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Genie und Wahnsinn treiben ihn dazu Ӕtherkraft und okkulten Zauber zu vereinen. Auf diesem Weg folgen ihm Archibald und Sarah, jedoch nicht allein. Einige Gegenspieler und Mitstreiter, einer skurriler, als der andere, sind auf einer Tour de Force durch vier Kontinente dabei. Sie bekommen es nicht nur mit Tier-Mensch Chimären, sondern auch mit Geistern und religiösen Fanatikern zu tun. Markus Cremer hat zahlreiche Reminiszenzen an große Phantastik- und Abenteuer-Schriftsteller eingebaut, darunter eine wunderbare Version von Karl May. Des Weiteren nimmt er immer wieder Bezug auf schreckliche Begebenheiten in damaliger und heutiger Zeit, wie Sklaverei und Terrorismus.
Nicht ganz gelungen ist die Konstruktion des Spannungsbogens. Zu früh verschießt der Marquis seine stärkste und abscheulichste Waffe. Zudem wirkt der Storyaufbau wie eine Schnitzeljagd. Am Anfang wechseln die Schauplätze und Erzähler, jedoch im Mittelteil folgen wir fast ausschließlich Archibald und Sarah. Ein bisschen mehr Varianz in Bezug auf Orte und Akteure hätte mehr Dynamik in die Handlung gebracht.
Wie schon erwähnt trägt Markus Cremer dick auf, was die Fähigkeiten seiner Protagonisten angeht. Dagegen stellt er Herrscher der europäischen Reiche im ausgehenden 19. Jahrhundert, Queen Victoria von England und den russischen Zaren, Alexander II, naiv und weltfremd dar. Allzu leicht und auf abstruse Weise lassen sie sich vom offensichtlich nicht vertrauenswürdigen Marquis hinter‘s Licht führen.
Warum die sprachliche Qualität nicht perfekt ist.
Der Art Skript Phantastik Verlag ist ein „eine Frau“ Betrieb, der auf bewundernswerte Weise innovative Phantastik-Literatur abseits des Mainstreams auf den Markt bringt. Steampunk ist längst aus dem Programmen der Publikumsverlage verschwunden. Selbst der deutsche Steampunk-Verlag schlechthin, Feder& Schwert, verlegt dieses Genre nicht mehr. Steampunk verkauft sich nicht, leider. Warum werde ich nie verstehen. Denn das Genre erzählt wunderbare Geschichten zwischen Technik, Übernatürlichem und Historie. Den kleinen Verlagshäusern wie Edition Roter Drache, Papierverzierer, Amrûn und eben Art Skript Phantastik ist es zu verdanken, dass Steampunk noch nicht gänzlich vom Buchmarkt verschwunden ist. Logisch ist, dass diese Verlage nicht so viel Geld für ein Korrektorat oder Lektorat investieren können, wie Randomhouse, Droemer-Knaur und Piper. Daher sind Einbußen in der sprachlichen Qualität unvermeidbar. Auch in „Archibald Leach und die Monstrositäten des Marquis de Mortemarte“ muss der Leser ein paar fehlende oder zu viele Buchstaben oder Begriffe hinnehmen. Und den einen oder anderen ungelenken Satz oder eine unfreiwillig komische Formulierung ertragen. Derartige Fehler kommen jedoch nicht so oft vor, dass der Lesefluss ernsthaft beeinträchtigt würde. Überwiegend haben Lektorat und Korrektorat zufriedenstellende Arbeit geleistet.
Insgesamt ist „Archibald Leach und die Monstrositäten des Marquis de Mortemarte“ ein spannender und im besten Sinne schriller Steampunk-Roman mit coolen Protagonisten in einem mehr als spektakulären Abenteuer. Markus Cremer schreibt bereits an einem weiteren Band. Ich würde mich sehr freuen, wenn aus den Archibald Leach Geschichten eine große Steampunk-Romanserie entstehen würde.
Eva Bergschneider
Archibald Leach Reihe, Band 1
Steampunk
Art Skript Phantastik
Mai 2017
585
Funtastikfaktor: 74