Das Lied des Blutes – Anthony Ryan

Epische Fantasy auf höchstem Niveau

Das Lied des Blutes- Anthony Ryan © Klett-Cotta
Das Lied des Blutes © Klett-Cotta

Vaelin Al Sorna ist für die einen ein Kriegsheld, für die anderen ein Kriegsverbrecher. Nach dem Überfall der Königslande auf das Alpiranische Reich wird der Oberbefehlshaber Al Sorna in den Kerker geworfen und Jahre später zu einem kleinen Inselreich gebracht, dass sein Vater einst eroberte. Dort erwartet ihn der sichere Tod aus der Hand eines vermeintlich unbesiegbaren Kämpfers.

Der kaiserliche Chronist des Alpiranischen Reiches begleitet ihn und Vaelin erzählt seine Geschichte. Wie er zum sechsten Orden kam, der erbarmungslos seine Novizen das Kriegshandwerk lehrt. Warum er einem Götter leugnenden Glauben folgte und ihn das Übernatürliche berührte. Warum er zum Anführer eines Kriegsheeres wurde, das ehrlos und brutal ein Kaiserreich überfiel. Wie er trotzdem versuchte, das Richtige zu tun und den Tod über Unschuldige brachte. Woran er fast zerbrach und welche einsame Entscheidung er fällte.

Ein Held, ein Mörder, ein Verfluchter und Gesegneter

Ich kann noch nicht sagen, welches in 2017 gelesene Buch mein liebstes wird, solange ich Tad Williams „Die Hexenholzkrone“ nicht zu Ende gelesen habe. Fest steht jedoch, dass „Das Lied des Blutes“ im Ranking ganz oben landen wird.

„Das Lied des Blutes“ reiht sich in die Fantasy-Reihen ein, die dem „Game of Thrones“ Hype folgten. Erzählt wird, ähnlich wie in Rothfuss‘ „Königsmörder-Chroniken“, eine Kern- und eine Rahmenhandlung. Der Chronist des Kaiserreichs erzählt in Tagebuchform von der Gefangenenüberführung Al Sornas auf die Meldeneischen Inseln und was dort in der Kampfarena geschieht. Vaelin wiederum erzählt als personaler Erzähler dem Chronisten seine Lebensgeschichte, was den weit überwiegenden Teil des Romans ausmacht. Interessanterweise stellt sich heraus, dass die Geschichte, die Verniers aufschreibt, nicht identisch ist mit der Kernhandlung, die der Leser liest. Einige pikante Details enthält Al Sorna dem Schreiber vor.

Religionen und Macht, Kriege, finstere Intrigen und Magie

In den vereinigten Königslanden, die auf der Karte ein wenig wie Großbritannien aussehen, verbietet die vorherrschende Religion den Glauben an Götter oder an Magie. Angehörige anderer Religionen, Leugner genannt, werden gnadenlos verfolgt. Ebenso Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten, der sogenannten ‚Dunklen Gabe‘. Dieses Königreich ist ein Schmelztiegel aus Völkern, die verschiedenen Kulturen und Religionen angehören. Der König braucht hier ein schlagkräftiges Heer, das seine Macht festigt. Die Ordensgemeinschaften hingegen verteidigen ihren Glauben und der sechste Orden bildet Krieger aus, die dieses Ziel mit Gewalt durchsetzen. Doch sowohl innerhalb der königlichen Regierung, als auch zwischen den Ordensgemeinschaften brodelt es. Es ereignen sich mysteriöse Morde unter Ordensführern und den Adeligen.

Dem Königreich gegenüber steht das Alpiranische Kaiserreich, auf der Karte könnte auch die Küste des europäischen Festlands abgebildet sein. Ein seltener Rohstoff, der Blaustein, geht auf der Insel zur Neige und so bangt das Königreich darum, den Anschluss an den Handel zu verlieren. Was als Grund ausreicht, um einen Invasionskrieg anzuzetteln. Zwischen all dem steht der junge Ordenssoldat Vaelin Al Sorna, der vor allem als Führungspersönlichkeit besticht und genügend wunde Punkte hat, um den Machthabern seines Landes ausgeliefert zu sein.

Inhaltlich handelt es sich bei „Das Lied des Blutes“ um Fantasy-Stoff, wie wir ihn nicht nur bei George R.R. Martin, sondern bei Rothfuss oder T.S. Orgel finden: Ein magisch begabter Held wider Willen, als Spielball und Trumpf im Krieg und in den Intrigen der Mächtigen. In dieser Zwangssituation wird die verbotene Gabe zur Schlüsselstrategie. Wie in meiner vorherigen Lektüre „Der verborgene Turm“ kommt ein Mineral namens Blaustein vor. Er spielt aber hier eine unwichtigere Rolle, als in der Trilogie von T.S. Orgel „Die Blausteinkriege„. Es ist kein brandneuer Stoff den uns Anthony Ryan präsentiert und doch ist ein besonderes Fantasy-Buch entstanden. Woran liegt das?

Keine Figuren, sondern Persönlichkeiten

„Aus den Gerichtsaufzeichnungen wusste ich, dass Aruans Brief, den dieser unter nicht unbeträchtlicher Gefahr für sein eigenes Leben verfasst hatte, zu den Beweismitteln gehörte, die dem Hoffnungstöter merkwürdig uncharakteristische Akte der Großzügigkeit und Barmherzigkeit während des Krieges bescheinigten. Der Kaiser hatte sich alles geduldig angehört, bevor er darauf hingewiesen hatte, dass der Gefangene wegen seiner Verbrechen und nicht wegen seiner Tugenden vor Gericht stehe.“ [S. 14]

Vielschichtig ist so ein überstrapazierter Begriff, wenn es um Charakterentwicklung geht, doch zu den Akteuren in „Das Lied des Blutes“ passt er am besten. Zu dem Protagonisten Vaelin Al Sorna, aber auch zu den Nebencharakteren, wie den Ordensbrüdern, den Ausbildern im Orden, zufälligen Wegbegleitern, Herrschern und Feinden. Sie alle haben gute Gründe für ihr Tun, entwickeln sich zu Persönlichkeiten und schlagen unvorhersehbare Pfade ein.

Vaelin Al Sorna hat im Orden seine Familie gefunden, doch die liefert ihn an die Mächtigen aus. „Das Lied des Blutes“ erzählt von Vaelins stetigem Kampf, seinen Werten treu zu bleiben. Ryan lässt ihn dabei im Blut versinken und verzweifeln. Vaelins spezielle Vorahnungen und innere Stimmen, das Lied des Blutes irritieren ihn, weisen ihm aber manchen Ausweg. Vaelin Al Sorna ist ein Antiheld, wie er im Buche steht. Ein unbeugsamer und zugleich getriebener Mann, ein gerechter und trotzdem nicht immer sympathischer Typ. Kurzum, eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Fantasy-Literatur.

Schlachten in allen Facetten

Vaelin Al Sorna und seine Ordensbrüder ziehen in den Krieg., zuerst gegen cumbraelische Ketzer und schließlich gegen das Alpiranische Reich. Das Schlachtengetümmel im Roman ist trotzdem nicht so umfassend, wie man vielleicht erwartet. Vielmehr ereignen sich im ersten Krieg abseits des Schlachtfelds bizarre Szenen und interessante Entwicklungen, die die Geschichte in eine andere Richtung lenken. Das ändert sich im Invasionskrieg gegen das Alpiranische Kaiserreich.

Viele Schlachten lesen sich eintönig, weil sie lediglich aus Schwerterklirren und Töten bestehen. Oft ist das große Ganze schwierig zu verfolgen. Anthony Ryan wählte eine multiperspektivische Darstellung. Der Autor beschreibt das Töten von Angesicht zu Angesicht, er versäumt jedoch nicht, einen Überblick zu gewähren und die jeweilige Schlachtenstrategie zu erläutern. So bleibt gut nachvollziehbar, was die jeweilige Kriegspartei bezweckt und warum es gelingt oder schief geht. Auf diese Weise werden Grausamkeit und Sinnlosigkeit des Krieges vor Augen geführt, die Willkür des Tötens. Ryan entfesselt ein ganzes Spektrum an Emotionen wie Wut und Trauer aber auch Entschlossenheit.

Ein Ende, das keine Fragen offen lässt

Zusammengefasst klingt die Geschichte in „Das Lied des Blutes“ gar nicht so schwierig, doch das täuscht. Motive, Handlung und Charaktere sind äußerst komplex und das macht diesen Roman aus. Obwohl es sich um den Auftaktband zur „Rabenschatten-Trilogie“ handelt, wird die Geschichte in „Das Lied des Blutes“ abgeschlossen und wirklich jedes lose Ende verknüpft. Unterwegs hinterfragt man als Leser manche Entwicklung und Entscheidung. An unerwarteter Stelle greift Anthony Ryan diese Fragen auf und beantwortet sie auf überraschende und bemerkenswert schlüssige Weise. Es sind viele kleine Details, die diesen Roman zu etwas Besonderen machen. Wie Persönlichkeiten, die keine großen Heldentaten vollbringen, dennoch unkonventionell und eigenwillig agieren. Oder Helden, die durch unspektakuläre Gesten ihrem moralischen Kompass folgen. Natürlich fehlt der Fingerzeig auf die Fortsetzung der Reihe, „Der Herr des Turmes“ nicht. Vaelin Al Sorna ist einige Jahre älter geworden und des Tötens müde. Doch das Schicksal seines Landes wird erneut auf seiner Schwertschneide liegen.

Eva Bergschneider

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Das Lied des Blutes
Rabenschatten-Trilogie
Anthony Ryan
Fantasy
Klett-Cotta
2014
775

Funtastik-Faktor: 93

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