Was die Reisenden zurückließen
Der wahre Feind, das fischähnliche Volk der Huacoun, zeigt sein Gesicht. Seine Verbündeten, die Kolnorer, haben das Kaiserreich Berun ausgehöhlt und bereiten sich auf den entscheidenden Schlag vor. Den Anfang machen sie in Gostin, der wichtigsten Hafenstadt des Macouban. Cunrat und Xari decken einen erneuten, schweren Verrat auf und setzen der feindlichen Übermacht ihre Talente entgegen.
Sara und Thorem finden heraus, dass Feyst Dreiauge selbst vor Landesverrat nicht zurückschreckt. Doch diese Erkenntnis kommt zu spät, das Blutbad ist nicht mehr aufzuhalten. Ness und Messer schaffen es knapp vor der Invasionsflotte der Huacoun in die kaiserliche Hauptstadt zurück und finden die Festung von Kolnorern besetzt vor.
Danil, sein Freund Bogk und die Waldmenschen gelangen durch ein Dimensionstor in den Thronsaal. Doch die kolnorischen Mörder haben vor ihnen diesen Weg genommen und verrichten ihr blutiges Werk. Das, was die Huacoun wollen, befindet sich in den Tiefen vor der Stadt. Eine Prophezeiung verrät ihnen, wie sie an ihr Ziel kommen und das erforderliche Equipment steht bereit. Wer soll sie nun noch daran hindern, ihren von langer Hand geplanten Coup durchzuführen? Wird ganz Tertys von alten magischen Mächten überrollt?
Wie tief fällt das Kaiserreich Berun?
Trotz blutiger Auseinandersetzungen vollzog sich die Invasion den Ländereien Beruns eher geräuscharm und hinterhältig. Doch nun steht der Feind vor den Hafenstädten Gostin und Berun, bombt und brennt die Städte nieder. Doch es geht nur den Kolnorern um territoriale Ansprüche, den Huacoun um Rache für die Entmachtung ihrer Götter durch die Reisenden.
„Was bei Manar weiß denn ich? Das ist so ein beschissenes Durcheinander hier, dass ich mittlerweile keine Ahnung habe, wer eigentlich auf wessen Seite ist!“ [S. 258]
In Band zwei war es wirklich schwer, den Überblick zu behalten, wer sich nun auf welcher Seite mit wem verbündet hat und warum. Es war deshalb eine gute Idee, dem Romanfinale einen Rückblick auf die ersten beiden Bände voranzustellen. Das dramatische Ende in Band zwei dient als Fingerzeig, in welche Richtung sich die Handlung fortsetzen wird und das schöne Kartenmaterial im finalen Band zeigt wo. So ist man von Anfang an wieder mittendrin in den sich überschlagenden Ereignissen, die den Protagonisten keine Zeit für Trauer lassen. Cunrat hat sich vom aufgeblasenen Snob zum cleveren Kämpfer entwickelt und gehört klar zu den Figuren, die der Leser nun mit anderen Augen sieht (hat funktioniert – siehe Interview mit T.S. Orgel). Eine ähnliche Entwicklung durchlief Danil, der sich mit einer Dummheit am Ende des ersten Bands ins Abseits manövrierte und auf Umwegen nach Berun zurückkehrt. Beide Protagonisten entdecken ihr Talent und das ist ein Markenzeichen dieses Bands. Die Blausteinmagie setzt hier die entscheidenden Akzente.
„Blaustein“ murmelte Jerik während er seine Narrenkappe gerade rückte.[..] „Er ist überall. Er schwebt in der Luft und liegt auf dem Boden. Er legt sich auf jede Oberfläche und kriecht in die Lunge und in jede Pore deines Körpers. So wie der Staub in einem Kalksteinbruch. Die Stadt ist überschwemmt davon.“ [S. 419]
Es sind ganz unterschiedliche Talente, die die Protagonisten nutzen, übermächtig macht sie keins davon. So sorgen Strategie, Unverfrorenheit und der kluge Einsatz jener Gaben für Wendungen, mit denen man nicht rechnet, die aber trotzdem die Geschichte auf glaubwürdige Weise voranbringen. Nicht ganz überzeugt hat der Einsatz von Toren zu Pfaden, die eine mystische Zwischenwelt durchkreuzen und große Entfernungen überbrücken. Ein Deus ex Machina, ähnlich wie das Apparieren in den „Harry Potter“ Büchern. Insbesondere weil der Feind zuvor die Länder Beruns mühsam infiltrierte. Leider erfährt man nichts darüber, wie viele Zu- und Abgänge es zu dieser Dimension gibt.
Blutvergießen von Angesicht zu Angesicht
„Blausteinkriege“ lautet der Titel dieser Reihe, die großen Schlachten blieben jedoch bisher aus. „Der verborgene Turm“ beinhaltet nun zwei Schlachten um die Hafenstädte Gostin im Süden und in der kaiserlichen Hauptstadt. T.S. Orgel schildern das Kampfgeschehen aus der Sicht der beteiligten Protagonisten. Wir erleben unmittelbar, wie Schwerter und Äxte den Gegnern in Schädel und Rümpfe geschlagen werden. Wobei diese Tötungsmethoden noch nicht einmal zu den grausamsten zählen. Wirklich fies ist Ness‘ spezielle Technik. Der Kriegsknecht, der oft harmlos wirkt und jeglichem Problem eine heitere Seite abgewinnen kann, zeigt seine abgründigen Seiten. Die Autoren führen ihre Figuren in ausweglose Situationen und lassen sie am Ende des Kapitels in klassischen Cliffhängern zurück. Geschickt eingestreute falsche Fährten, auch rote Heringe genannt, lenken Spekulationen des Lesers über den Fortgang der Geschichte in völlig falsche Richtungen. „Der verborgene Turm“ hat dadurch Ähnlichkeit mit einem Krimi, indem gleich mehrere Detektive auf Geheimnissejagd gehen (auch dazu mehr im Interview mit T.S. Orgel). Vorhersehbar ist die Handlung fast nie, was einen Gutteil ihrer Spannung ausmacht.
Ein Ende und ein Anfang?
Nach dem ersten Band hatte ich den Eindruck, dass zu viele Konfrontationen für „nur“ drei Bände angelegt wurden. In „Der verborgene Turm“ konnten T.S. Orgel die wichtigsten Handlungsstränge zu einem spektakulären und schlüssigen Finale zusammenführen. Allerdings wurden einige die Haupthandlung begleitenden Geschichten nur angerissen. Dazu zählen die Historie der Reisenden und der alten Götter, sowie die Gründung des Flammenschwertordens. Wir erfahren zum Beispiel, wie Cajetan ad Hedin nach Berun gekommen ist, aber nicht, wie er zum Ordensfürst wurde. Ich hätte gern auf einige Kloppereien im Suff und auf die Zombieerweckung verzichtet, wenn stattdessen diese Hintergründe detaillierter beschrieben wären.
Insgesamt jedoch machen der Roman „Der verborgene Turm“ und die Serie um die „Blausteinkriege“ viel Spaß zu lesen. Eine komplexe, weit verzweigte Handlung und Charakteren, die überraschen und sich weiterentwickeln, sorgen für einen würdigen Abschluss. Trotz der „Game of Thrones“ ähnlichen Anlage entwickelte die Serie eine eigene Charakteristik und Atmosphäre: düster, aber nie trist, derb aber nie zu vulgär, aktionsreich aber nie überladen. Das Ende weist über das Erzählte hinaus, was vielleicht der reizvollste Aspekt daran ist. Es drängen sich Hypothesen und Ideen auf, wie es wohl weitergehen mag auf der Welt Tertys. Ich plädiere für ein Spin-Off, das fünfzig Jahre später ansetzt, oder ein Prequel, das die offenen Fragen klärt.
Eva Bergschneider
Blausteinkriege
Fantasy
Heyne Verlag
Oktober 2017
638
Funtastik-Faktor: 80